Die Harmonie von Liebe und Arbeit oder Die Polyphonie der Gerechtigkeit

Robert Woelfl: „Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe”

„Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe“ ? Der Titel ist eine Formel, aus der ein ganzes Theaterstück abgeleitet wird. Ein Stück, für das sein Autor, der 1965 geborene Österreicher Robert Woelfl, im vergangnen Jahr den Lenz-Preis der Stadt Jena erhielt und für das Regisseurin Claudia Bauer, künstlerische Leiterin am Theaterhaus Jena, angereist ist, um es hier in Leipzig uraufzuführen. Und in der Tat passt ein Stück über die Zukunft in Gestalt eines Einkaufparks, über die religiöse und ideologische Allmacht von Verkaufsflächen und Geschäftsideen wohl recht gut zu einer Stadt, wo sich Bahnhöfe zu Verkaufsmeilen und traditionsreiche Passagen zu Messehallen für Schuh- und Schmuckgeschäfte wandelten.

Das Bühnenbild zeigt schräge Tisch- und Bettreihen und lässt offen, ob es sich hierbei um eine Verkaufs- oder eine Lagerhalle handelt. Und diese Mehrdeutigkeit eröffnet eine interessante Perspektive: Eine Lagerraum ist für eine Verkaufsfläche nämlich ein ähnlicher Spiegel wie das Bildnis des Dorian Gray. Er beherbergt die gleichen Dinge, aber in ihm stehen sie nicht zum Verkauf, sondern staubig und schief. In ihm bewegen sich dieselben Menschen wie dort, aber ohne zu präsentieren oder zu repräsentieren. Und dieser Widerspruch, sich inmitten der Dinge zu bewegen, die ansonsten präsentiert oder repräsentiert werden, ohne sie doch hier präsentieren oder repräsentieren zu müssen, verrät von den Handelnden ein Stück Privatheit, das sie verlegen macht. So verlegen, dass ihre Bewegungen, die nun arbeitsrechtlich oder geschäftsideologisch nicht mehr vorgegeben sind, linkisch werden. So linkisch wiederum, dass sich die Akteure auf der Bühne oft nur mehr im Fallen vorwärtsbewegen.

In dem Maße, wie die Verlegenheit der Figuren des Stücks zur „Fallsucht“ der Akteure auf der Bühne wird, setzt die Inszenierung vor allem auf Übertreibung. Und das tut dem Stück zunächst einmal durchaus gut, denn es macht den Text, der sich mehr derb als poetisch und mehr plakativ als analytisch gibt, zur Marginalie. Auf diese Weise lässt sich denn auch der Grundgedanke des Ganzen gut in Szene setzen: Wann immer die Protagonisten, die allesamt der Ideologie des Marks verfallen sind, sich auf ein Terrain begeben, wo die Normen des wirtschaftlichen Denkens nicht mehr greifen, werden sie handlungsunfähig und geraten in Irritationen, die sich bis hin zu Wahnsinn und Raserei steigern. Zukunft bedeutet, eine Geschäftsidee zu haben. Menschen zu lieben heißt, sie als Kunden an sich zu binden. Mensch sein schließlich: einen Arbeitsplatz zu besitzen. Doch wehe, wenn sich das Leben und die Liebe nicht mehr in kommerziellen Kategorien begreifen lassen.

Projektentwickler Gerhard liebt seine Frau, solange ihre Handlungen für ihn berechenbar sind. Danach kauft er sich die Liebe lieber bei Sonja, kann aber mit der Frage, ob er sie liebe, nichts anfangen. Sein Frau dagegen vermutet, dass sie ein Verhältnis zu Herbert nur deshalb angefangen hat, weil er der Großinvestor ihres Mannes ist. Ihre verlangsamten pantomimischen Bewegungen sind eine merkwürdige Mischung aus Animation und Vorsicht. Herbert wiederum schätzt sein Verhältnis zu ihr um so mehr, weil es aus seiner Sicht rundum „perfekt“ ist. Die als Studentin nicht berufstätige und dennoch einem ?Gewerbe? nachgehende Sonja entdeckt ihr Menschsein erst dann, als sie lernt, sich selbst als Objekt zu präsentieren. Damit wird auch in der Liebe Professionalität zum Gütezeichen und auch im Bett das Ich zum Repräsentanten einer Geschäftsidee. Mithin wird das Bett damit ersetzbar durch den Schreibtisch im Büro. Dort findet denn im Habitus von Lehr- und Werbesendungen der unvermeidliche Koitus in eintönig endlosen Variationen statt. Davon bleibt auch die arbeitslose Erika nicht verschont, die sich die Zeit mit Selbstmordversuchen totschlägt, bis sie sich endlich durch Kidnapping des Geschäftsführers einen Arbeitsplatz ergaunert. Mit der Arbeit kehrt das Glück zurück – wie gehabt durch das Vernaschen des Chefs am Arbeitsplatz.

Gelungen ist die Idee, dass Ganze in einem einzigen Szenenbild spielen zu lassen, eben jener besagten Lagerhalle, wo sich das, was nicht zusammengehört, nicht auseinanderhalten lässt: das Private, rein Menschliche und das Geschäftliche, Offizielle. Damit existiert von Anfang an eine explosive Situation, die durch szenische Raffungen und Überschneidungen noch verschärft wird. Wenn etwa Sonja und Erika ihre Vorstellungen davon, was gerecht ist, nicht nacheinander, sondern zugleich aussprechen, entsteht eine sprachliche Polyphonie der Gerechtigkeit, in der die Stimme des Einzelnen unvernehmbar bleibt. Doch solch schöne Ideen bleiben eher Einzelfälle und sind nicht konsequent genug durchgehalten. Erika ist die einzige Figur, die von Anfang an überzeichnet ist und auch bleibt. Dadurch wirkt Bettina Riebesel in dieser Rolle und in diesem Rahmen am glaubhaftesten und rückt unfreiwillig in den Mittelpunkt. Bei den anderen nimmt das Groteske eher ab als zu und genau das ist der Schwachpunkt. Es wäre für das Stück ebenso wie für die Inszenierung eine Chance gewesen, eine Spannung aufzubauen, die dadurch entsteht, dass im zwischenmenschlichen Umgang die Regeln des Geschäftslebens versagen. Was mit einer leichten Verlegenheit beginnt, könnte sich nach und nach bis zum Irrsinn steigern. So entstünde jedenfalls eine Entwicklung, die eine lediglich latente dramatische Konzeption im Werk zum Vorschein brächte. Da in der Sicht von Claudia Bauer der Wahnsinn aber von der ersten Szene an präsent ist, lässt sich darauf nichts mehr aufbauen und die Spannung flaut permanent ab.

So sind letztendlich die szenischen Umstellungen des Textes durch die Regisseurin nicht überzeugend, da sie allenfalls die Bewegung beschleunigen, ohne die Entwicklung tatsächlich zu forcieren. Und das tut dem literarischen Werk nicht gut, das letztendlich nur wie eine Momentaufnahme unserer Gesellschaft in Form eines Allgemeinplatzes wirkt. ?Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe? ? der Titel ist für sich genommen eigentlich ein gelungener Aphorismus. Aber in anderthalb Stunden szenischer Darstellung ist aus diesem Gedanken leider nicht viel mehr geworden.

Robert Woelfl: Dem Herz die Arbeit, den Händen die Liebe (Uraufführung)

Regie: Claudia Bauer
Bühne und Kostüme: Hannah Hamburger
Musik: Ingo Günther
Gerhard Sollmann: Günter Schoßböck
Susanne Sollmann: Anja Brünglinghaus
Herbert: Christoph Hohmann
Erika Handsam: Bettina Riebesel
Sonja: Isabel Schosnig

12. Januar 2001, Schauspiel Leipzig / Neue Szene

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