21. Januar 2001
Schauspielhaus Leipzig / Theater hinterm Eisernen – Repertoire
Maurice Maeterlinck
?Pelleas und Melisande?
Regie: Konstanze Lauterbach
Golaud: Jochen Noch
Mélisande: Susanne Buchenberger
Pelléas: Peter Ehrlich
Genevi?ve: Ellen Hellwig
Arkel: Friedhelm Eberle
Trügerische Idylle hinter roten Mauern
Maurice Maeterlincks ?Pelléas und Mélisande? im Repertoire des Leipziger Schauspiels
Wenn die Leipziger Oper in dieser Spielzeit Debussys ?Pelléas et Mélisande? auf die Bühne bringt, ist das an sich nichts Außergewöhnliches. Als Oper ist das Werk auf den Bühnen der Welt präsent – nicht jedoch als Theaterstück. Es ist vor allem die Musik Debussys, die die Erinnerung auch an den Dichter und Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck wachhält. Insofern darf man es wohl als ein seltenes Glück bezeichnen, dass das Schauspiel Leipzig ?Pelleas und Melisande? noch im Repertoire hat. Die Premiere war am 18.06.1999.
Die Inszenierung zeigt eine für Regisseurin Konstanze Lauterbach sonst keineswegs übliche (wobei Ausnahmen, wie ihre Leipziger Räuber-Interpretation, die Regel bestätigen) konzeptionelle Strenge. Das Schöne daran ist, dass diese Strenge dem typisch Lauterbachschen Prinzip der assoziativen Versinnlichung von Gedanken und suggestiven Verlebendigung von Utensilien keinen Abbruch tut, sondern im Gegenteil deren Wirkung noch verstärkt. Plakatgroße Briefe flattern umher, werden ärgerlich zerknüllt. Ein Dienerchor schwebt sandharkend in nächtlichen Intermezzi über die Bühne, Wege in die sich stets wieder regenerierende Natur zeichnend. Eine rote Mauer (ein allzu unzweideutiges Symbol) gibt ab und an den Blick der Zuschauer, die hinterm ?Eisernen? sitzen, in die Tiefe des mit blauen Stoffbahnen ausgelegten Parketts frei, wo in trügerischer Idylle die Hauptakteure im Meer schwimmen.
Als der schweigsame und dunkle Golaud die zarte Mélisande im Wald bei einem Brunnen entdeckt und mit ihm sich auch seine Gefühle verirren, trägt Mélisande dasselbe Kleid wie am Ende an gleicher Stelle beim Rendezvous mit Pelléas. Indem die Lauterbach am Anfang wie am Ende eine ähnliche Situation herstellt, macht sie deutlich, dass sich das Geheimnis um Mélisandes Herkunft, das diese nicht preisgibt, als Schicksal ihrer weiteren Entwicklung deuten lässt. An dem Brunnen, in den ihre Krone gefallen ist, wird Mélisande von Golaud gefunden und wie ein Souvenir aus einem fremden Land mit nach Hause gebracht. In diesen Brunnen wirft sie später den Ring, der sie an Golaud und ein Schloss, in dem nie die Sonne scheint, bindet, und an diesem Brunnen wartet sie schließlich auf den, der sie wirklich liebt. Als Pelléas jedoch Opfer der rasenden Eifersucht Golauds wird, bleibt sie allein und unverstanden wieder dort zurück, wo sie erneut einer finden und nach ihrer Herkunft und ihrer verlorenen Krone fragen könnte. Eine in diesem Sinne analytische Sicht auf das Stück ist zweifellos ein Weg, um ein wenig von dem mythischen Schleier, der die Figuren umhüllt, zu lüften.
Susanne Buchenberger ist als Mélisande ein Mädchen, das versucht, seine Kindlichkeit gegen das Erwachsenwerden und die damit verbundenen gesellschaftlichen Attitüden zu verteidigen. Unterstützung findet sie nur bei Golauds Bruder Pelléas, bei dem Peter Ehrlich ebenfalls die naiven Eigenschaften betont. Weil die Schlossmauern so eng sind, dass man sich nicht aus dem Weg gehen kann, muss das Unausweichliche passieren: Pelléas und Mélisande finden sich und Golaud verzweifelt an seiner Unfähigkeit zu lieben und geliebt zu werden. Jochen Noch ringt mit diesem Charakter und entlädt alle Konflikte in einem über alle Eifersucht weit hinausgehenden Wahnsinn. In Lauterbachs Version hat das Königshaus in Gestalt von Arkel und Genevi?ve unmerklich die Fäden des Geschehens in der Hand. Friedhelm Eberle und Ellen Hellwig agieren unscheinbar und souverän, sind aber als Hauptschuldige diesseits der roten Mauer zu einseitig konzipiert.
Trotz einiger erschreckender Simplifizierungen, die zwischen Peinlichkeit und unfreiwilliger Komik schwanken (der Vergewaltigungsversuch Mélisandes durch Arkel und einige Eimer roter Farbe über dem toten Pelleas), ist Konstanze Lauterbach mit Hilfe eines überzeugenden und engagierten Ensembles eine klare, in sich geschlossene und dabei durchaus streitbare Interpretation gelungen. Ein gelungener Ausgangspunkt für die weitere Auseinandersetzung mit diesem Werk – als Theaterstück.
(Marcus Erb-Szymanski)
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