„Schiff der Träume” (Grit Kalies)

28. März 2001 Schauspielhaus

?Schiff der Träume? Repertoire

Lustbetontes Theater

Das ?Schiff der Träume? nach Federico Fellini
und Tonino Guerra im Schauspiel Leipzig

?Wer sich aber wie wir an diesem Julitag des Jahres 1914 auf Kai 10 einfindet, der wird auf eine Reihe erlesener Damen und Herren treffen, die sich mit uns an Bord des Ozeandampfers begeben.? Wir, das sind die Besucher eines auch nach halbjähriger Spielzeit ausverkauften Stückes im Schauspielhaus am Abend des 28. März 2001.

Gerade haben wir unsere Garderobe abgegeben, und da flanieren sie auch schon an uns vorbei nach den Carmen-Klängen ?Auf in den Kampf, Torero.? auf einem breiten roten Teppich, um den wir ein Spalier bilden. Oh, was sind sie erlesen, diese erlesenen Damen und Herren mit gewichtigen sinnleeren Mienen in rauschenden Roben und Gewändern: Sir Renigald Dongby und die nymphomanische Lady Violet Dongby, überschminkte Sänger und Sängerinnen, darunter Ildebranda Cuffari, die Königin unter den Stimmen der Jetztzeit, ein Generalintendant der Wiener Oper samt Gattin, ein ägyptischer Würdenträger mit vier scheuen verschleierten Frauchen, ein figurdeformierter Großherzog, eine urnentragende Matrone und so weiter und so fort. Sicht- und Hautkontakte zwischen Schauspielern und Publikum werden möglich, selbst die alte Dame neben mir kann sich das Lachen nicht verkneifen, während ich mich schon krümme.

Auf der Treppe postiert sich die illustre Schar und präsentiert Gesang, bevor sie sich auf die Reise begibt. Wir folgen ihr ins ?Theater hinterm Eisernen Magazin?, werden mit ?Willkommen an Bord? begrüßt und erleben das Auslaufen des Schiffes: der Zuschauerraum schwenkt nach links aus. Anker lichten! Pfiffe, Dröhnen, Druck, italienische Musik im Hintergrund, Ausblicke aufs Meer und Einblicke in das Interieur des Schiffes, imposante vieletagige Kulissen nach allen Seiten. Ich werde den Eindruck nicht los, daß ein Motto des Stückes in einem Nebensatz des Erzählers geäußert wurde: ?…,aber wer weiß schon, was geschieht.“

Denn was wir jetzt erleben, ist die Inszenierung von Lust am Theater, an Staunen und Narretei. Unser beweglicher Untergrund schwenkt uns in alle Himmelsrichtungen und macht uns bekannt mit dem Schiff und den Musikliebenden auf der Bestattungsreise der größten Sängerin aller Zeiten, Edmea Tetua. Wir sehen den Erlesenen beim Speisen zu, lauschen ihrem Klatsch und Tratsch zu Ehren der Gestorbenen und einer Küchenmusik auf Gläsern und Flaschen, gewinnen Einblicke in den Maschinenraum des Schiffes und in Sexualpraktiken, ein liebeskrankes Nashorn tritt auf, mit ihm die sich später wiederholende Frage: ?Was ist denn das für ein Gestank??, es wird gefochten und ein Experiment mit einem Huhn durchgeführt. Das Stück lebt stundenlang von Kurzzeitszenen, Musik und eingestreuten ?Sentenzen?, wie: ?Dort eine Möwe, sie schlägt mit den Flügeln, als wäre sie ein Dirigent!? oder ?Und frei flog der Vogel davon auf der Suche nach seinem Käfig.? oder ?Ach, wie wunderschön, fast künstlich, wie auf der Bühne!? (beim Anblick eines Sonnenaufgangs).

Zwischenzeitlich verliert sich die Aufführung fast in all den Ausschweifungen und Abweichungen und wird zum Antitheater in dem Sinne, daß sie undramatisch, ohne vorwärtsdrängende Handlung daherkommt, und sich so keine Spannung aufbaut. Man erwartet nichts und alles. Denn in anderer Hinsicht ist sie großes und alle Register ziehendes Theater, verspielt, reich an Ideen, Schauspielkunst, Effekten und aufwendiger Requisite. Auch scheint der Übergang von Vergnügen zu Überdruß gewollt zu sein, denn das vorgestellte dekadente Leben an Bord ist nachweislich keines.

Durch etwas Konflikt und den Einbruch ?des wirklichen Lebens? an Bord in Gestalt von flüchtigen Serben rettet sich das Stück gegen Ende zu aus seiner amüsanten Belanglosigkeit. Bevor der Krieg ausbricht, wird ein wilder Lebenstanz aufgeführt, die Asche der Edmea Tetua in alle Winde geblasen und singend für die Serben Partei ergriffen, die allerdings hinter dem Rücken der Schiffsbesatzung ausgeliefert werden. Singen scheint nicht das Mittel der Wahl. Das letzte Bühnenbild zeigt das Nashorn. Es schwingt seine Ohren wie eine Möwe ihre Flügel schlägt, als wäre sie ein Dirigent. Wer hier wohl gehörnt ist.

(Grit Kalies)

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