Georg Kreisler und Barbara Peters: „Die alten bösen Lieder” (Michael Maul)

19. April 2001 Gewandhaus, Großer Saal

Georg Kreisler und Barbara Peters: ?Die alten bösen Lieder?
Veranstalter: Rotter Entertainment

Den gibt’s nur einmal, der kommt nicht wieder…?!


Wie heißt es doch so tiefschürfend im Monolog der Marschallin im Rosenkavalier:

Die Zeit die ist ein sonderbar Ding, wenn man so hinsieht ist sie rein gar nichts, aber dann auf einmal spürt man nichts als sie…
Viele Dinosaurier der Hochkultur meinen sich diesem Faktum entziehen zu können, spielen und singen (übrigens auch regieren!) bis ins hohe Alter und demontieren sich selbst Stück für Stück.

Am vergangenen Freitag war auch zumindest dem Alter nach ein Dinosaurier seiner Zunft im Gewandhaus zu Gast: Georg Kreisler, auch Taubenvergifter genannt, mit seinen Alten, bösen Liedern.

Die Freunde, denen ich vorab von dem kulturellen Event erzählte, fragten mich durchweg: Was – lebt der noch? Die Frage ist berechtigt, touren doch bereits Dutzende dem Makaberen zugetane Sänger und Schauspieler mit Kreisler-Abenden durch die Lande. Und so erwartete ich mit Spannung, ob auch Kreisler dem traurigen Schicksal der soviel herumreisenden Dinosaurier, die mit klapprigen Schritten als Schatten ihrer selbst für teures Geld durch die Landen ziehen, erlegen ist.

Entsinne ich mich recht so ist dieses Konzert innerhalb von vier Jahren das dritte Abschiedskonzert des Taubenvergifters in Leipzig. Skepsis war also angesagt, denn mit 79 Jahren quasi als Alleinunterhalter im Großen Saal des Gewandhauses…
Mit klapprigen Schritten erschien dann auch der Meister und setzte sich ans Klavier. Und wie konnte es anders sein: Als erster Ohrwurm erklang Kreislers Rückblick auf seinen enormen Frauenverschleiß innerhalb des letzten Jahrhunderts und alle Ängste meinerseits zerschlugen sich in der markiger den je wirkenden Stimme des Meisters:

Adelheid die warf ich in die Donau,
gleich bei Dürenstein- niemand hat’s geseh’n –
Und auch sie wird mir verzeihn,
denn grad bei Dürenstein
ist die Donau doch so wunderschön! Biddlah buh…

Sangeslust und Spielfreude pur blitzen dabei in seinem Gesicht, und mit dem Charme eines Marktschreiers verkündet er die Schlußpointe, nachdem er den Tod seiner drei Dutzend Verflossenen (weil von ihm Erschossenen) genüßlich geschildert hatte:
Schöne Frauen kosten sehr viel Geld!

Sichtlich froh gesteht Kreisler nach dem ersten tosenden Applaus, daß er gerade von einem Hexenschuß ziemlich gebeutelt ist, aber: Einfluß auf meine Stimme hat das nicht.

Sprachs und beginnt auf dem Klavier (s)einen Walzertakt, um den ihn selbst die Philharmoniker beneiden. Angestimmt wird jetzt wohl die Hymne die ihn schon 1955 zu Wiens zukünftig unwahrscheinlichsten Ehrenbürger machte:

Wie schön wäre Wien ohne Wiener –
so schön wie oa schloafende Frau.
Der Stadtpark wäre sicher viel grüner,
und die Donau wär endlich so blau (ta ta, um ta ta)

Als darauf dann das Taubenvergiften folgt, jenes Lied, das die Leute – Kreisler übrigens unverständlich – als schwarzen Humor bezeichnen, tobt bereits der Saal. Und die Begeisterungsstürme nehmen in den kommenden 90 Minuten nicht ab.

Kreisler weiß natürlich, daß er Dinosaurier ist. Die Uhren kann er wie die Marschallin auch nicht mit Effekt anhalten. Aber er hat nach wie vor alles im Griff, überschätzt sich nicht und schließlich ist da auch noch seine Lebensgefährtin Barbara Peters, die geschickt dem Altmeister Zeit gibt, während sie seine femininen Lieder rezitiert, sich klavierspielend stimmlich zu erholen. Aber die Peters ist keine Lückenbüßerin. Zugegeben, von der Konserve scheint ihre Chanson-Röhre manchmal hart an der Grenze dessen, was die heimischen Membranen zulassen. Erlebt man dann aber Ihre visuellen Tricks bei Liedern wie der legendären „Frau Schmidt“ oder dem „Weihnachtsmann auf der Reeperbahn“, wird auch dieses Vorurteil restlos ausgeräumt.

Nachdem im ersten Teil die „Lieder zum Fürchten“ im Vordergrund standen, ging Kreisler nach der Pause – aus dem vollen schöpfen kann er ja – zu seinen „Nichtarischen Arien“ über. Vielleicht sind dies die Lieder, die den Kreisler am längsten überdauern werden. Schildert er hier doch jenen verlorenen Charme alter böhmischer Vorstädte und die tragikomischen Diskussionen und Gedankengänge jiddelnder Rhetoriker im alten Habsburg. Wenn man einmal Kreisler voller Inbrunst den „Bluntschli“ singen hören hat, wo es so schön heißt:

Ich sitz grad im Gasthaus
bei ’nem Glas Wein und rast‘ aus
oder:
Drauf sag ich: Herr Wachtel,
trinkens noch oa Achtel!

wird man schon ein wenig melanchonisch über diese verlorene jüdisch-deutsche Kultur. Einer der vielen Höhepunkte im Programm ist dann Kreislers Porträt eines „Staatsbeamten“, jenes Lied eines Menschen der in frühester Jugend beschlossen hatte:

Ich versteh nichts von Jus und Latein,
Mathematik – die laß ich lieber sein,
doch ich krieche sehr gut und auch gern marsch, marsch, marsch,
in den Arsch, in den Arsch, in den Arsch.

Sein Karriereverlauf:

Am Anfang fiel mir ja das Kriechen etwas schwer.
Jetzt schaff ich sieben Arsch pro Tag und montags fünfzehn oder mehr.
Ja man braucht schon ein bißchen Routin,
um so wie ich von Arsch zu Arsch zu ziehn.
Doch es war mir am Anfang meiner Laufbahn schon klar,
daß ich Innenpolitiker war.

Seine außenpolitischen Erfolge sind ebenfalls beeindruckend:

Und durch die mach ich jetzt auch Karrier‘,
denn auch im Ausland schätzt man mich schon sehr,
denn ich krieche auch gern einem fremden Monarch
in den Arsch, in den Arsch, in den Arsch.

An diesem einmaligen Abend im restlos begeisterten Gewandhaus erfährt man allerdings auch wie nah Lachen und Weinen beieinander liegen. So kommt man schon ins Grübeln, wenn man darüber nachdenkt, was heute teilweise als schwarzer Humor geboten wird; von Kreislers überragender Sprechkultur ganz zu schweigen… Wie heißt es doch so schön in seinem genialen „Musikkritiker“:

Jedem Künstler ist es recht, spricht man von anderen Künstlern schlecht!

Und wenn er dann in der letzten Zugabe (insgesamt vier) in den Raum wirft:

Sag mal, ist der Hildebrandt eigentlich lustig …

Eins ist klar: Den Kreisler gibt’s nur einmal und hoffentlich kommt er wieder – um sein viertes, fünftes, sechtes … Abschlußkonzert zu geben.


(Michael Maul)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.