Die Renaissance des Mythos

Das Reich der Zahlen ist unendlich und wirft unendlich viele Fragen auf

Wenn heute das menschliche Genom entschlüsselt wurde, bedeutet das nicht die Entzauberung des Menschen oder der Gemeinschaft. Im Gegenteil: „Wiederverzauberung“ ist gefragt. Denn einerseits ist spannend, was Wissenschaft leistet, andererseits wird immer klarer, daß ihre Erkenntnisfähigkeit beschränkt ist, daß sie das Urphänomen Existenz nicht begreift.

Lassen wir uns also ergreifen. Sehen wir etwas hinter und in den Dingen, im Schilfrohr die verwandelte Syrinx, im Lorbeerbaum Daphne. Lassen wir Mythen und Märchen leben. Und machen wir nicht bei den Dingen halt, sondern beziehen auch so abstrakte Gebilde wie Zahlen mit ein. Dann sind wir am 10.04.2001 richtig im Haus des Buches: 1 Referent auf einem Stuhl und 70 Zuhörer auf 70 Stühlen.

Schade, daß der Sprachwissenschaftler und Mathematiker Georg Schuppener (ein Mann mit 2 Doktortiteln, 1 + 1 = 2) gleich mit der „1“ anfängt und so die faszinierende „Geschichte der 0“ ausläßt, die aber läßt sich mittlerweile in Büchern nachlesen, und in diesem Vortrag geht es eben, sagen wir mal, nicht um nichts, sondern um etwas: um zählende und erzählende Zahlen.

Konkret um die Zahlen 1 bis 13. Denn man kann zwar „allen Zahlen, die vorkommen, einen Symbolwert zuordnen“, doch mehr als 13 kann man in einem fast einstündigen Vortrag beileibe nicht abhandeln. Ob das Unglück bringt? Ein Blick auf den Kalender beruhigt mich: keine Sorge, es ist Mittwoch. Und warum hat die 13 diesen Beigeschmack? Etwa, weil sie eine Primzahl ist und die 12 übertritt, das harmonische vollständige Dutzend? Und warum heißt die zwölf nicht zweizehn? Was hat die närrische 11 in der Faschingszeit zu suchen? Warum hat die 10 so wenig Gewicht in den Mythen und Märchen und wird kaum ernstgenommen in der Interpretation, obwohl wir uns die 10 Gebote an den 10 Fingern abzählen können? Was hat die potenzierte 3, die den Germanen heilige, neunmalkluge, neunmalstarke 9 als Zahlwort vor den schönen Begriffen Walküren oder Werwölfen zu suchen? Warum ist die 8 wenig zu beachten? Und die 7 dafür um so mehr, der 7. Himmel lockt, die 7 Todsünden auch? Was schätzte die griechische Antike an der 6? Was hat es auf sich mit dem 5. Element, den 5 platonischen Körpern, der 4-Säfte-Lehre, den 4 Enden des Kreuzes? Wie ist die 3 die wichtigste Kulturzahl geworden, die 2 ein Zwitterwesen und die 1 eine Gottheit? Was zählt?

Gut, daß all diese Fragen sich stellen nach der Aufzählung der Symbolwerte der Zahlen durch den Referenten. Jede Religion, jeder Mythos, jedes Märchen, jeder Mensch erfindet dann seine eigene Antwort. Und gut auch, daß es zwischen zwei Zahlen, egal wie eng sie aneinander stehen, immer noch unendlich viele andere gibt.

„Mystik und Magie der Zahlen“

10. April 2001, Haus des Buches

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