Klangperfektionist bis ins Letzte

Nekrolog zum plötzlichen Tode Giuseppe Sinopoli

Er war kein typischer Stardirigent unserer Tage, kein Jet-Set getriebener. Er leistete es sich, auch einmal aus familiären Gründen eine Auszeit zu nehmen. Aber es gab nichts Zufällig-Beiläufiges, wenn er am Pult stand: Maestro Giuseppe Sinopoli, der am 20. April 2001 mitten in einer „Aida“-Aufführung an der Deutschen Oper Berlin zusammenbrach und wenig später verstarb.

Mit ihm hat eines der großen europäischen Spitzenorchester seinen Leiter verloren, die Sächsische Staatskapelle Dresden. Einen Chefdirigenten, der in besonderer Weise sich auf Stärken seines Orchesters einzulassen verstanden hatte und der mehr und mehr von seinem Orchester angenommen worden war. Bis mindestens 2007 hätte er in Sachsen bleiben sollen. Sinopoli war 1992 an die Elbe gekommen, noch unter den (pekuniären) Bedingungen der Nachwendezeit; ihn schienen die Tradition und die Möglichkeiten der Kapelle gereizt zu haben. Ein Italiener mit starken Affinitäten zum deutschsprachigen Kulturraum, ein Italiener, der sich genauso heimisch (vielleicht sogar noch heimischer) fühlte in der Wiener Welt des frühen 20. Jahrhunderts – in den Werken Mahlers, Schönbergs, Weberns und Bergs – wie in Verdis „Macbeth“, welcher seinen internationalen Durchbruch als Dirigent bezeichnete. Mitte der 80er Jahre hatte ich das Glück, mit ebendieser Oper den Dirigenten Sinopoli an der Wiener Staatsoper kennenzulernen. Er konnte begreiflich machen, was ihn an diesem Stück, dem modernsten und dramatischsten wohl der Frühwerke Verdis, so interessierte.

Ähnliches gilt eigentlich für alle seine Dirigate: Es war immer zu spüren, daß er irgendwie etwas Bestimmtes wollte (wenn auch nicht alles in gleich überzeugender Weise gelingen mochte). Und vielleicht ist das das Wichtigste für einen Künstler: Die Ernsthaftigkeit des Wollens, das Ringen um eine bestimmte (Klang)Vorstellung. Sinopoli war in besonderer Weise Klangperfektionist. Gerade das mag ihn an einen Klangkörper mit dieser einzigartigen Orchesterkultur des Aufeinanderhörens, wie ihn die Sächsische Staatskapelle darstellt, gebunden haben. Wenn im letzten der Schönbergschen Orchesterlieder op. 8, einem wenig gekannten Werk, eine Flötenphrase über dem vierfach geteilten Cello-Teppich sich erhob, so ahnte man: das war ausgehört bis ins Letzte (und vermutlich ein hartes Stück Probenarbeit). Sinopoli wußte das Blech zu zügeln wie kaum ein anderer, aber nur, um es umso klangvoller glänzen und strahlen zu lassen, in der Coda von „Tod und Verklärung“ etwa oder in der großen „Alpensinfonie“-Stelle. Und vielfach verstand man durch ihn, durch sein unbedingtes Wollen, was der Komponist wollte. Plötzlich war einem ganz klar, was eine bestimmte Holzbläserfigur in der „Salome“ besagen will oder wie ein Mahlersches Riesenadagio disponiert ist, in welch gewaltigem Bogen es sich klingend vollzieht.

Zum Opernkomponisten Richard Strauss hatte Sinopoli eine enge Beziehung. Zu „Salome“ und „Elektra“, die er viel zu selten – gar nur jeweils ein einziges Mal, meine ich – an der Semperoper zur Aufführung brachte. Vielleicht habe ich nie sonst eine so bestürzend moderne „Elektra“ wie unter seiner Leitung gehört. In den letzten Jahren hatte Sinopoli sich intensiv mit der „Frau ohne Schatten“ auseinandergesetzt, sie vielfach in Dresden, dann an der Scala und in Wien dirigiert. Man darf annehmen, daß diesem Werk eine ganz besondere Liebe galt. Er vermochte seinen Zuhörern Größe und Bedeutung dieser wunderbaren Partitur ein Stück weit neu zu erschließen, vermochte uns für ihre Schönheiten in einer Weise zu sensibilisieren, die tiefsten Respekt verdient hat. Viele Klangeindrücke werden mir unvergeßlich bleiben. In der Schlußphase des ersten Aktes etwa ließ Sinopoli die Violinen nach dem ersten Wächtergesang ganz zart einsetzen, unprätentiös, ohne äußerliches Espressivo, ohne Drücken und Schleifen, in schlichter Innigkeit von ungeheurer Wirkung. Nach dem Verklingen des zweiten Wächtergesanges wurde der weiche Hörnereinsatz zu einem Ereignis, welches tröstliche Wärme ausstrahlte. Das waren Dresdner Klangwunder, die er uns im herrlichen Saal der Semperoper geschenkt hat.

Sinopoli konnte Fenster in eine andere Welt aufreißen, ob bei Richard Strauss, in Brahms´ „Deutschem Requiem“ (das nun unter Sir Colin Davis´ Leitung zur Trauerfeier am 14. Mai erklingen wird), im Schlußsatz von Mahlers Neunter oder vor knapp einem Jahr in der beeindruckenden Aufführung von Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie. Und wem das gelingt, und sei es auch nur für zwei Minuten in einem Zweistundenkonzert, den darf man zu den Großen rechnen. Wenn man weiß, welche Perspektiven sich für Sinopolis Dresdner Wirken gerade in der letzten Zeit auftaten (insbesondere im Bereich Oper), empfindet man seinen Tod als bitteren Verlust. Ein Verlust für die ganze Musikwelt, aber eben vor allem für das sächsische Musikleben. Daß der 54jährige mitten in seiner Arbeit am Dirigentenpult sterben durfte, mag nur ein geringer Trost sein. Vielleicht kann man es jetzt noch gar nicht richtig ermessen, was es bedeutet, nie mehr zu einem Sinopoli-Konzert nach Dresden fahren zu können.

Nekrolog auf Giuseppe Sinopoli

gest. am 20. April 2001


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