24. April 2001 Gewandhaus, Großer Saal
MDR-Sinfonieorchester, Dirigent: Peter Hirsch
Solisten:
Joe Zawinul, Keyboards/Gesang
Amit Chatterjee, Gitarre/Gesang
Burhan ÖHal, Ud/Gesang
Walter Grassmann, Drums
Leonard Bernstein: Fancy free – Ballett
Joe Zawinul: Stories of the Danube – in seven movements for orchestra
Geschichten von der Donau
Nicht ?Geschichten aus dem Wienerwald?, auch nicht ?An der schönen blauen …?, sondern ?Geschichten von der Donau? (Stories of the Danube): Joe Zawinul war im Gewandhaus, um sein großes sinfonisches Opus von 1993 vorzustellen. Da macht es natürlich neugierig, einen berühmten Jazz-Musiker als Sinfoniker zu erleben, zumal, wenn er höchstselbst als Keyboarder dabei ist.
Aber der Anfang ist doch eher enttäuschend. Fünf Minuten bedeutungsschweres Grummeln im Orchester läuft auf mehr oder weniger banale Melodiefloskeln hinaus. Folkloristische Motive werden angedeutet, aber nicht ausgeführt und auch im zweiten Teil laufen recht simple Melodien einfach nur nebenher, ohne dass wirklich etwas passiert. Eine bloße Aneinanderreihung kurzer melodischer und rhythmischer Elemente führt im dritten Teil – trotz einiger stilistischer Anspielungen auf – zu einer pathosgesättigten Lösung, der die obligatorische Solovioline noch ein Schmalztupferl obenauf setzt. Bis dahin bleibt das alles nur Musik für die Klassik-Basisbibliothek im heimischen Bücherboard.
Doch die Situation ändert sich schlagartig, als das Orchester endlich pausiert. Die Musiker unter der Leitung von Peter Hirsch dürften sich ohnehin nicht so richtig wohl in ihrer Haut gefühlt haben, so als Vorband für die eigentlichen Stars des Abends. Denn die treten nun erst richtig auf. Die ?History of a free people without a home? im vierten Teil wird gesungen von Amit Chatterjee, der sich dabei auf der E-Gitarre begleitet. Der Balkan wird in sehnsüchtigen Folklorismen spürbar und die Musiker der Band begleiten kommunikativ und scheinbar spontan, als würden sie improvisieren. Ihr Spiel ist wunderbar aufeinander abgestimmt und man vergisst für einen kleinen Moment, dass es überhaupt Sinfonieorchester auf der Welt gibt. Jetzt ist aller Krampf verschwunden und dann ist es tatsächlich auch beeindruckend, wie das Orchester unmerklich wieder mit einbezogen wird. Aber nun ist seine Rolle klarer definiert. Es begleitet bloß, verstärkt die rhythmischen und harmonischen Effekte durch mosaikhafte Pattern, sein ganzes Spiel bleibt dem Gesang des Solisten untergeordnet. Außerdem wird die motivische Monotonie durch die hinzukommenden Drums legalisiert. Diese Rücknahme des Sinfonischen zugunsten des mehr Poppigen, Folkloristisch-Jazzhaften ist ein Gewinn.
Das gilt auch für den Schlussteil, wo nunmehr Burhan ÖHal in fernöstlichen Melismen schwelgt und das ottomanische Reich heraufbeschwört. Solange sich das Orchester auf das Tänzerische und nur Begleitende beschränkt, entstehen starke und wirkungsvolle Passagen. Doch als Epilog kann es Zawinul nicht lassen, noch einmal mit Pauken und Trompeten in bombastischer Geschmacklosigkeit eins nach dem anderen draufzusetzen. Dabei hätte er es gar nicht nötig, denn an seinen Soloeinlagen erkennt man, dass er im Grunde genommen kein Orchester braucht. Seine Keyboardklänge sind so komplex, dass die Ohren einen Sänger mit konzertierender Bläsergruppe (Saxophon, Flöte) und begleitendem Orchester vor sich zu haben glauben. In diesem Glauben hätte er uns gern belassen können.
(Marcus Erb-Szymanski)
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