Wolfgang Amadeus Mozart: „Idomeneo” (Wolfgang Gersthofer)

11. März 2001 Theater Altenburg, Großes Haus

Wolfgang Amadeus Mozart: ?Idomeneo?

Dirigent: Gabriel Feltz
Inszenierung: Stephan Blüher
Ausstattung: Hartmut Henning
Choreinstudierung: Günter Heinig

Idomeneo: Günter Neumann (Gesang)/
Mathias Schulz (Spiel)
Idamantes: Vivian Hanner
Elektra: Danuta Debski
Ilia: Sabina Martin
Arbace. Günter Markwarth
Oberpriester: Omar G. Garrido Mendoza
Stimme des Orakels: Hugo Wieg

Intensive Mozartklänge zwischen Trümmern und Treppen

?Idomeneo?-Premiere mit königlichem Einspringer in Altenburg


Es ist häufig das Verdienst mittlerer und (kleinerer) Häuser, immer wieder auch Opern zu zeigen, die als etwas abseits der ausgetretenen Repertoirepfade gelegen einzustufen sind. Zu diesen nicht ständig auf den großen Opernbühnen präsenten Werken muß noch immer Mozarts Münchner Meisteroper ?Idomeneo? ? im Auftrag des bayerischen Kurfürsten für die Karnevalssaison 1781 komponiert ? gezählt werden. Die Semperoper hatte sich kürzlich lediglich an eine nur dreimal erklungene konzertante Produktion gewagt (Bericht dazu). Jetzt stand das Drama um den kretischen König und sein unmenschliches Opfergelübde (das schließlich seinen eigenen Sohn betreffen wird) in der ostthüringischen Theaterehe Altenburg-Gera zur (szenischen) Premiere am zweitem Spielort an (die Geraer Premiere hatte vor gut einem Monat stattgefunden). Und wenn dann eine so vergleichsweise selten gespielte Oper nicht in der (italienischen) Originalsprache gegeben wird, kann es schon mal zu gewissen Komplikationen kommen ? Der erfahrene Opernbesucher hat es bereits oft erlebt: Vor dem eigentlichen Beginn tritt ein Mitarbeiter des Hauses in Zivil vor den Vorhang (oder vor den bereits enthüllten Bühnenaufbau), schürt zunächst kurz die schlimmsten Befürchtungen, um dann sofort ? dramaturgisch wirkungsvoll ? dem Zuschauer das wohlige Gefühl zu vermitteln, gerade noch einmal knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt zu sein. Fast immer kann man darauf wetten, daß es sich im folgenden um die Ansage der klassischen Doppelrollenlösung handelt: ein (in der Regel stockheiserer) Sänger verkörpert die Rolle auf der Bühne, während ein erst seit wenigen Stunden in der Stadt befindlicher Ersatzsänger (der die Inszenierung nicht kennen kann) von der Seite her die Töne beisteuert. So also auch jetzt in Altenburg, wo es den heimischen Titelhelden erkältungsmäßig erwischt hatte. Der erste Herr in Zivil war immerhin Operndirektor (und Regisseur) Stephan Blüher, der zweite ? als Retter der Vorstellung ? Kammersänger Günter Neumann von der Komischen Oper Berlin, wo er längst im großen Heldenfach, z. B. Rienzi oder Hermann (?Pique Dame?), zuhause ist.

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Mögen auch manche Opernliebhaber in den Arien den italienischen (Text-)Schmelz vermißt haben, es hat sein Gutes, ein Stück wie ?Idomeneo? in deutscher Textfassung zu bringen. Nicht nur ist der dramatische Verlauf insgesamt leichter zu verfolgen, vor allem für die in dieser Oper reichlich eingesetzten Accompagnato-Rezitativen wirkt sich, da Mozart in ihnen mitunter musikalisch recht präzise auf textliche Details, auf Stimmungsumschwüngen etc. eingeht, jene Entscheidung positiv aus (was den Mitvollzug im einzelnen durch den nicht des Italienischen mächtigen Zuhörer betrifft).

Die Altenburger Bühne war mit Trümmern der Antike, Statuenbruchstücken insbesondere, versehen worden sowie mit einem schräggestellten, weit in die Bühnentiefe hineinführenden (und ins Proszenium hinausragenden) Stahlgerüst. Vor allem schienen die Möglichkeiten, die dieses mit zwei Treppenaufgängen versehene Gerüst bot, die szenische Phantasie des Regisseurs entfacht zu haben. So durften die Darsteller immer wieder sich während (oder vor) einer Arie eine Treppe (schnell oder langsam) ? wie in den muntersten Harry Kupfer-Zeiten ? emporarbeiten, auch mal von oben auftreten oder in emotional kritischen Situationen sich rennend auf dem Stahlsteg ausleben. Freilich vermochten diese ganzen (Gerüst-)Aktivitäten sich ? für Rezensenten ? zu keinem wirklich stimmigen Konzept zusammenzufügen. Damit als Hauptinszenierungsmittel war dem Stück über Machtmißbrauch, das der ?Idomeneo? auch ist ? der König verfügt, um eines zwar existentiellen (persönlichen) Vorteils willen (Errettung aus Seenot) über das Leben eines Untertanen ? letztlich wohl nicht beizukommen. Und mit jenen Trümmerrequisiten, zerborstenen Götterstatuen wohl, die vielleicht auf die Fragwürdigkeit der (überlebten) göttlichen (Opfer-)Gebote anspielen sollten, wurde kaum konkret inszenatorisch gearbeitet. Aber eigentlich ist es auch der Mensch Idomeneo, der versagt hat, und am Schluß ist es dann der Gott, welcher sozusagen menschlich reagiert und das junge, gleichwohl gereifte Paar inthronisiert.

Immerhin hatte Blüher sich durchaus des Zusammenfindungsprozesses der Liebenden angenommen und dabei einiges im Gedächtnis Bleibendes in Szene gesetzt: Als sich Idamante und Ilia während des 2. Akt-Marsches begegnen, geht sie ganz kurz auf seine Umfassung ein, um dann sofort ihre Hände zurückzuziehen. Die heftigen Flucht-Bewegungen Ilias während Idamantes erster Arie indessen (sie rennt halb die Treppe hinauf und ähnliches) waren wohl etwas zu viel des Guten.

Die sich zu Beginn des zweiten Aktes anbahnende Tochter-(Ersatz-)Vater-Beziehung sieht Blüher hingegen skeptischer, wenn er Idomeneo während Ilias Arie statisch abweisend verharren läßt:

Wenig nachvollziehbar im dritten Akt übrigens, daß Idamante bereits auf der Bühne (ganz in derem Vordergrunde) weilt, als Idomeneo ihn dem Priester und dem Volk gegenüber als Opfer bezeichnet bzw. dann vor allem, als der Chor hinter der Szene seine ?glorreiche Heldentat? feiert (Idamantes hat das von Neptun gesandte Ungeheuer erschlagen)!

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Das große Plus der Altenburg(-Gera)er Produktion waren eigentlich ? und das bedeutet bei dieser reichen Mozart-Partitur nicht wenig ? die Impulse, die vom Orchestergraben ausgingen. Denn hier hatte der junge Dirigent Gabriel Feltz, einer der Bewerber für den vakanten Posten des Altenburg-Geraer Generalmusikdirektors, vorzügliche Arbeit geleistet. In zügigem Tempo und voll innerer Spannung ließ er beispielsweise Elektras erste Arie ? eine der (nicht wenigen) wahrhaft erstaunlichen Nummern des 24jährigen ?Idomeneo?-Komponisten ? anheben. Oder verlangte den Altenburg-Geraer Orchestermusikern erfolgreich jene wilden Streicheraufschwünge ab, in denen die tiefenttäuschte Elektra nach der (für sie eben nicht) glücklichen Wendung kurz vor Ende des Stückes sich Luft macht. Und auch da, wo zurückgenommene Klangflächen gefordert sind, in einigen Accompagnato-Rezitativen also vor allem, hatte Feltz das Orchester im Griff: gerade der in äußerstem Piano aufgerollte Streicherteppich, der Idamantes ersten Accompagnato-Worten in der verhängnisvollen Begegnung mit dem Vater (1. Akt) unterlegt ist, zwang, eingespannt zwischen Forte-Gesten, zum Aufhorchen. Ein Musiker, der um die Vielfalt dieser ungemein ausdifferenzierten Partitur ernsthaft bemüht war!

Auch Günter Heinig hatte seinen Chor ? in keiner anderen Mozartoper gibt es für diesen so viel zu tun wie hier ? gut präpariert.

Für den sängerischen Glanzpunkt der Aufführung sorgte die junge Schweizer Sopranistin Sabina Martin in der Rolle der gelbgewandeten trojanischen Prinzessin. Schon in ihrem ersten, umfänglichen Accompagnato (Mozart scheint ein solches fast in programmatischer Absicht an den Beginn der Partitur gestellt zu haben) gab sie durch sorgfältige Textdeklamation und entsprechende stimmliche Nuancierungen Einblicke in das Seelenleben Ilias. Und, um ein zweites Detailbeispiel anzuführen, in der Arie zu Beginn des dritten Aktes bestach sie insbesondere durch sanft aufleuchtende Haltetöne. Der musikalischen Intensität, mit der Sabina Martin ihre Rolle ausfüllte, entsprach es, daß sie auch darstellerisch viel investierte: mit leidenschaftlicher Kraft verdrängte sie in der die entscheidende Wende des Dramas bringenden Szene Idamantes vom Opferstein.

Ihre Partnerin Vivian Hanner, die jenen kretischen Prinzen gab, hatte es da stellenweise schwer stimmlich wie darstellerisch mitzuhalten.

Danuta Debski als Elektra im edel-dunkelviolettem Kleid samt schwarzemUmhang konnte trotz des furios-packenden, wesentlich vom Dirigenten mitgetragenen (s. o.) Beginns sängerisch wohl am meisten in ihrer (lyrischen) 2. Akt-Arie mit den schön intonierten zarten Koloraturen überzeugen.

Günter Markwarth verlieh der Partie des als geschäftiger Zeremonienmeister agierenden Arbace charakteristisches Profil. Fast bedauerte man es da ein wenig, daß dem Vertrauten des kretischen Königs ? wie auch kürzlich in Dresden ? seine beiden Arien genommen waren. Gewiß gehören sie nicht zu den musikalisch oder dramaturgisch bedeutsamsten Passagen der Partitur, aber für das architektonische Gesamtgefüge einer ernsten Oper des Settecento, das eben nicht zuletzt aus den Abstufungen der einzelnen Nummern untereinander resultiert, sind sie doch nicht ganz unwichtig. Sie haben halt ihren Platz und ihre Funktion in einem wohlberechneten Ganzen. Arbace, der als ?confidente? in der Rollenhierachie unter den Hauptpartien rangiert, kommen nur instrumentatorisch weniger prachtvoll ausstaffierte Arien zu. So gibt die den zweiten eröffnende Arbace-Arie, die das Los des auch im herrscherlichen Unglück treuen Begleiters thematisiert, mit der alten (frühklassischen) Standardbesetzung Streicher, 2 Oboen, 2 Hörner gewissermaßen ein bescheideneres (Normal-)Maß vor (Arbaces Arie im dritten Akt wird gar nur von Streichern begleitet), von dem sich die ?exorbitante? folgende Ilia-Arie mit ihren vier konzertierenden Bläsern (Soloflöte, -oboe, -fagott, -horn) abhebt. Beginnt der Akt gleich mit dieser reichausstaffierten Arie, ist natürlich jene Abstufung dahin.

Schade eigentlich auch der (wohl schon bei der Münchner Uraufführungen realisierte) Strich im Klagechor des dritten Aktes, der diesem großartigen Chor ? für mein Gefühl ? doch etwas von seiner antikischen Monumentalität nimmt.

***

Und der kurzfristig eingesprungene Idomeneo von der Spree? Man muß es Günter Neumann zugute halten, daß er, obgleich sein letzter Bühnen-Idomeneo immerhin elf Jahre zurückliegt, die nicht leichte Aufgabe in Angriff nahm (was ihn natürlich von vornherein zum Sympathieträger machte); das tiefe Aufatmen, welches er nach Schluß der Vorstellung keineswegs verbarg (vielmehr durch Gesten unterstützte), war sicherlich echt. Für den Einspringer griff man auf die koloraturmäßig abgespeckte zweite Version der großen Herrscherarie im zweiten Akt zurück.

Neumanns kam dort am besten zur Geltung, wo Idomeneo in herrscherlicher Würde und Souveränität auftritt, insbesondere im klangprächtigen (Accompagnato-)Rezitativ, das in den großen Chorkomplex vom Ende des zweiten Aktes integriert ist. Wo freilich wahrhaftiger Mozartgesang vonnöten war, wie in den beiden großen Ensembles, dem Terzett des 2. und dem Quartett des 3. Aktes, oder im ruhigen Melos des Gebets aus dem Schlußakt, ließ sich schnell erkennen, daß dies ? von den Anforderungen des derzeitig durch Neumann sonst gepflegten Tenorfaches weit entfernt ? seine Sache nicht (mehr) ist. Aber wir können (und wollen) hier so streng nicht sein angesichts der besonderen Einspring-Umstände. Auch das Publikum im wunderschönen ehemaligen altenburgischen Hoftheater, das mit seinem anhaltendem und intensiven Beifall mehrere Solovorhänge erklatschte, honorierte dankbar, daß Kammersänger Günter Neumann die Meininger, pardon Altenburger ?Idomeneo?-Premiere gerettet hatte.

Weitere Vorstellungen: 23. März 2001, 19.30 Uhr


(Wolfgang Gersthofer)

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