26. Januar 2001 GewandhausKurt Masur dirigiert Dun, Matthus, BrahmsTan Dun (geb. 1957):
Concerto for Water Percussion and Orchestra (In Memory of Toru Takemitsu), Solist: Christopher Lamb, PercussionSiegfried Matthus (geb. 1934): Der Wald. Konzert für Pauken und Orchester
Solist: Karl Mehlig, Pauken
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68Standing Ovations für den Altmeister
Masur mit zeitgenössischen Schlagwerkstücken und Brahms im Großen Concert
Es wurde dunkel im Gewandhaus, sphärische Klänge ertönten aus der Tiefe des Raumes, erzeugt von drei mit Geigenbogen gestrichenen „Waterphones“; Tan Duns Concerto for Water Percussion hatte begonnen. Als es dann – allmählich – wieder hell wurde und Haupt-Wasserschlagzeuger Christopher Lamb (Mitglied der New Yorker Philharmoniker) spielend auf seinen Platz an der Rampe des Konzertpodiums zuschritt, stand er bereits – um seinen Begrüßungsapplaus gekommen – am Pult: Maestro Masur, der das Werk vor gut anderthalb Jahren mit dem New York Philharmonic in der Avery Fisher Hall zur Uraufführung gebracht hatte. Nun also präsentierte er die Wasserspiele des in Amerika lebenden Chinesen in Leipzig, erstmals als „Gast“ vor seinem alten Orchester auftretend.
In die sphärische Anfangssequenz fallen schließlich harte Blechklänge ein, das Orchester fordert sein Mitspracherecht. Und immer wieder die diversesten, über Lautsprecher verstärkten Wasserklänge. Den drei, für das Publikum gut sichtbar vor dem Orchester postierten Schlagzeugern standen dafür große durchsichtige Wasserschalen, gleichsam mit Wasser gefüllte Paukenkessel, sowie andere – wasserhaltige – Hilfsmittel zur Verfügung. Da wurde geplätschert, auf im Wasser schwimmenden Holzgongs (so hatte es den Anschein) gespielt – Das Ganze locker arrangiert mit verschiedenen orchestralen Elementen (leicht ruppigen Streicher-Phrasen, Cello-Solo,…), bisweilen drapiert mit asiatisch anmutenden Versatzstücken (Trompeten- oder Tuttisätzchen, in denen schlichte Mixturtechniken Anwendung fanden). Auch das Orchester wurde übrigens einbezogen in die Erforschung ungewohnter akustischer Welten: so hatten die Blechbläser mit der flachen Hand (eher sanft) auf ihre Instrumente zu schlagen oder die Holzbläser ihren Mundstücken kreischende Klänge zu entlocken. Höhe- und Schlußpunkt des feuchten Concertos: zum finalen Orchesterakkord läßt Lamb das flüssige Lebenselement durch ein in die Höhe gehaltenes Sieb zu Tale rieseln.
Ein wohl doch sehr amerikanisches, experimentelles, streckenweise durchaus unterhaltsames Stück. Der europäische Konzertgeher mag sich freilich fragen, ob die kompositorische Substanz für ein mehrsätziges, etwa halbstündiges Werk reicht (und damit vielleicht eine falsche Frage stellen…).
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Es folgte das Paukenkonzert aus der Alten Welt: Siegfried Matthus´ dreisätziger „Wald“. Ein Stück aus Masurs deutscher Biographie, 1988 – drei Jahre nach der Dresdner Uraufführung – leitete der bekanntermaßen in engerem Kontakt zum Komponisten stehende Gewandhauskapellmeister die Leipziger Erstaufführung. Hier nun hatten wir es mit einer symphonisch gearbeiteten Partitur von mancherlei klanglichem Reiz zu tun. „Dumpfe“ Paukenklänge stehen zu Beginn des Stückes, bald verweist ein fast romantisch anmutender Hörnersatz gewissermaßen auf den Titel des Werkes. Etwas später „Waldweben“ der Streicher, großes Hornsolo. Heftigere Paukenaktivität führt dann zu ersten Orchester-Ausbrüchen – Im zweiten Satz fielen insbesondere attraktive Klangeffekte der Streicher auf. Virtuose Pauken-Kadenzen, von Karl Mehlig in gewohnter Souveränität ausgeführt, gliedern das Werk, indem sie die einzelnen Sätze voneinander separieren. War es dem Komponisten ein Anliegen, gesellschaftliche Probleme wie Waldsterben zu thematisieren? Jedenfalls könnte die Überschrift des dritten Satzes „Protest“ in dieser Richtung verstanden werden. Ganz in in typischem Finalgestus ist dieser abschließende Satz (zunächst) gehalten, rasch bewegt, fast rauschend – die Pauken mischen entsprechend mit -; aber: er endet verhalten, verhaucht leise in den Streichern – ein Memento für den Wald. Gewiß, ein eher traditionelles Werk (Matthus hat wohl Avancierteres geschrieben), das aber auch heute noch eine musikalische Begegnung wert ist.
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Vielleicht kein Zufall, daß Masur nach der Pause jene große romantische Symphonie aufs Programm gesetzt hatte, in deren Eröffnungspartie die Pauke so markant in Erscheinung tritt: die Erste von Brahms. Schwer hatte der Komponist um seinen symphonischen Erstling gerungen, einige Jahre vor der Fertigstellung des Opus 68 bekannte er seinem damaligen Freund Hermann Levi, dem späteren Uraufführungsdirigenten des „Parsifal“, wie lähmend es sei, wenn man „immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört“. So mag der nie um ein Aperçu verlegene Hans von Bülow durchaus nicht ganz daneben gelegen haben, als er – auf Brahms´ c-moll-Symphonie gemünzt – von der Zehnten Beethoven sprach.
Masur hielt freilich das unerbittliche Brahmssche Paukenostinato etwas im Hintergrund, ein wenig (zu) weich klang hier das Instrument. Auch den Beginn des Allegro-Teils würde Rezensent sich bohrender, schärfer, leidenschaftlicher denken. Und läßt man die ganze Darstellung der Symphonie Revue passieren, mag man vielleicht sagen: Manche Streichereinsätze hätten präziser sein können, ja überhaupt hätte sich manches intensiver, was die Konturen angeht, zur Geltung bringen lassen können. Natürlich gab es gleichwohl viele schöne Momente. Sehr organisch die Steigerungen im dritten Satz – diesem kleinen Satz, der sich so gar nicht in die Tradition symphonischer Scherzi stellen lassen will (und mit dem Brahms wohl einen neuen Typus von symphonischem Mittelsatz schuf). Wunderbar verstand es Masur, an jenem entscheidenden Punkt des Finales, da das tröstliche (Alp-)Hornsolo den Satz in eine neue Richtung zu lenken vermag, die entsprechende Stimmung zu schaffen, bis hin zum herrlich weich intonierten Posaunenchoral wenig später. Üppig strömte dann das berühmte, so sehr – woraus Brahms nie einen Hehl gemacht hat – an Beethovens Neunte gemahnende Finalthema dahin. Ein Erlebnis auch, wie die Musik auf den Ausbruch der Stretta (in deren überschäumenden Schlußjubel noch einmal, jetzt machtvoll fortissimo, der Choral hineintönt) zudrängt, ein großer Augenblick für die Kontrabässe, die sich hier mit Fragmenten der „Freudenmelodie“ in die Höhe schrauben (das ist natürlich auch ungemein überzeugend und auf Überwältigung hin komponiert). Insgesamt freilich wurde an diesem Abend ein Brahms mit dem Breitzeichner geboten, durchaus kraftvoll, jedoch letztlich ohne Ecken und Kanten. Eine gute, gediegene Interpretation, aber wohl doch keine Brahms-Sternstunde.
Als Masur nach beendigter Sinfonie dann wieder auf sein Pult zuschritt, erhoben sich Etliche spontan von ihren Sitzen, fast der ganze Saal folgte nach. Da war es klar: Die Leipziger huldigtem i h r e m Gewandhaus-Ehrendirigenten.
(Wolfgang Gersthofer)
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