13.02.2001 Gewandhaus – Großer Saal
Sinfonieorchester des Mitteldeutschen Rundfunks
Dirigent: Manfred Trojahn, Solist: Patrick Gallois
Manfred Trojahn: „Cinq Épigraphes“ für großes Orchester/Konzert für Flöte und Orchester
Maurice Ravel: „Alborada des gracioso“, „Une Barque sur l´océan“ aus „Miroirs“ für Orchester / „La Valse“ Poéme choréographiqueDer Trojahnische Krieg im Walzertakt
Manfred Trojahn als dirigierender Komponist zu Gast im Gewandhaus
Es gibt Schriftsteller, die sich vor ihren eigenen Werken fürchten. Elias Canetti beschreibt in seiner Autobiographie, dass er, wann immer er seine Komödie „Die Hochzeit“ gelesen oder gesehen hat, es mit der Angst zu tun bekam. Denn sobald sich das Stück dem Ende näherte, bricht eine, um nicht zu sagen „die“, Wiener Gesellschaft mitsamt ihrem Haus zusammen und alles geht vor die Hunde.
Gib es auch Komponisten, die sich vor ihren eigenen Werken gruseln müssen? Einige hätten sicher allen Grund dazu… Zum Beispiel Maurice Ravel mit seinem „La Valse“. Doch in dem Fall nicht, weil das Werk so schlecht wäre, sondern weil es eine ganz ähnliche Struktur, wie Canettis ?Hochzeit? hat. Der Walzer, Sinnbild des heilen Wien, schaukelt sich allmählich immer weiter auf, bis ihn jähe Dissonanzen ins Verderben stürzen.
Nun war es wieder mal so weit. Manfred Trojahn, Komponist und Dirigent, krönte seine Visite beim MDR-Sinfonieorchester mit diesem – einem der wenigen – Schlager, die das 20. Jahrhundert aus dem Bereich der E-Musik hinterlassen hat. Auffallend bei seiner Interpretation war das Fehlen jeglicher Eleganz, Koketterie und Schwelgerei. Dadurch verändert sich natürlich auch die grundlegende Dramaturgie des Stückes, zumindest die, die man gemeinhin bei ihm kennt.
Trojahn lässt den Walzertakt erst eine Weile zappeln, bis er so richtig zum Vorschein kommen darf. Und diese Unterdrückung des Rhythmus erzeugt gleich zu Beginn eine solche Unruhe und Spannung, dass sie sich, wenn sie denn endlich darf, auf fast schon martialische Weise entlädt. Doch wer glaubt, nachdem sich der Walzer endlich die Bahn gebrochen hat, dürfe sich alles im Dreivierteltakt wiegen, der irrt. Die Stellen, wo sich?s am schönsten drehen könnte, wirken eher ein wenig fußlahm und so nimmt es auch nicht Wunder, wenn erbarmungslose Blecheinsätze dem Walzerprinzip den Genickschlag versetzen (Trojahns Handbewegungen sprechen da eine eindeutige Sprache).
Trojahn stellt in „La Valse“ zwei Prinzipien gegenüber: das Melodische und das Rhythmische. Macht jenes aus dem Dreivierteltakt den Walzer, so macht dieses daraus eher so etwas wie eine kriegerische Leibesübung. In jenem Gegenüber muss natürlich der Walzer unterliegen, aber er verliert nicht als Repräsentant des musikalischen Frohsinns, sondern gleich als Repräsentant der ganzen traditionellen Musik, soweit sie zumindest melodisch bestimmt ist. Demgegenüber siegt das Rhythmische als ein unaufhaltsames „Allegro barbaro“, welches dem Alten endgültig den Garaus macht. Und je mehr Trojahn als Dirigent das Melodische verlassen und sich dem Rhythmischen hingeben kann, desto zwingender wirkt seine Konzeption und sein Dirigat. Das Ende duldet nicht einmal ein Aufbäumen des Walzers mehr, auf dessen letztes Zucken gnadenlos die Speerspitze in der Rechten des Dirigenten niederfährt – der Schlussakkord fällt, der Feind liegt, das Spiel ist aus.
Aus dem Untergang des Abendlandes, oder doch wenigstens der heilen Walzerwelt, wird bei Trojahn eine Verjagung der alten Musik durch die neue. In dieser Hinsicht wird aus „La Valse“ eine Art Hörspiel zum Sujet des Deckengemäldes im Saal des Gewandhauses von 1781 und aus Ravel ein trojahnisches Pferd… Nur sei die Frage erlaubt, was das Neue nun statt dessen bringt?
Auf diese Frage hatte Trojahn bereits eine Antwort gegeben. Als dirigierender Komponist war er natürlich auch deshalb gekommen, um eigene Werke vorzustellen. Die „Fünf Epigraphe“ für großes Orchester nach mehr oder weniger programmatischen Verszeilen von René Char bemühen sich um atmosphärische Dichte und wecken durchaus auch lebhafte Assoziationen: Leise Schritte durch eine flüsternde Welt, ein schrilles Klangfeuer, vom Schlagzeuger ständig neu entfacht und am Leben erhalten, und mitunter auch eine Konsequenz in der rhythmischen Bewegung, die die Unerbittlichkeit von herannahenden Katastrophen besitzt. Dennoch ist die ästhetische Grundhaltung dieser Stücke, eine Grenzgängerromantik für das Niemandsland zwischen Stille und Laut (die um die Entstehungszeit dieser Stücke – Ende der 80er – Mode war), durchaus problematisch. Und das deshalb, weil sie aufs große Orchester angewandt, nicht realisierbar erscheint. Nicht nur, weil der Raum zu groß ist und die Stille verfliegt, sondern auch, weil meistens nur sehr wenige Musiker beschäftigt sind. So sitzt denn der Großteil die ganze Zeit nur untätig rum, und diese Untätigkeit vertreibt die Stille, die man nicht mit Nichtstun oder Leere verwechseln sollte. Letztere bekommt man in Leipzig – angesichts der hiesigen Verweigerungshaltung gegenüber Neuer Musik – sowieso gratis…
So bleibt noch das Flötenkonzert abzuklopfen auf der Suche nach den Neuigkeiten der neuen gegenüber der alten Musik. Hier spricht allein schon die Besetzung Bände: vier mal Schlagzeug und dafür nur noch fünf Geigen. So schauts aus mit der ausgleichenden Gerechtigkeit im 20. Jahrhundert. Der Part der Soloflöte besteht vom ersten bis zum letzten Takt aus virtuosem Laufwerk, so dass dem Hörer schier der Atem stockt. Begleitet wird mit einer Fülle von Anspielungen: rhythmische Floskeln frei nach Strawinsky, Mahlersche Ländleratmosphäre, expressionistische Gesten. So wie die Struktur durch die Alternation solcher assoziativen Andeutungen zerfällt, vereinzeln sich auch die Instrumente im Orchester. Allein der straffe Rhythmus hält das Ganze zusammen. Wirklich originell ist dagegen ein langer Solopart der Flöte im Schlusssatz, der allein durch die vier Schlagzeuger begleitet wird. Eine solche Verbindung der ältesten mythologischen Instrumente vermag durchaus so etwas wie eine ursprüngliche Kraft in der Musik zu wecken.
Ansonsten fordert am meisten die Solistenartistik zum Applaus heraus. Und eines kann man wirklich sagen: Gegen diese Art, das Instrument zu behandeln, ist die ganze klassische Konzertliteratur allenfalls eine Propädeutik des Flötenspiels. Bloß gut, dass es so fabelhafte Virtuosen wie den Solisten Patrick Gallois gibt. So brauchen die Komponisten nämlich nicht um ihr Fortkommen fürchten. Aber einem armen dilettierenden Blockflötenlehrling, wie er so zwischen den wenigen Zuschauern sitzen mag, weil er meint, ein Flötenkonzert zu hören, sei doch bestimmt seinem Fortkommen zuträglich, wird mit Sicherheit Himmelangst bei der ganzen Sache werden.
(Marcus Erb-Szymanski)
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