Die hohe Kunst der Moderne jenseits des Spektakulären

Ein Porträt des Leipziger Ensembles Avantgarde

Dass im vergangenen Jahr mit dem Ensemble Avantgarde eine rein auf die Neue Musik spezialisierte Gruppe in Leipzig ihr 10-jähriges Bestehen feiern konnte, ist durchaus nicht selbstverständlich, sondern wohl eher dem Umstand zu verdanken, dass sie sich inzwischen über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht hat. Denn Leipzig ist im Grunde genommen keine Stadt für Neue Musik mehr. Und das, obwohl es hier gerade auch auf diesem Gebiet eine eigene Tradition gibt.

Schließlich geschah es in Leipzig, dass aus dem von Herbert Kegel in Sachen Moderne geschulten Rundfunksinfonieorchesters die Gruppe Neue Musik Hanns Eisler hervorging. Dieses Ensemble etablierte in den 80ern die Konzertreihe des Gewandhauses „Das Neue Werk“, die von Gründungsmitglied Friedrich Schenker konzeptionell betreut wurde. Wesentlichen Einfluss nahmen Mitglieder der Eisler-Gruppe auf den 1960 in Halle geborenen künstlerischen Leiter des Ensembles Avantgarde, Steffen Schleiermacher. Der studierte in Leipzig Klavier bei Gerhard Erber und Komposition u.a. bei Friedrich Schenker (sein zweiter Lehrer war Siegfried Thiele). In den 80er Jahren spielte er dann zusammen mit vor allem Studienkollegen (die meisten der Mitglieder, die noch heute zum Stamm des Ensembles gehören, wie zum Beispiel die Musiker des Leipziger Streichquartetts, waren damals schon dabei) in der Gruppe Junge Musik der Musikhochschule, die sich, von den Professoren argwöhnisch beäugt, der neuesten und dabei natürlich auch westlichen Musik widmete. 1989 gründeten Schleiermacher und seine Mitstreiter dann das Ensemble Avantgarde, dessen Musica Nova Reihe im Februar 1990 das Erbe des „Neuen Werks“ am Gewandhaus antrat.

War die Gruppe Neue Musik Hanns Eisler das lebende Beispiel dafür, dass auch unter widrigen (damals ideologischen, heute eher wirtschaftlichen) Bedingungen eine moderne Musikpflege jenseits des gängigen und geförderten Repertoires möglich ist, so hat das Ensemble Avantgarde dieses Bewusstsein durch die Nachwendezeit bis in die Gegenwart getragen, was tatsächlich so etwas wie seine historische Leistung ist. Denn auch wenn heute die Resonanz des Leipziger Publikums auf Neue Musik teilweise so gering ist, dass sie fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit zelebriert wird, hat das Ensemble Avantgarde bewiesen, wie man auch mit relativ geringem finanziellem Aufwand eine künstlerisch beispielhafte Konzeption mit Beharrlichkeit, Kontinuität und aller Konsequenz verwirklichen kann. In Zeiten, wo das kulturelle Überangebot in der Stadt zu kleineren Zuschauerzahlen führt, was die großen Institutionen teilweise veranlasst, künstlerische Qualität als eine Funktion des Sensationellen zu betrachten (was ja, nebenbei gesagt, nur zu weiteren finanziellen Zwängen führt), hat das Ensemble Avantgarde immer wieder beharrlich Lücken geschlossen, die ein kommerziell regierte Musikbetrieb reißt.

Die kontinuierliche Pflege der Klassiker der Moderne, die Rückbesinnung auf zu Unrecht vergessene Komponisten (Wolpe, Vogel, Toch, Ullmann, Schulhoff ua.) und auch die Vorstellung nationaler Schulen stehen dabei im Mittelpunkt. So wurde in der Saison 98/99 in jedem Konzert jeweils eine bestimmten Metropole in der Welt vorgestellt, darunter die eher unbekannten, aber faszinierenden Musikszenen von Djakarta, Santiago de Chile, Tokio und Sydney. Aber auch die für die Entwicklung wichtigen nationalen Schulen der Neuen Musik in Europa und, wo die besonderen Interessen des Ensembles liegen, Amerika wurden systematisch erarbeitet. Und auch hier beschränkte man sich prinzipiell nicht auf die bekannten Namen.

Den Weg zum Publikum fand Schleiermacher mit dem seit 1992 jährlich stattfindenden Januarfestival für Neue Musik. Hier etablierte sich eine Szene, die mit diesem Ereignis den künstlerischen Jahresbeginn gebührend feierte. Lebhaft in Erinnerung geblieben sind das letzte im Museum der bildenden Künste „Maschinen! Musik ?(!)“, welches den Nachklängen des Futurismus in der Moderne gewidmet war, angefangen von Honegger, Antheil über Ligeti, Nancarrow bis hin zu Klangperformer Erwin Stache. Oder aber auch das erste im neuen Domizil, der Schaubühne Lindenfels: „Himmelsmechanik! Engelsmusik ?(!)“, mit Cages klingenden Sternenkarten, George Crumbs „Black Angels“ und Xenakis‘ „Pleiades“. Seit vergangenem Jahr hat der MDR-Musiksommer das Festival übernommen, nachdem Schleiermacher aus finanziellen Gründen das Handtuch geworfen hatte.

Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten, denn der MDR opferte dafür seine eigene „Hörfenster“-Reihe mit Neuer Musik. Damit geht eine durchaus belebende Konkurrenz zu Gunsten eines Monopols verloren, denn nun gestaltet das Avantgarde-Team sowohl die Neue Musik beim Gewandhaus (mit der Musica Nova Reihe) als auch beim Funk (mit dem neuen Musiksommer Festival „Klangrausch“).
Andererseits muss man es eben hinnehmen, dass es in Leipzig nicht genug Publikum für mehr als ein derartiges Ensemble gibt. Und insofern ist dem Ensemble Avantgarde erst recht für die Zukunft alles Gute zu wünschen.


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