01. Februar 2001, Gewandhaus, Großer SaalLeonard Slatkin dirigiert Ives, MacMillan und ElgarCharles Ives (1874-1954): The Unanswered Question; Central Park in the Dark
James MacMillan (geb. 1959): Veni, veni, Emmanuel. Concerto for Percussion and Orchestra
Solistin: Evelyn Glennie
Edward Elgar (1857-1937): Sinfonie Nr. 1 As-Dur op. 55Temperamentsbündel am Schlagzeug
Evelyn Glennie mit MacMillans „Veni, veni, Emmanuel“
unter Leonard Slatkin im Großen Concert – dazu Ives und Elgar
Im Gewandhaus scheint derzeit das Schlagzeugfieber ausgebrochen: Nach dem letztwöchigen Doppelpack Tan Dun/Matthus hatten wir nun Gelegenheit, das Concerto for Percussion and Orchestra „Veni, veni, Emmanuel“ des jungen schottischen Komponisten James MacMillan kennenzulernen. Und mit Evelyn Glennie durften wir auch jene Solistin erleben, für die das Konzert komponiert worden war und die es 1992 in der Royal Albert Hall aus der Taufe gehoben hatte. Ein Erlebnis war es in der Tat; die schottische Schlagzeugerin nahm gefangen vom eröffnenden energischen Gongschlag und dem ersten wilden Xylophon-Solo an. Dieser fulminante Beginn von MacMillans Concerto exponierte auch sogleich einen vielschichtigen Orchestersatz. Und wenn MacMillan im folgenden Glennie alle Register ihres Könnens ziehen läßt, also einen äußerst abwechslungsreichen, das vielfältige Instrumentarium auskostenden Schlagzeugpart schreibt, so vernachlässigt er doch nie die orchestrale Seite seines Konzerts. Da gab es durchgestaltete ?Dialoge? zwischen Streichern und Blechbläsern, clusterartige Streicherauffächerungen, helle Trompeten-Akkorde etc. etc. Leonard Slatkin hatte offensichtlich dafür gesorgt, daß das gut aufgelegte Gewandhausorchester sich trefflich in diesen Stil fand.
Fast über die ganze Breite des Podiums bauten sich Evelyn Glennies Arbeitsplätze auf. Sie mußte sich bald vom rechts plazierten Xylophon auf die linke Seite begeben, wo sie an einer beeindruckenden Batterie verschiedenster Trommeln etc. ein wahres Feuerwerk entfesselte. Glennie bestach durch rhythmische Präzision, wache Energie wie auch durch reiche dynamische Abstufungen. Eine Ausnahmekünstlerin! Ihr großes, teils von zarter Streicher-Musik begleitetes Marimba-Solo (selbstredend mit zwei Schlägeln pro Hand ausgeführt) stellte gewissermaßen die ruhige Mitte des Werkes dar. Reizvoll war es auch, wie das blondmähnige Temperamentsbündel im Vordergrund bisweilen quasi mit Gewandhaus-Chefpauker Karl Mehlig im Hintergrund – auch er hatte stellenweise ordentlich zu tun – duettierte. Ein Moment, das MacMillan einmal mehr als interessanten Komponisten auswies. Gegen dieses hochstrukturierte Werk mutet Tan Duns Concerto for Water Percussion im Rückblick wie eine nette Spielerei an.
Der Titel, den MacMillan seinem Schlagzeugkonzert gab, verweist auf ein französisches Adventslied aus dem 15. Jahrhundert; dieses gibt eine Art (abstrakte) Materialbasis für MacMillans Werk ab (hierher scheinen wohl die oben angesprochenen Trompeten-Akkorde zu gehören). Aber auch ohne das Wissen um diese Bezüge läßt sich MacMillans Concerto for Percussion einfach als mitreißendes, (klang-)sinnlich erfahrbares, rhythmisch vitales Stück rezipieren. Die sozusagen liturgische Dimension des Werkes (MacMillan begann es am 1. Adventssonntag und stellte es am folgenden Ostersonntag fertig) wird wohl am deutlichsten spürbar im sehr originellen, jedoch keineswegs effekthascherischen, Schlußabschnitt: Ein irgendwie mystisches, vielgestaltiges helles Klingen hebt an. Endlich kann man dieses seltsame akustische Ereignis orten; es rührt aus dem Orchester her, denn Streicher wie Bläser werden jetzt zu lauter kleinen Schlagzeugern, die mit Zimbeln hantieren. Die Solistin schreitet unterdessen in den Hintergrund des Podiums, wo sie dann die Röhrenglocken anstimmt. Mit einem gewaltigen Crescendo beider Klangschichten endet das bedeutende Werk, das wohl als eine der interessantesten Gewandhaus-Entdeckungen in letzter Zeit gelten kann.
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Zuvor hatten die beiden Ives-Klassiker „The Unanswered Question“ und „Central in the Park“ – 1906 als Werkpaar konzipiert – den Gewandhausabend eröffnet. Sanft leuchtend ließ Slatkin den Streicherteppich anheben, der sich ppp durch die ganze „Unanswered Question“ zieht; man hatte für dieses Werk offensichtlich die überarbeitete Fassung aus den 30er Jahren gewählt, in welcher die mehrmals die ewige Frage stellende Trompete (sie erklang mitten aus dem Gewandhaussaal) dynamisch weitgehend, auf Piano-Niveau, eingeebnet ist (während die Einwürfe des Flötenquartetts nach wie vor dynamisch sich steigern sowie rhythmisch immer aufgeregter werden). Erst 1946 übrigens waren die beiden Stücke des „Hobbykomponisten“ – Ives ging bekanntlich einem seriösen Job als Versicherungskaufmann nach – uraufgeführt worden.
Nach der Pause stand Edward Elgars etwas pompöse erste Sinfonie auf dem Programm (1908), von Arthur Nikisch einst als „Brahms´ Fünfte“ gepriesen. Allzu brahmsisch indes wollte dem Rezensenten das Werk nicht vorkommen. Es beginnt mit einer Art Motto-Thema in gemäßigtem Tempo – einer breiten typisch Elgarschen Melodie über schreitenden Bässen -, das dann auch im dritten und vierten Satz eine gewisse Rolle spielt. Natürlich tönt am Sinfonieschluß sein Material im Blech quasi apotheotisch durch. Slatkin griff in die Vollen, manchen Ohren mochten die Blechbläser mitunter (vor allem im Scherzo) ein wenig zu grob zu agieren. (Überhaupt dürfte die geschlossenere Orchesterleistung in MacMillans Concerto erbracht worden sein.) Vielleicht am eindrücklichsten geriet der langsame (dritte) Satz, insbesondere dessen ganze Schlußpartie mit ihren (nochmals) aufblühenden Streicherlinien bis hin zum letzten wunderbar zurückgenommenen Streicherauftritt samt den leisen Posaunen-Akkorden und dem kleinen – als allerletzte Schlußgeste fungierenden – Klarinettensolo (auf das zu Beginn des Finales die Baßklarinette zu antworten scheint).
(Wolfgang Gersthofer)
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