Frei stehend laufen

Die Stadt Leipzig hat einen Gedichtband über Hunde herausgegeben

Dass Leipzig Musikstadt ist, hat sich herumgesprochen. Aber Leipzig ist auch eine Stadt der Dichter, weil bei der Stadt Dichter sind. Im Ordnungsamt beispielsweise oder im Grünflächenamt. Und weil Kunst am besten gedeiht, wenn man Synergien nutzt, haben sich beide zusammengetan und ein Gedichtbändchen veröffentlicht. Ganz dünn, ganz fein. Sechs Leporello-Seiten ohne Reim, aber mit nachdrücklichen Versformen.

„Sehr geehrte/r HundehalterIn“ beginnt das erste Kapitel. Und gleich noch einmal „Sehr geehrte/r HundeführerIn“ – da doppelt sich die Emanzipation, wird durch Wiederholung der synthetischen Form mit Schrägstrich und großem I die Ausbeutung von Jahrtausenden, vom Mann an der Frau, von der Frau am Mann, von beiden am Hund und umgekehrt in zwei marmorne Zeilen gemeißelt.

Ein dramatischer Einstieg. Dramatische Fakten folgen, doch dann lächelt feiner Humor. So fein, dass er durch Gänsefüßchen als solcher gekennzeichnet wird. Hoppla – Ironie! „Schwarze Schafe“ stehen in denselben, weil sie nicht schwarz sind (jedenfalls nicht unbedingt) und auch keine Wolle spenden (meistens).

Und diese interpunktorische Konsequenz setzt sich fort. So ist beispielsweise vom „Austoben“ von Hunden in An- und Abführung die Rede, weil die dafür vorgesehenen Flächen Freilaufstandorte heißen – ohne Gänsefüßchen. Was bedeutet, dass man an diesen Orten zum Freilaufen stehen muss. Und das trifft die Größenordnung der so getauften Areale ziemlich genau.

Schwieriger einzusehen ist die Formulierung Ablegen (ohne An- und Abführung) der „Hinterlassenschaft“ (mit). Denn ablegen tun Hunde nicht wirklich, aber sie lassen hinter. Hinterm Hintern sogar. Aber derlei Unschärfen schaffen erst Raum für Poesie, erst das Geheimnis ermöglicht Kunst – auch wenn es um ein ernstes Thema geht, um „Hinweise zum Umgang mit Hunden“.

Mittlerweile liegen die „Hinweise zum Umgang mit Hunden in der Stadt Leipzig“ in einer poesielosen Neufassung vor.

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