Das Eröffnungskonzert des MDR Musiksommers

Über die Uraufführung von Krzysztof Pendereckis „Concerto per violino ed orchestra No. 2”

„Es ist ein Sprung ins kalte Wasser, ohne zu wissen, was im Wasser ist“, meinte Anne-Sophie Mutter vor der Uraufführung des für sie geschriebenen und ihr gewidmeten Concerto per violino et orchestre No. 2 von Krzysztof Penderecki. Sie habe den Komponisten, der 1991 erste Skizzen des Werkes verwarf und ein Jahr später von Neuem mit der Arbeit begann, zur Fertigstellung gedrängt, sich den in Riga geborenen Dirigenten Mariss Jansons für die Aufführung im Rahmen des Eröffnungskonzerts des MDR-Musiksommers 1995 im Leipziger Gewandhaus gewünscht und sei zum Frühaufsteher geworden, um richtig vorbereitet zu sein, ergänzte die weltbekannte Geigerin schmunzelnd. Außerdem konnte sie von vornherein auf das Wohlwollen des Sinfonieorchesters des Mitteldeutschen Rundfunks bauen, das schon oft mit Penderecki zusammengearbeitet hatte und sich seit Jahrzehnten in besonderer Weise für zeitgenössische Musik prädestiniert fühlt. Bestätigt wurde die Solistin schließlich in ihrem Engagement durch die große Begeisterung des Publikums, zumal das knapp 40-minütige, einsätzige Werk ihr attraktive Möglichkeiten zur Entfaltung effektvoller Virtuosität und ausdrucksstarker Innerlichkeit bot.

Ungeachtet der permanent wiederholten Einwände, denen sich der polnische Komponist seit dem Verlassen seiner avantgardistischen Klangtechnik ausgesetzt sieht, folgt er auch mit diesem neuen Violinkonzert dem einmal eingeschlagenen Weg, fern aller nichtintentionalen Musik und nahe an romantisch geprägten Traditionen des 19. Jahrhunderts. In enger Korrespondenz zwischen Soloinstrument und Orchester zieht er von der langsamen, düsteren Einleitung bis zur melancholisch-entrückten Satzcoda einen dreiteiligen sinfonischen Bogen, der immer wieder durch auffahrende, zuweilen ironisch anmutende Gesten und daran anschließende lyrische Passagen aufgespannt wird. Obwohl ein chromatisch aufsteigendes, in verwandter Art auch im 2. Violoncellokonzert Pendereckis zu findendes Viertonmotiv mit Permutationen, Transpositionen und variativen Erweiterungen die Melodik des Konzerts bestimmt, sorgen sukzessive wechselnde Zentraltöne für ein latent traditionelles harmonisches Feld, das sich zu Beginn über dem Ton a entwickelt und am Schluss zum quintverwandten d übergeht.

Als entschiedener Umschlagpunkt in diesem Prozess klanglicher Verwandlung, der Vorangegangenes komprimiert und in die womöglich mit Nationalkolorit gefärbte kontemplative Stimmung der Coda überleitet, dient die fulminante Kadenz am Ende des dritten Hauptteils. Man mag zu diesen hörerfreundlichen klanglichen Anleihen und zum werkübergreifenden Festhalten am einmal gefundenen Formmodell stehen wie man will, am souveränen Umgang mit diesen Mitteln, einschließlich der raffinierten Kombination einzelner Farben des Orchesters, ist ebenso wenig zu zweifeln wie am beachtlichen Anteil der Interpreten an diesem Erfolg. Anne-Sophie Mutter meisterte selbst schnellste Doppelgriffpassagen in höchster Lage mit größter Selbstverständlichkeit und Sicherheit, spielte mit spürbarem Verständnis für die Nuance und vermittelte durch ihre flexible, überraschend bedeutungstragende Artikulation eine unverkennbar eigene, das Espressivo hervorhebende Sicht auf die Komposition. Mariss Jansons hingegen, der das Oslo Philharmonic Orchestra in den zurückliegenden 15 Jahren zu internationaler Anerkennung geführt hat und ab 1997 auch in Pittsburgh arbeiten wird, setzte mit den Leipziger Musikern auf eine Leidenschaftlichkeit der Streicher und eine lapidare Kraft der Blechbläser, die an Werke russischer Sinfonik erinnerte und Wurzeln Pendereckischen Schaffens offen legte.

Eröffnungskonzert des MDR-Musiksommers

Programmfolge:
1. Gioacchino Rossini: Ouvertüre zur Oper „Die Italienerin in Algier“
2. Krzysztof Penderecki: Concerto per violino ed orchestra No. 2
3. Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68

Ausführende:
Sinfonieorchester des Mitteldeutschen Rundfunks
Solistin: Anne-Sophie Mutter, Violine
Dirigent: Mariss Jansons

24. Juni 1995 Gewandhaus zu Leipzig

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