Sächsische „Bruckner-Woche” (Wolfgang Gersthofer)

27. Februar 2001, Semperoper Dresden

Sächsische Staatskapelle Dresden – Dirigent: Bernard Haitink
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie D-Dur KV 504, „Prager“
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 3 d-Moll, 2. Fassung von 1877
Sächsische Brucknerwoche

3. Sinfonie in der Semperoper unter Haitink, 8. im Gewandhaus unter Blomstedt

Die 9. Kalenderwoche 2001 stand an den beiden repräsentativen sächsischen (Konzert-)Kunsttempeln im Zeichen Anton Bruckners. So konnte man in der Semperoper des oberösterreichischen Meisters 3. Sinfonie, die er bekanntlich dem Schöpfer des „Tristan“, dem „unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst in tiefster Ehrfurcht“ gewidmet hat, hören. Dazu war Bernard Haitink angereist, der in regelmäßigen Abständen mit der Sächsischen Staatskapelle konzertiert (und nach dem dienstäglichen Konzert mit dem Orchester zu einer kleinen Tournee – Amsterdam, Brüssel und England – aufbrechen sollte). Man hatte die 2. Fassung (1877) dieser meistumgearbeiteten Brucknersinfonie gewählt, in ihr hat der Komponist die auffälligen Wagnerzitate, insbesondere die zur Kopfsatzreprise führenden „Schlafakkorde“ aus der „Walküre“, zwar eliminiert, aber mit dem „Nachtwächterhorn“ kurz nach dem Durchführungshöhepunkt eine neue kleine Wagner-Anspielung (2. Akt „Meistersinger“) ,hineingeschmuggelt (die nun wiederum in der 3. Fassung, 1889, fehlt). Ansonsten straffte Bruckner sein Werk formal, vor allem im – nach wie vor etwas kantig-sperrigen – Finale, das von den 764 Takten der Erstfassung (1873) auf 638 Takte gebracht wurde (1889 waren es dann nurmehr 495 Takte).

Haitink ging den Kopfsatz mit großer Ruhe an, ließ die brucknerschen symphonischen Teilwellen sich mit weitem Atem entwickeln. Ganz weich eingebettet in den Streicherteppich (und die pp-Holzbläserwand!) erklang das anfängliche Trompetenthema. Ihm antwortete – in Gegenwölbung – sogleich das Solohorn, mit ganz charakteristischer, leicht melancholisch eingefärbter (gleichwohl ,großer!) Tongebung. Ja, natürlich saß er da am 1.Pult, Hornlegende Peter Damm. Und er blies, so wollte es einem scheinen, hätte man ihn nicht so oft schon ähnlich gehört, den Bruckner seines Lebens. Es wurde immer wieder zu einem Erlebnis, wie da ein einzelner Ton – etwa nach dem zweiten Tutti-Ausbruch des Anfangskomplexes – einfach im Raum stand (die herrliche Akkustik des Semperbaus tut hier in übriges!), innig und völlig natürlich, als müß? es genau so sein. Oder wie eine Hornphrase den Streichersatz bereichernd überformte (Anfangsphase des Seitenthemas). Fast geriet die III. Bruckner hier zum Hornkonzert; jedenfalls ließ Peter Damm einen immer wieder aufhorchen (ohne je aufdringlich zu sein!) und so bewußt wie selten wahrnehmen, welch große Fülle an bemerkenswerten Hornstellen diese Partitur birgt. Dezent tönt das 1. Horn – um nur noch ein Kopfsatzdetail herauszuheben – in die sakrale Streicherruhe vor der Durchführung hinein. Wie nun Haitink aus dieser Situation heraus in mehreren Ansätzen die Durchführung in Gang zu bringen wußte, das legte ein eindringliches Zeugnis seiner großen gestalterischen Fähigkeiten ab. Anfangs, in den ersten beiden von leisen (auf den Sinfoniebeginn verweisenden) Streicherbewegungen durchzitterten Teilwellen, vermochte er dabei jene brucknertypische Stimmung, die man als mystisches Raunen umschreiben könnte, heraufzubeschwören. Und aus dem „Pizzicato-Geheimnis“ des dritten Ansatzes erwächst dann schließlich – nach über 40 Takten – die monumentale Unisono-Präsentation des anfänglichen Trompetenthemas (s. o.). In der langen folgenden Höhepunktsausbreitung, da sämtliche Bläser den Themenkopf weiter verarbeiten, hielt Haitink die Spannung, nicht zuletzt da das gleichzeitige tremolierte Streicher-Rasen stets bestens zu vernehmen war! (In diesem Zusammenwirken der beiden Ebenen des orchestralen Satzes – akkordische Bläser gegen unisone bewegte Streicher – gewahren wir ein typisches Bruckner-Partiturbild.)

Wie schon in den lyrischeren Partien des Kopfsatzes konnte die Kapelle ihren edlen Streicherklang nun im langsamen Satz eingehend entfalten. Stellvertretend sei hier nur der großen, den zweiten Formteil eröffnenden Bratschenmelodie gedacht, die wie aus einem Guß, dabei biegsam und wunderbar ausphrasiert daherkam. Ganz besonders im Gedächtnis blieb in Haitinks Dresdner Darbietung des Adagios auch die (intensive) letzte Steigerung samt dem breitauströmenden, blechglänzenden Höhepunkt, in dessen Schatten über tremolierenden Streichern helle Holzklänge von einem dunklen Hornsatz (ppp) abgelöst wurden. Und da war er neuerlich auf dem Damm, der heimliche Solist des Abends, der erste Hornist, der mit seiner Solophrase die – weitläufig ausgestaltete – Schlußtonika des Satzes herbeiführte.

Haitink, der die blaue Partitur übrigens unaufgeklappt, quasi als Inspirationsquelle, auf seinem Pult liegenließ, stürmte dann kräftig zupackend durchs Scherzo, meißelte die nur unserer zweiten Fassung eigene Coda („fff sempre“ verlangt die Partitur) regelrecht heraus.

Wenn wir noch kurz auf Einzelnes im Finale verweisen wollen, um vielleicht weitere Facetten dieses Dresdner Bruckner-Dirigats, mit dem man rundum glücklich sein durfte, herauszustellen, so sei vor allem des ein wenig tänzerisch-rustikal anmutenden Seitenthemas Erwähnung getan, in dem Haitink die Streicher frei aufspielen (und die für eine sanft-dunkle Einfärbung sorgenden Posaunen unauffällig hinzutreten) ließ: Wie das lebt und schwingt, dachte man freudig bei sich. Und wo nötig spannte der Holländer die Zügel straffer wie in den letzten (einen großen Höhepunkt ausbildenden) Tuttitakten der Exposition, als er die Trompeten zu unerbittlichem Repetieren ihrer scharf punktierten Akkorde animierte.

***

Zwei Tage später konnte man dann im Gewandhaus die späte c-moll-Sinfonie des Meisters, die kolossale Achte, hören. Und Gewandhauschef Herbert Blomstedt (der sich für die weitgehend an der 2. Fassung von 1890 orientierten Haas´sche „Mischfassung“ entschied) führte uns doch einen etwas anderen Bruckner vor. Einen Bruckner in sehr transparentem Klangbild (das etwa einige Klarinetten-Nebenstimmen gut durchklingen ließ), mit manchmal sehr „direkten“ Blecheinwürfen. Bisweilen mochte man bei einigen Partien im Pianissimo/Piano-Bereich – wenn wir beispielsweise an den Beginn der Kopfsatz-Durchführung denken – ein bißchen die geheimnisvolle Atmosphäre vermissen. Ein – wie manche wohl sagen würden – stellenweise entzauberter Bruckner. Aber auch einer mit zwingenden Steigerungen; so war der dreigliedrige Satzhöhepunkt, der irgendwie Durchführungskulmination und Reprisenanhub ineins darstellt (das Hauptthema tritt jeweils eine Terz höher massiv in den tiefen Bläsern und Streichern ein), mit allem notwendigem Applomb ausgestattet. Von den Einzel-Bläsern fiel im ersten Satz vor allem die 1. Oboe ins Ohr.

Nach dem interpretatorisch vielleicht ein wenig unprofilierten Scherzo – Bruckner stellte es hier erstmals nach dem Muster von Beethovens Neunter an die zweite Position im Zyklus (wie später auch in seiner eigenen Neunten) – konnte der langsame Satz dann, vielleicht der gewaltigste der symphonischen Literatur – den großen entsprechenden Mahlerschen Sätze (III. und IX.) kommt als das Werkganze beschließenden eine andere formale Funktion zu -, vollauf überzeugen. Denn Blomstedt, wie sein holländischer Kollege in Dresden auswendig dirigierend, gelang es durchaus, über dieses halbstündige (in aller Ruhe genommene) Riesenadagio einen Bogen zu spannen, die im Grunde einfache Formidee des Satzes nachfühlen zu lassen wie auch die „feierlich langsame“ Grundstimmung über dem synkopierenden Triolenteppich der mittleren Streicher, der aus dem zweiten „Tristan“-Akt zu kommen scheint („O sink´ hernieder, Nacht der Liebe“), zu erzeugen.

Vielleicht hätte man sich das traumhafte, den zweiten Formkomplex initiierende Cellothema bei jenem ersten Erscheinen noch eine Spur unirdischer gewünscht; bei seinem zweiten Auftreten jedenfalls (im vierten der fünf Großteile des Satzes), als sich sogleich ein dichteres Gewebe entspinnt, in das Klarinette, dann Oboe thematisch einbezogen sind (auch, mit einer Gegenphrase, ein kleiner Teil der Violinen), blieben diesbezüglich eigentlich keine Wünsche offen. (Aber es mag auch zur Dramaturgie des Adagios gehören, daß jenes Cellothema beim zweiten Mal zarter sich präsentiert). Nicht zuletzt hatte Blomstedt durch die – jenem vierten Formteil unmittelbar vorausgehende – wie ersterbende Klarinettenphrase dem entrückten Anheben der Cellomelodie atmosphärisch vorgearbeitet.

Im ersten (modifizierten) Wiederaufgreifen des Anfangsteiles, im dritten Großteil also, bestach der große, kontinuierliche Steigerungszug, während im fünften Großteil (zweite, weiter modifizierte Wiederaufnahme des ersten thematischen Komplexes), dessen Beginn aufgrund der motivischen Verstärkung durch Klarinetten und Horn (und der leichten Belebung durch die Bratschen) in warmem Lichte erklang, dabei aber nach wie vor den Ton konzentrierter In-Sich-Gekehrtheit wahrte, ein immer wieder neuerliches Andrängen in sozusagen kleinteiligeren Wellenzügen zu bewältigen ist. Blomstedt scheute sich hierbei nicht (ohne je das Ganze aus dem Blick zu verlieren), die teilweise schroffen dynamischen Wechsel so erbarmungslos herauszumodellieren, daß diese ganze Partie fast bis zur Zerklüftetheit getrieben wirkte. Endlich wird dann der durch Beckenschlag und Triangel markierte absolute Satzhöhepunkt erreicht, bevor im langen ungemein tröstlichen Epilog des Satzes die Hörner und – vor allem ganz am Schluß – die Tuben (bekanntlich wechselt in der Achten, nach dem Muster des „Rings“, das zweite Hornquartett für das ganze Adagio und für einige Passagen des Kopf- und Finalsatzes zu Wagner-Tuben über) ein wichtiges Wort mitsprechen.

Nach diesem ruhigen Ausklang des dritten Satzes kam der blechgepanzerte Finalbeginn geradezu fulminant zur Geltung! Man fühlte sich wieder in eine andere Welt versetzt. Es war eine Freude, der entfesselten Gewandhaus-Blechgruppe zuzuhören, den „satten“ Hörnern und Posaunen samt Baßtuba, denen das breit anhebende Hauptthema zufällt mit den zupackenden Doppelpunktierungen im weiteren Verlauf, sowie den später, mit dem Schlußton der Hörner- und Posauenlinie, einsetzenden fanfarenschmetternden Trompeten! Auch ansonsten machte das Blech in diesem Finale eine glänzende Figur, etwa über dem großen Pauken-Ostinato oder beim makellos intonierten Hörner/Trompeten-Choral wenige Minuten später. Und Blomstedt ordnete die schönen klanglichen Details einem das ganze Finale durchpulsenden Zug, der vom stürmischen Elan des Satzbeginns getragen schien, ein. Wenn wir ein Fazit zu ziehen versuchen, können wir somit festhalten, daß auch dieser Leipziger Bruckner, auf seine Weise, vor allem in den letzten beiden Sätzen zu einem anregenden großen Kunsterlebnis wurde.

Der nachdenkliche Brucknerfreund mochte sich beim akustischen Nachvollzug der Finalcoda der Achten – einmal mehr – fragen, ob diese Übereinandertürmung von Themen bzw. Themenausschnitten aus allen vorausgegangenen Sätzen (in entsprechend „zubereiteter“, vereinfachter Form) wirklich eine glückliche kompositorische Lösung darstelle, oder ob ein „einfacher Durchbruch“ wie in der dritten Sinfonie (hier bricht sich im Schlußabschnitt des Finales das Trompenthema des Sinfonieanfangs, in Dur-Version natürlich, Bahn) am Ende nicht wirkungsvoller sei.

(Wolfgang Gersthofer)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.