Gespräch mit dem Pianisten Alexander Meinel

Alexander Meinel, Jahrgang 1971, studierte an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater Klavier und absolvierte das Meisterklassenstudium bei Professor Joel Shapiro. Konzerte führten ihn in zahlreiche deutsche Städte, die Baltischen Länder, nach St. Petersburg, nach Italien und in die Schweiz. Jetzt ist Meinel als Lehrbeauftragter an der Musikhochschule Leipzig sowie der Universität Halle tätig. Kerstin Rüllke sprach mit ihm.

Sie haben sehr früh, mit fünf Jahren den ersten Klavierunterricht erhalten. Dann haben sie eher Noten lesen gelernt als das Alphabet?

Sozusagen. Die ersten spielerischen Versuche am Klavier gingen schon mit zwei, drei Jahren los, und ich muß es meiner Mutter im Nachhinein danken, daß sie, als ich fünf war, auf die Idee gekommen ist, daß ich regelmäßig Unterricht bekommen sollte. Und ich bin froh, so einen einfühlsamen Lehrer wie Herrn Wolfgang Wendt gehabt zu haben.

Wann haben Sie daran gedacht, mehr daraus zu machen?

Eine Zäsur war mein Eintritt in die damalige Spezialschule für Musik in Halle, die ja auf ein Studium hinzielt. Das war mit Beginn der sechsten Klasse. Seitdem habe ich eigentlich nie wieder über andere Berufe ernsthaft nachgedacht.

1989 haben Sie Ihr Musikstudium in Leipzig aufgenommen, 1989 haben Sie aber auch Ihr Konzertdebüt gegeben.

Ich hatte das große Glück, daß sich schon vor Studienbeginn ein Hochschulprofessor, Professor Herbert Sahling, meiner Ausbildung angenommen hat, und dieses Konzert im Gewandhaus Leipzig war dann auch schon vor dem Studium. Daß man sein Instrument schon vor dem Studium beherrscht, das würde ich aber als die unbedingte Voraussetzung heutzutage ansehen. Das Studium sollte dann eigentlich nur noch dazu da sein, Interpretationseinsichten zu vertiefen, das Repertoire zu vergrößern und Kontakte zu knüpfen. Aber die wesentliche manuell-technische Basis muß vorher schon gegeben sein.

Sie haben außer Ihrer Ausbildung zum Konzertpianisten auch Dirigieren, Komposition und Liedbegeleitung studiert. Wie ergänzen sich der Pianist und der Liedbegleiter?

Es sind verschiedene Gebiete, aber auch nicht ganz gegensätzliche: Das hängt ja beides mit einer möglichst subtilen Klavierbehandlung zusammen. Gelegentlich Sänger zu begleiten fördert natürlich auch den Sinn für das Melodiöse im Solistischen, umgekehrt ist es auch für einen Begleiter nützlich, sich in der Sololiteratur auszukennen.

Haben Sie für Ihre pianistische Tätigkeit Vorbilder gehabt?

Ich habe mich vor allem an Schallplattenaufnahmen orientiert, dabei bevorzugt an Svjatoslav Richter und Emil Gilels, später dann auch an Wladimir Horowitz. Und von den jetzt noch lebenden höre ich mir sehr gern Krystian Zimermann an. Ich war auch sehr betroffen über den plötzlichen Tod von Friedrich Gulda. Außerdem habe ich noch ein nachhaltiges Erlebnis von einem Live-Konzert mit Keith Jarrett in Erinnerung. Da hat Jarrett so bewegend improvisiert, wie ich mir vorher nicht hätte träumen lassen.

Sie bevorzugen Werke der Klassik, Romantik und des 20. Jahrhunderts. Welche Lieblingskomponisten haben Sie?

Es gibt da allenfalls Lieblingsstücke, die sich aber oft ändern. Ich versuche die Stücke des jeweils nächsten Konzertes zu meinen Favoriten zu machen: In letzter Zeit waren das Bachs Goldberg-Variationen und Liszts h-Moll-Sonate.

Wie sind Sie denn zum Komponieren gekommen? Übers Improvisieren?

Anfangs schon, da versuchte ich Improvisiertes irgendwie festzuhalten. Im Studium hatte ich dann einen sehr umsichtigen Tonsatzlehrer, Professor Herrmann; der hatte nach meinem vorzeitigen Abschluß des Pflichttonsatzes gemeint, ich sollte doch öfter mal eine Kompositionsstunde nehmen. Das war zunächst ziemlich unregelmäßig, aber ich war doch froh, auf diese Weise einen Einblick ins 20. Jahrhundert zu bekommen.

Eine Komposition von Ihnen trägt den Titel „Chaconne“. Beziehen Sie sich in Ihrer Komposition auf den Barock?

In erster Linie ging es mir bei der „Chaconne“ darum, noch ein Stück zu schreiben, welches sich als Wettbewerbsstück gut eignet, welches die pianistischen Errungenschaften meiner Lieblingskomponisten Béla Bartók und György Ligeti aufgreift und sie dahingehend verwendet, den Zustand ungestümen Vorwärtsdrängens und der nachfolgenden Ernüchterung darzustellen. Der Titel „Chaconne“ bezieht sich eigentlich mehr auf das harmonische Grundgerüst innerhalb des Ganzen, und der Bezug zur ungarischen Tradition zeigt sich in den übermäßigen Intervallschritten, die bevorzugt vorkommen und auch in rhythmischen Eigenschaften, wie sie von Bartók und Ligeti gepflegt worden sind.

Sie haben bei Wettbewerben Preise erhalten, u.a. den Studienpreis der Citibank, der Ihnen einen zweijährigen Aufenthalt in New York ermöglichte. Welche Eindrücke und Erfahrungen haben Sie nach Leipzig mitgebracht?

Ich bin froh, jetzt recht gut Englisch zu können. Es war enorm zu erleben, wie diese Stadt New York pulsiert durch die Vielzahl der Kulturen – man merkt es auch an der Juilliard School selbst – es sind nur knapp die Hälfte davon Amerikaner, der Rest sind Europäer und Asiaten. Es war unheimlich interessant zu sehen, wie sich diese Kulturen doch ergänzen, aber auch, wie ähnlich das Repertoire dem unsrigen ist.

Welche Unterschiede gibt es denn zwischen New York und Leipzig?

Ein objektiver Unterschied ist, daß das Studium in New York mit sehr hohen Studiengebühren verbunden ist. Fünfzehn Tausend Dollar pro Jahr – und das veranlaßt natürlich die Studenten im Vorfeld, sehr gründlich über den Sinn und die Zielstellung eines solchen Studiums nachzudenken. Die meisten der New Yorker Studenten bekommen finanzielle Unterstützungen oder auch Stipendien, aber so kann man ja davon ausgehen, daß eine Instanz dahintersteht, die auch entsprechende Erwartungen an das Studium stellt.

Wie ist denn der Kontakt unter den Studierenden?

Es wurde mir im Vorfeld angedeutet, daß dort ein starker Konkurrenzdruck herrsche, und die Erfahrung hat das auch bestätigt. Die Schule hat aber große Sorgfalt darauf verwendet, dennoch ein angenehmes und produktives Klima zu schaffen.

Sie haben an einigen Meisterkursen teilgenommen. Vermittelt sich neben der Professionalität auch die private Seite der Dozenten?

Nicht zwangsläufig, Meisterkurse tragen oft offiziellen Charakter. Aber manche Künstler, z.B. Emanuel Ax oder Yo-Yo Ma vermögen auch im öffentlichen Rahmen Herzlichkeit auszustrahlen.

Sie haben geschrieben, daß das Klavier für Sie der vielseitigste Schauspieler unter den Instrumenten und ein äußerst subtiler Partner sei. Weshalb nehmen Sie sich gegenüber Ihrem Instrument so zurück?

Sie schmeicheln mir. Aber das Klavier ist wirklich eine große technische Erfindung und hat gegenüber anderen Instrumenten einen großen Tonumfang. Und die Anzahl der möglichen Nuancen ist ja unendlich groß. Der Respekt vor diesem Instrument wird mir nie vergehen, hoffe ich.

Wie gehen Sie denn vor, wenn Sie ein Stück erarbeiten?

Zunächst geht es erst mal darum, das Stück in die Finger zu bekommen, dann kommt das Auswendiglernen. Dabei gibt es natürlich verschiedene Ebenen des Lernens: die reflektorisch-manuelle, die visuelle und dann die intellektuelle. Es sollten alle drei Komponenten vertreten sein, damit beim Konzert ein gewisses Gefühl von Sicherheit eintritt.

Verändert sich Ihre Sicht auf ein Stück mitunter?

Aber sicher, manche verborgenen Qualitäten eines Stückes erschließen sich erst mit der Zeit, zum Beispiel in der Liszt-Sonate, wo sich mir immer mehr neue thematische Verbindungen zwischen einzelnen Abschnitten auftun.

Sie scheuen sich nicht vor den großen Zyklen und dem gängigen Repertoire. Haben Sie auch vor, sich an Unbekannterem auszuprobieren?

Eines Tages sicher schon. Aber es ist wichtig, noch in möglichst jungen Jahren sich die maßgeblichen Stücke zu erarbeiten, um sie auch bei der Lehrtätigkeit geeignet weitervermitteln zu können. Daher auch der Sonatenzyklus von Ludwig van Beethoven. Ich finde, jemand der immer Neues und Einzigartiges wie Beethoven zu sagen hat, kommt in der zyklischen Form am Besten zum Tragen. Da kommen auch sonst vernachlässigte Meisterstücke wie die F-Dur-Sonate op. 54 oder die Fis-Dur op. 78 zu ihrem Recht, wenn sie im Kontext mit den öfter gespielten Sonaten stehen.

Glauben Sie, daß Sie das Publikum mit solchen Programmen überfordern?

Ich verwende viel Zeit des Tages darüber nachzudenken, wie ich bestimmte Programme zusammenstelle: daß Unbekanntes mit Bekanntem, zu Unrecht Vernachlässigtes mit oft Gespieltem sinnvoll verbunden wird. Das heißt natürlich, daß am Ende eines Konzertes möglichst schon etwas Vertrautes und auch vielleicht Reißerisches stehen sollte.

Wie sieht Ihre persönliche Vorbereitung auf ein Konzert aus?

Gut ausschlafen, gesund essen, den Magen nicht überladen. Sich keine unnötig destruktiven Gedanken machen und die Stücke üben.

Sie haben in den USA, Europa und Fernost Konzerte gegeben. Welche Erwartungen stellt zum Beispiel ein Publikum wie das koreanische an einen Musiker?

Die Erwartungen an die Musik sind im wesentlichen die gleichen. In Asien bringt man der europäischen Musik, insbesondere der Klassik, ein noch größeres Interesse entgegen als wir zum Teil selbst. Das ist zu spüren in der Dankbarkeit, die solchen Konzerten – besonders wenn dann auch noch Europäer spielen – entgegengebracht werden.

Seit den Grenzöffnungen strömen aus Osteuropa talentierte Musiker nach Deutschland. Wie sehen Sie Ihre Chancen als Pianist Karriere zu machen angesichts dieser Konkurrenz?

Das Problem, daß man nicht allein ist in seinem Beruf, das trifft auf andere Sparten genauso zu. Wenn man sieht, wieviele Pianisten alljährlich Hochschulabschlüsse machen, wieviel Wettbewerbspreisträger es gibt, dann kann das schon mal entmutigend sein. Die Zahl wird aber etwas dezimiert, weil der Pianistenberuf mit sehr großen Opfern verbunden ist. Man muß sich zum Beispiel körperlich und geistig gesund und fit halten, kann keinen riskanten Sport machen. Man verlebt viele einsame Stunden des Arbeitens. Man muß entsprechend wohnen, muß ein entsprechendes soziales und privates Umfeld haben. Wenn man das alles bedenkt, wird die Zahl derer, die wirklich bereit sind, das auf sich zu nehmen, bedeutend kleiner. Aber die einzige Chance, damit umzugehen, ist, immer wieder bei jedem Auftritt möglichst das Beste zu bringen.

In welche Richtung möchten Sie sich noch weiter entwickeln?

Als Pädagoge würde ich gern eines Tages soweit kommen, jedem
Studierenden das für ihn Wesentliche vermitteln zu können. Das heißt für mich vor allem, Persönlichkeiten heranzubilden, die sich kraft ihrer Fähigkeiten auch ins Musikleben einzubringen wissen. Und komponieren möchte ich unbedingt noch das eine oder andere Stück, besonders ein Klavierkonzert liegt mir da am Herzen.

Welche Zukunftspläne haben Sie im Bereich CD-Produktion?

Ich würde mir sehr wünschen, irgendwann einmal einen Teil der Beethoven-Sonaten auf CD zu bringen, vorzugsweise die Hammerklavier-Sonate natürlich. Und ich würde mir wünschen, eine CD ausschließlich mit meinen eigenen Kompositionen zu gestalten.

Konzerttermine

16. April 2001, Schneeberg, Beethoven-Zylus
20. April 2001, Torgau, Beethoven-Zylus
19. Mai 2001, Binz, Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen
12. August 2001, Leipzig, Mendelssohn-Haus,
Johann Sebastian Bach: Goldberg-Variationen

Bisher erschienene CDs

Romantik im Händel-Haus. Brahms – Schubert – Liszt
Alexander Meinel, Klavier
Metrix Classics

Die Oehler-Lieder von Alexander Meinel
Annett Illig, Sopran, Alexander Meinel, Klavier
Metrix Classics


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