MDR-Sinfonieorchester und MDR-Rundfunkchor mit Gubaidulina und Janacek (Marcus Erb-Szymanski)

15. Mai 2001 Gewandhaus Großer Saal

MDR-Sinfonieorchester, MDR-Rundfunkchor

Dirigent: Marek Janowski
Choreinstudierung: Howard Arman
Solisten: Elena Prokina, Sopran; Marianna Tarasova, Mezzosopran; Ludovit Ludha, Tenor, Anatoli Kotscherga, Bass; Benjamin Koch, Knabensopran (MDR-Kinderchor)
Chorsolisten: Andrea Pitt, Alt; Ekkehard Wagner, Tenor;
Hanns-Jürgen Ander-Donath, Bass
Orgel: Felix Friedrich

Sofia Gubaidulina:
Alleluja für gemischten Chor, Knabensopran, Orgel und großes Orchester

Leos Janacek:
Glagolitische Messe für Soli, Chor, Orgel und Orchester

Ein Königreich für ein Farbenklavier

Das Besondere an Sofia Gubaidulinas Komposition ist, dass sie von einem Farbenklavier begleitet wird, welches jedoch – vermutlich aus taktischen Gründen (wer hat schon ein solches zur Hand bzw. wer kann sich den Luxus zusätzlicher optischer Lichteffekte leisten) – nur ?ad libitum? vorgeschrieben ist. Daher ist eine weitere Besonderheit dieser Komposition, dass nach bisherigem ?Belieben? dieses Farbenklavier nie eingesetzt wurde und bis heute allein der Fantasie der Hörer überlassen bleibt. So auch, leider, in dieser Aufführung: Ein großes Orchester, ein großer Chor, eine große Orgel – aber kein Farbenklavier!

Und es fehlte uns, denn vom ersten Ton an ist in diesem Werk zu spüren, wie vor allem mit Klangfarben gearbeitet wird. Wenn der Chor die ersten Worte (Pardon, es ist ja nur zunächst nur eins: Alleluja) singt, greifen einzelne Instrumente aus dem Orchester, Posaune, Cello, Instrumente mit mittlerer Stimmlage, die Schlusstöne und -frequenzen auf, als wollten sie sie für die Hörer im Gedächtnis behalten. Andere Instrumente zeichnen die Melismen der Chorsolisten nach und verwandeln so die vokalen Wendungen in instrumentale. Leichte Anklänge an orthodoxe Liturgie zerstreuen sich in dem Maße, wie melodische Motive oft im ganzen Orchester aufgelöst, vereinzelt und zu einem dissonanten Netz verflochten werden. Dann verschwinden freilich die spezifischen Farben im Grau einer allgemeinen Mischung.

Aber auch später werden mittels interessanter Choreinsätze neue ?Farbtöne? hervorgebracht: Durch rhythmische Verschiebungen bei der Intonation des ?Alleluja? vermengen sich die Silben und Stimmlagen bei den Chorsängern. In den von den Solisten teilweise scharf durchschnitten Konturen des bis zum Sprechgesang reichenden Spektrums des Chors entsteht eine faszinierende Polyphonie der Farben, die sich mitunter zu einer Klangwolke verdichtet, die wie ein Vogelschwarm über die Hörer hinwegrauscht.

Und auch am Ende, wenn der Knabensopran mit glockenreiner Stimme von einem Glockenspiel begleitet wird, entsteht zwischen den höchsten Frequenzen der Piccolo-Flöte und den tiefsten bei den Bässen eine Art Kontrast-Rahmen, innerhalb dessen die Grenzen zwischen menschlicher und instrumentaler Stimme verschwimmen. Das ungestörte Fließen zwischen gesungenen und gespielten Klängen bringt in dieser Musik fast mystische Effekte hervor, weil das vertonte religiöse Wort wie ein ungetrennter Bestandteil der Natur erscheint.

Doch das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem im Orchester kurze Motive und Rhythmen oft genug auf der Stelle treten und in ihrer gleichbleibenden Monotonie nicht so recht vom Fleck kommen. Musikalische Thematik ist kein Thema in diesem Werk. Es kommt nicht auf motivische Verarbeitungen an, sondern offensichtlich allein auf die unmittelbaren klanglichen Wirkungen. Und eben diese Einseitigkeit hätte ein Farbenklavier trefflich kompensieren können.

Um nun den Janacek nicht völlig unerwähnt zu lassen, möchte ich noch kurz hinzufügen, dass mir in dieser Glagolitischen Messe vieles zu schnell und zu hektisch vorkam. Die Würde und gleichzeitige Dramatik dieses Werks beruht meines Erachtens auf den großen rhythmisch-zeitversetzten Motivblöcken, die sich unentwegt aneinander reiben. Das dissonante Aufeinanderprallen solcher Schollen darf deren Eigenständigkeit nicht verleugnen. Doch dies passiert bei einem zu schnellen Tempo, wenn sich alles in einem dramatischen überzogenen Ablauf vereinheitlicht. In diesem Treiben wurden auch die Solisten regelrecht verschlissen, standen den tosenden Klangmassen eher hilflos gegenüber. So konnte man sich nur an den prächtigen Chor zu halten, der hier – vor allem in den Frauenstimmen – besser aufgelegt und vorbereitet schien als noch vor der Pause.

(Marcus Erb-Szymanski)

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