Daniel Barenboim spielt Mozart, Beethoven und Liszt (Marcus Erb-Szymanski)

04. April 2001 Gewandhaus Großer Saal

Daniel Barenboim, Klavier

Wolfgang Amadeus Mozart: Sonate C-Dur KV 330
Ludwig van Beethoven: Sonate f-Moll op. 57
Franz Liszt:
Tre Sonetti del Petrarca aus ?Années de P?lerinage?, Sonetto Nr. 47, 104, 123
Konzert-Paraphrasen, nach den Opern ?Aida? und ?Rigoletto? von Giuseppe Verdi

Auf den Schleichwegen des Pianissimo

Es haben schon viele und auch berühmte Orchester vor halb leeren Rängen im Gewandhaus gespielt. Nun hat es ein Einzelner geschafft, die Plätze restlos zu füllen: Daniel Barenboim. Während sich junge Pianisten eher durch eine außergewöhnliche Programmgestaltung etablieren müssen, kann Barenboim sich und dem Publikum den Gefallen tun, auf Altbewährtes zurückzugreifen: Mozart, Beethoven und Liszt.

Auch seine Interpretationen sind alles andere als exzentrisch. Bei Mozart hält er sich an alte Tugenden: Tiefe Ruhe und leuchtende Klarheit (hier Synonyme für stille Größe und edle Einfalt) bewahren dem Komponisten wie dem Interpreten eine weiße Weste. Aber es ist keine klassizistische Haltung, die diese Spielweise bestimmt. Die frappierenden Mollwendungen wirken bei Barenboim eher romantisch und deuten auf eine andere ästhetische Grundhaltung: Barenboim versucht nicht, auf die Strukturen der Werke zu reflektieren, sondern eher, Stimmungsbilder zu malen. Das ist heute vielleicht ein wenig aus der Mode gekommen, aber letztendlich doch das, was die Hörer unmittelbar anspricht. Wie überhaupt die Fähigkeit, beim Spiel eine bestimmte Atmosphäre zu erzeugen, das Außergewöhnliche ist, was diesen Pianisten kennzeichnet. Gerade in den Sumpfwiesen des Pianissimo, in denen schon mancher stecken geblieben ist, sofern er nicht zweispännig hindurch polterte, kennt er alle Schleichwege, um den Hörer sicher durch geheimnisvolle Landschaften zu führen. Bis wir dann am Ende in den Zugaben noch zu einem meditativ versonnenen Chopin und einem zärtlich verhätschelten Scarlatti gelangen.

Ähnlich geht also Barenboim auch die Appassionata an. Da kaum ein Werk abgedroschener ist, als dieses, ist seine Aufführung das denkbar größte Wagnis. Aus Sicht des Rezensenten misslingt dieses Abenteuer. Im ersten Satz scheint das Konzept natürlicher Schlichtheit und klangmalerischer Dichte noch aufzugehen. Das Tempo ist zwar schnell, lässt aber gerade noch ein wenig Platz für das abschließende Accellerando; der melodische Gehalt der Stimmen prägt die Gestalt des Ganzen und das Publikum ist so erfreut, dass es schon nach dem ersten Satz zu klatschen beginnt. Im zweiten Satz spielt Barenboim seinen weichen Anschlag und warmen Ton aus, aber hier wie dort klingt dennoch alles ein wenig lau. Woran das liegt, wird im dritten Satz schließlich offenbar. Hier kehrt Barenboim den Virtuosen heraus, spielt so schnell, dass ihm stellenweise die Fingern wie Pferde durchgehen. Aus den großen, zusammenhängenden Läufen werden Klangballungen, die Konturen verwischen und letztendlich bleibt die ganze, gerade bei Beethoven so interessante Rhythmik völlig verklebt. Die Hörer danken es damit, dass sie in den Schlussakkord hineinklatschen – so kennt man das eben bei Virtuosenstückchen.

Wie anders sieht es aber plötzlich dort aus, wo man Virtuosentum vermutet, bei Franz Liszts Konzertparaphrasen. Mit stillen und fast schon verschlossenen Tönen sinniert der Operndirigent und Pianist Barenboim über eine versunkene Kunst, die dereinst beides, Oper und Klavier, zu vereinen suchte. Vor allem bei der ?Aida? wird aus dem schon sprichwörtlichen Pathos bei Liszt ein leises Nachdenken über Virtuosität. Entsprechend introvertiert klingen auch die ?Sonette?. Durch verschiedene dynamische Abstufungen entsteht eine mehrschichtige Klangwelt mit den Dimensionen Pianissimo, Piano und Mezzopiano. Aus den glitzernden Ornamenten des Klaviersatzes werden zarte farbliche Schattierungen der poetischen Bilder. Und so wirkt die Musik von Liszt, obwohl oder gerade weil sie (zumindest in diesen Stücken) weniger strukturell gedacht ist, hier philosophischer als die von Beethoven. So kanns manchmal gehen.


(Marcus Erb-Szymanski)

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