The Hilliard Ensemble (Wolfgang Gersthofer)

Mai 2001

III. Festival für Vokalmusik. a cappella, Leipzig

Samstag, 12. Mai, 20.00 Uhr, Thomaskirche

The Hilliard Ensemble
?Media Vita?. Geistliche Musik von Nicolas Gombert (um 1495?um 1556) und Josquin Despréz (um 1440??1521)

?der noten meister?

Josquin und Gombert mit dem Hilliard Ensemble in der Thomaskirche

Nun war es schon wieder in Leipzig zu Gast: das berühmte Hilliard Ensemble, welches Ende März im Gewandhaus mit Zeitgenössischem gehört werden konnte (mit den eigens für es geschriebenen ?Miroirs des temps? der Koreanerin Unsuk Chin). Jetzt also kamen sie in die Thomaskirche und präsentierten sich auf ihrem ureigensten Felde, mit A cappella-Musik der Alten Niederländer beim gleichnamigen Leipziger Mai-Festival.

Sie hatten ein neues, schlüssig durchkonzipertes Programm, das aus Werken Nicolas Gomberts und Josquin Despréz? bestand, mitgebracht. Man begann, in voller Besetzung, mit der sechsstimmigen Gombert-Motette ?Media Vita ?? ? ?Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen? wie es in der Lutherschen Übertragung heißt. Nach einem gregorianischen Choral (?Ave regina?) hob dann jene (fünfstimmige) Messe Gomberts an, die auf Material der ?Media Vita?-Motette basiert. Zunächst nur Kyrie und Gloria (wie im Gottesdienst), die übrigen Sätze (offenbar existiert kein Credo?) ertönten zu späteren Zeitpunkten, nach der Pause. Damit war für den Abend so etwas wie eine zyklische Klammer geschaffen (die dem Konzertgeschehen fast den Charakter eines liturgischen Ablaufs verlieh).

Schon die Motette ließ Eigenheiten des Gombertschen Stils erkennen: aus gleichsam stark fließender Polyphonie resultiert ein äußerst dichtes (Stimmen-)Gewebe. Eine dunkle, klangsatte, kontrapunktisch komplexe Musik. Vielleicht galten Gombertsche Kompositionen auch seinerzeit als extrem elitäre Musik, die in Kennerkreisen um die Hofkapelle Karls V. goutiert wurde. Selbst ein so textreicher Meßsatz wie das Gloria gibt sich hier sehr ?verschlungen?. Es ist nicht leicht ? und das gilt im wesentlichen auch für die beiden folgenden, kürzeren Stücke, ?Quam pulchra es? und ?Ego flos campi? (insbesondere für letzteres) ?, aus dem Gombertschen Satz einzelne Textphrasen herauszuhören, da sich oft gar so viel überlagert.

Eine andere musikalische Welt tat sich auf, als der den ersten Konzertteil beschließende (kürzere) Josquin-Block mit dem berühmten vierstimmigen ?Ave Maria? begann! Berückend bereits die erste sich aufwölbende Oberstimmenphrase, die bei Countertenor David James in den besten, leuchtendsten Händen war. Hier ist irgendwie ein anderes Verhältnis zum Text wirksam, sehr schön konnte die für Josquin charakteristische Technik der Stimmpaarbildung (das Arbeiten mit Bicinien) bei ?Ave cuius conceptio ?? studiert werden. Herrlich dann die beiden ganz schlicht vertonten, dabei nur umso eindringlicher wirkenden Schlußzeilen: ?O mater dei, memento mei?; wie hier zu viert die ganze Kirche gefüllt wurde, mag wohl zu den Geheimnissen der Hilliard-Leute gehören. Das Geheimnis Josquins ist es aber, diese beiden Textzeilen zu einer bewegenden Bitte in Musik gemacht zu haben: ?O Mutter Gottes, gedenke mein?. Unwillkürlich kommen einem da die Worte eines großen, musikliebenden Generationsgenossen Gomberts in den Sinn; es ist der deutsche Reformator, von dem uns die schönste Würdigung der Kunst Josquins erhalten ist, überliefert durch Johannes Mathesius: ?Josquin, sagt er [Luther], ist der noten meister, die habens müssen machen, wie er wolt; die andern Sangmeister müssens machen, wie es die noten haben wöllen.? Luther wußte genau, was gute Musik war!

Auch an ?Tu solus? mit seinen homophon-getragenen Partien und seiner Bicinien-Passage ? dort ertönen erst nur die zwei tiefen, sodann nur die zwei hohen Stimmen (und schließlich wieder alle vier Vokalparte) ? kann diese Erfahrung des innigen Textmitvollzuges gemacht werden.

?Nymphes de Bois? ist Josquins Trauergesang auf Johannes Ockeghem (gestorben 1497), die große Vaterfigur für die Komponisten der Josquin-Generation. Und im zweiten Teil dieser ?Deploration? sind sie alle ? textlich ? versammelt: Josquin, Pierre de La Rue, Brumel und Comp?re (?Legt eure Trauerkleider an? werden sie aufgefordert). Schon das macht das 5stimmige Stück zu einem bedeutenden musikgeschichtlichen Dokument; darüber hinaus bezeugt allein ein Detail wie das erste von D. James angestimmte ?Amen? (!) den hohen Wert als musikalisches Kunstwerk.

Der zweite Programmteil hob ? auch hierin manifestierte sich die perfekte Dramaturgie des Hilliard-Programms ? mit dem Gombertschen (nun lateinischen) Parallelwerk ?Musae Iovis? an. Hier sind es nicht die Nymphen des Waldes, sondern die Musen Jupiters, welche zur Klage angehalten werden, zur Klage über den Tod des berühmten Josquin, wie die mehrmals eindrücklich gesungene Zeile ?Iosquinus ille occidit? belegt.

Noch einmal konnte im ebenfalls 6stimmigen ?Oculi omnium? beobachtet werden, wie Gombert seine Vertonung sogleich zu einem reichen musikalischen Satz entfaltet, der dann den Eindruck ständigen Weiterströmens wachruft. Und in diesem zweiten, nun ganz auf Gombert zentrierten Programmteil zeigte sich auch, was es mit den ? auch schon im ersten Teil ? eingestreuten gregorianischen Chorälen, in denen unser Spezialisten-Ensemble sozusagen zur kleinen Mönchs-Schola (meist a 3 oder a 5) mutierte, auf sich hatte: jene sieben Choräle werden in Gomberts, kurz vor dem Ende des Programms erklungener Motette ?Diversi diversa? miteinander kombiniert (dieses ?gewagte Kunststück? war nur hörend freilich kaum gebührend nachzuvollziehen). Das Agnus Dei der ?Media Vita?-Messe beschloß, wie hätte es anders sein können, das ganze Konzert.
Daß Musik der niederländischen Vokalpolyphonie beim Hilliard Ensemble stets bestens aufgehoben ist, versteht sich nahezu von selbst. Die Zahl ihrer diesbezüglichen Einspielungen ist schon fast Legion. Und auch jetzt in Leipzig wurde dieser spezifische Hilliard-Sound akustische Wirklichkeit. (Vielleicht realisierte sich, wenn nebenbei diese ganz persönliche Bemerkung verstattet sei, nicht ganz jene atemberaubende Souveränität, die sich in des Rezensenten Erinnerung mit dem 1994er Konzert in der Nikolaikirche fest verknüpft: damals sangen vier Hilliard-Herren Josquin und Brumel; aber es geht hier wirklich um ? hauchdünne ? Nuancen). In langen Sätzen die stimmliche Modulationsfähigkeit, die Stilsicherheit oder das stimmige Miteinander der Vokalisten, die sich für dieses Mal mit Gombert einem ?schwierigem? Komponisten verschrieben hatten, zu loben, hieße A cappella-Ensembles nach England tragen. Auch sie, die sechs Sänger dieses samstäglichen Thomaskirchenkonzerts, sind ?der Noten Meister?.

(Wolfgang Gersthofer)

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