www heimat le – Das Theaterspektakel II (Ian Sober)

18. – 27. Mai „www heimat le“

Weitere Eindrücke vom Theaterspektakel

Peter Handke, Die Unvernünftigen sterben aus

Quitt: Frank Apitz
Hans: Michael Schrodt
Kilb: Patrick Imhof
von Wullnow: Andreas Keller
Koerber-Kent: Friedhelm Eberle
Lutz: Thomas Dehler
Paula Tax: Constanze Becker
Quitts Frau: Simone Cohn-Vossen

Regie: Wolfgang Engel

Michel Houellebecq, Ausweitung der Kampfzone
(Textfassung: Ulrich Hüni und Hans Jürgen Pullem)

Marco Albrecht
Constanze Becker
Jörn Knebel
Jochen Noch
Sarah
Friderikke-Maria Weber

Regie: Ulrich Hüni

Werner Schwab, ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM
(Fassung von Torsten Buß und Enrico Lübbe)

Jürgen: Marco Albrecht
Schweindi: Jörg Dathe
Hasi: Bettina Riebesel
Karli: Christoph Hohmann
Herta: Susanne Stein
Fotzi: Ellen Hellwig
Wirtin: Susanne Böwe
Ein Paar: Christa Meier; Dieter Jaßlauk
Musicbox: Oliver Kraushaar

Regie: Enrico Lübbe

Heimatabend mit Handke, Houellebecq, Schwab

Die edle Ledersesselwelt der Großunternehmer wird bei den wenigsten Leipzigern Gedanken an Heimat wachrufen. Doch gerade dort, wo die Spielregeln einfach sind, läßt sich auf exemplarische Weise das Verhältnis zu einer vertrauten Umgebung studieren. Peter Handkes Stück „Die Unvernünftigen sterben aus“ war gewissermaßen die Pflichtveranstaltung, danach teilte sich das Publikum auf für zwei weitere Stücke, die aus elf möglichen ausgewählt werden konnten.

Am Anfang also gibt es Quitt (Frank Apitz), einen Geschäftsmann mit der Vitalität eines Boxers, der erfolgreich ist und doch schwankt zwischen Selbstmitleid und Zynismus. Denn die in ihm noch nicht erloschenen menschlichen Regungen haben keinen Einfluß mehr auf die festgefügten Bahnen seines Lebens.

Seine Geschäftspartner sind die Vernünftigen, sind diejenigen, die die Spielregeln nicht infrage stellen. Auch sie haben, parallel zu Quitts Reflexionslust, ihre Eigenheiten, pflegen ihre Individualität: Der eine verachtet die kleinen Leute, auf die sich sein Reichtum gründet, denn „der Konsum knackt den Charakter“, der andere wirft ihnen vor, nicht genügend über alle Billigangebote informiert zu sein, einer ist gar ein Geistlicher und eine vierte schließlich (Quitts überspannte Geliebte) schwärmt für die erneuernde Kraft der Werbung.

Darüber hinaus gibt es auch noch eine Art Hanswurst, den Kleinaktionär Kilb, dessen scheinbare Nonkonformität bei Quitt etwas wie Sympathie weckt. Die wenigen Menschen, die Quitt nahestehen, sind sein Butler, seine Geliebte und seine Frau. Sie alle vermögen höchstens eine schwache Neugier in ihm zu wecken und sind ansonsten seiner Willkür ausgesetzt.

Das Stück beginnt mit einer Absprache unter Konkurrenten. Echter Wettbewerb ist zu zerstörerisch als daß man sich nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen könnte: Darauf also stößt man an mit Vorkriegschampagner aus mundgeblasenen Gläsern. Wolfgang Engels‘ Inszenierung folgt einer klaren Linie. Während im Bühnenbild ein Stereotyp von Quitts Alltagswelt – Ledercouch, Kugelaschenbecher, ein obligatorisches Klavier – mit einem darüber prangenden gigantischen Strichcode symbolisch überhöht wird, werden die geschliffenen Dialoge Handkes von abgeklärter, elektronisch untermalter Geigenmusik begleitet, die etwas von Quitts Distanz zu den Dingen einzufangen vermag. (Es entsteht eine ähnliche Wirkung wie bei der Musik in Peter-Greenaway-Filmen, etwas Ephemeres, Unwandelbares wird suggeriert.)

Im zweiten Teil des Stücks wird dann der Strichcode durch eine verkitschte Tropen-Phantasielandschaft in Falschfarben ersetzt, und die Musik wird aufgeregter. Mit der schönen neuen Einigkeit ist es nun vorbei. In einem Anfall von Überdruß hat Quitt beschlossen, die Absprache zu brechen und seine Geschäftspartner gnadenlos niederzukonkurrieren. Das bald darauf stattfindende zweite Treffen offenbart deren Willensschwäche und ohnmächtige Wut (man steckt den Finger in den Hals, aber man kotzt nicht). Quitts verzweifeltes Aufbäumen gegen die Unwandelbarkeit seiner Welt zieht so eine Reihe von ähnlichen Reaktionen nach sich, die jedoch alle schon im Ansatz steckenbleiben. Der einzig Konsequente wird er selbst sein, seine Rebellion endet im Harakiri.

Auch in Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ steht die Auseinandersetzung eines Einzelnen mit seiner Seinsbedingung im Mittelpunkt. Freilich ist das Milieu ein ganz anderes. Die Dramatisierung (Ulrich Hüni und Hans Jürgen Pullem) des monologisch angelegten Romans scheint kein leichtes Unterfangen und ist in großen Teilen erstaunlich interessant gelungen. Dabei bleibt man sehr genau am Text, welcher mit lakonischer Präzision den Beginn des Ausstiegs eines mittleren Angestellten der Softwarebranche aus seiner freudlosen Alltagswelt beschreibt.

Ein Shuttlebus (in dem zwei Hostessen, die eine eben noch Quitts Geliebte, aus Houellebecqs Text zitieren, leider werden sie sich wenig später in rosa Schweinchen verwandeln) bringt die Zuschauer zur Galerie für Zeitgenössische Kunst. In einem der Ausstellungsräume sitzt das Publikum auf recht unbequemen weißen Kunststoffquadern unterschiedlicher Höhe und schaut auf eine Glaswand, vor der sich die Handlung abspielt.

Dort gibt’s den Protagonisten gleich in dreifacher Ausführung (Marco Albrecht, Jörn Knebel und, am überzeugendsten, Jochen Noch). Dreimal derselbe rötliche Scheitel und dasselbe etwas geschmacklose Outfit: graue Hose, rosa Hemd, blaues Sakko. Hinter der Glaswand findet ein anderes, immer wiederholtes Schauspiel statt: Dieselbe preziöse Blondinette betritt den Raum und zieht sich in immer derselben Weise aus, langsam und wohlkalkuliert, auf ein Publikum abgestimmt.

Während also vorne die drei Houellebecqs mit Episoden aus dem Alltag eines Informatikers die Handlung flott vorantreiben (dabei gelegentlich auch andere Personen mimen) und sich die Schwierigkeit sinnvollen Lebens, die Unmöglichkeit erfüllter zwischenmenschlicher Beziehung herauszustellen beginnt, irrt der Blick immer wieder nach hinten ab, wo man gewissermaßen eine der Schwierigkeiten auf unmittelbarere Weise vor Augen geführt bekommt…

Regisseur Ulrich Hüni hat nun offensichtlich die Notwendigkeit verspürt, einer gewissen Eintönigkeit vorzubeugen und die eher soziologischen Ausführungen mit Hilfe von Fallbeispielen zu verdeutlichen. Für die bedient er sich zweier rosafarbener Schweinchen, die, während sie sich auf verschiedenste Art und Weise paaren, über die Unmöglichkeit romantischer Projektion philosophieren. Dem konzentrierten Text aber tut das Kabarettistische nicht gut, denn es wohnt ihm an sich schon genug Komik inne: die einer ans Zynische grenzenden Genauigkeit bei der Beobachtung von Entfremdungsphänomenen.

Nach der Vorstellung nötigen uns die Organisatoren zu einem fünfzehnminütigen Aufenthalt, auf daß die Ausstellungsstücke der Galerie ihre Würdigung erfahren mögen. Wieder im Schauspielhaus angekommen, bleibt nur noch wenig Zeit für einen schnellen Imbiß im provisorischen Biergarten des Innenhofs, bevor man sich für Werner Schwabs „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ auf den verschlungenen Weg zur Probebühne I begibt.

Dort schlägt das Theater das Kino auf seinem ureigenen Feld, dem schieren Realismus: Die Probebühne ist die ideale Bahnhofskaschemme, und wenn der Zug vorbeidonnert, endlos, ohrenbetäubend, dazu das Licht im richtigen Rhythmus flackert, ist die Illusion von Realität perfekt. Die Typen, die hier zum Leben erweckt werden, mögen für einen Moment harmlos-schrullig wirken, zumal wenn man sie anfangs minutenlang beobachten kann, ohne daß ein Wort fällt. Doch könnte einen schon das Entsetzen packen ob der sich bald auftuenden charakterlichen Abgründe, würde dieses Gefühl nicht immer wieder gebrochen durch die Komik der Situationen und Dialoge.

Schwab stattet seine Figuren mit einer suggestiven Sprache aus, die einerseits glauben läßt, hier sei dem Volk aufs Maul geschaut, andererseits aber alles in starkem Maße stilisiert und immer wieder mit der Treffsicherheit ihrer Bilder und Wendungen überrascht. Es gibt zwei Ehepaare mittleren Alters, vorn rechts Schweindi und Hasi (beide stricken), hinten links Karli und Herta. Karli ist ein Prolet, Schweindi und Hasi halten sich für was Besseres. Alle tyrannisieren sich gegenseitig. Dazu gibt’s den Lehrer Jürgen, der sich alternativ gibt und zu schlichten versucht und der über Seelenlandschaften philosophiert, während Karli seine Herta auf sadistische Weise mißhandelt. Es gibt die halbverrückte Fotzi, die wie das Sterntalermädchen ihr Hemdchen lüftet für ein Geld (für die Musicbox, doch hat das Hemdchenlüften hier eine Doppelfunktion). Und schließlich gibt es noch die Wirtin, die rigoros eingreift, wenn Karlis Ausfälle die Kundschaft (in Gestalt von Schweindi) zu vergraulen drohen.

Mit großer Genauigkeit werden die Psychogramme der Hauptpersonen gezeichnet, und man fragt sich zwangsläufig, ob die österreichische Provinz wirklich so viele Scheußlichkeiten bereithalten kann… Das plötzliche Hereinplatzen zweier Fremder, ein würdig ergrautes Paar, das wohl irgendein Ehejubiläum feiert und in liebevollen Blicken füreinander ertrinkt, weckt, nach anfänglichem Staunen über so viel Liebe, die blanke Mordlust fast der ganzen Versammlung. Das makabre Ende wird man leicht erraten. Die allesamt hervorragend agierenden Schauspieler, die oft durch kleine Gesten eine große Wirkung erzeugen, lassen diese durchweg gelungene Inszenierung den krönenden Abschluß des Abends werden.

(Ian Sober)

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