Johann Gottlieb Naumann „Cora” – Konzertante Aufführung (Wolfgang Gersthofer)

11. Juni 2001

Johann Gottlieb Naumann (1741-1801) „Cora“ – Konzertante Aufführung

Georg-Friedrich-Händel-Halle

Dirigent: René Jacobs
Concerto Köln

Dresdner Kammerchor
Einstudierung: Hans-Christoph Rademann

Cora: Inga Kalna
Alonzo: Bernada Fink
Ataliba: Johannes Chum
Rocca, Coras Vater: Markus Marquardt
Elina, Coras Mutter: N. N. [laut Programmheft!]
Zulma: Sandra Moon
Operpriester: Raimund Nolte

Konzertanter Vulkanausbruch – Naumanns „Cora“ in der Händel-Halle

Nun hat das heurige Naumann-Fieber auch die Hallischen Händelfestspiele erreicht. René Jacobs, der (Alte) Opern-Schatzgräber, präsentierte in der beschämend unterbesetzten Händel-Halle die dreiaktige „Cora“, die wohl als eines der Hauptwerke des Blasewitzers angesehen werden muß. (Zwei Tage zuvor war diese konzertante Produktion in der Semperoper gespielt worden).

Die ursprünglich für den schwedischen Königshof geschriebene Oper („Cora och Alonzo“) basiert auf einem seinerzeit ganz aktuellen Inka-Roman von Marmontel. Für Dresden wurde bald – noch vor der auf 1782 verschobenen Stockholmer Aufführung – eine deutsche Version geschaffen, die zwei zusätzliche Musiknummern enthält und zuerst wohl konzertant erklang. „Cora“ gehört also zu jenen Musiktheaterwerken, die den exotischen Reiz Mittel- und Südamerikas – es muß ja nicht immer eine Türkenoper sein – auskosten. Man könnte hier einen Bogen von Carl Heinrich Grauns „Montezuma“ aus den 1750er Jahren – der Alte Fritz persönlich hat das Schicksal des mexikanischen Monarchen aus dem frühen 16. Jahrhundert zum Libretto geformt – über Peter von Winters vielgespieltes „Unterbrochenes Opferfest“ (Wien 1796), das wie die „Cora“ den peruanischen Sonnenkultus auf die Bühne brachte, bis zu Spontinis „Fernand Cortez“ (Paris 1809) spannen. Den Cora-Stoff hat nach Naumann etwa Simon Mayr – gleich in zwei Versionen (Mailand 1803; Neapel 1815) – aufgegriffen.

Die Attraktivität solcher Opern besteht nicht zuletzt in der Möglichkeit der Gegenüberstellung von einheimischer Sphäre und europäischem, ergo spanischem „Eindringling“ (sei es der eher negativ gezeichnete Cortez im „Montezuma“ oder eben Alonso in unserem Stück, der schließlich, aufklärerisch, für eine Lockerung der strengen religiösen Rituale, die auch Opferungen vorsehen, plädiert).

Der dem peruanischen König Ataliba durchaus freundschaftlich verbundene Spanier Alonso hat sich ausgerechnet in die für den Priesterinnendienst bestimmte einheimische Jungfrau Cora – glücklich (!) – verliebt ? Parallelen zu Spontinis erster – in anderem historischen Milieu (römische Antike) angesiedelter – Pariser Erfolgsoper „La Vestale“ drängen sich auf (das Motiv der verbotenen Liebe einer Priesterin ist noch in der „Norma“ von Bedeutung, womit wir ein halbes Jahrhundert seit „Cora“ zurückgelegt hätten).

Die stilistische Position der – etwa zur gleichen Zeit wie Mozarts „Idomeneo“ entstandenen – Naumannschen Oper ist nicht ganz leicht zu umreißen. Gewiß haben Erfahrungen der Gluckschen sogenannten Reformopern auf sie eingewirkt. Aber auch der italienische Seria-Tonfall ist in manch gehaltvoll-ausgreifenden (teils gesangstechnisch anspruchsvollen) Musiknummern nicht zu überhören. Diverse formale Auflockerungen – Arien ohne „richtigen“ Schluß (direkter Übergang ins Accompagnato), häufigerer Choreinsatz, eigenständige Instrumentalsätze (v. a. 3. Akt) – weisen auch dieses Werk dem vielbeschworenen Reform-Kontext zu.

***

Ein Wort zum Programm“heft“ scheint nicht unangebracht: Daß man es nicht schaffte, in irgendeiner Weise den Namen der Sängerin einer kleineren Partie nachzutragen (noch nicht mal in Form eines Einlegers), mag schon die Lieblosigkeit bei seiner Erstellung erkennen lassen. Für dieses Faltblattl, das im Grunde nur den entsprechenden Artikel aus Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters und die Künstlerbiographien enthielt, 3 Deutsche Mark zu verlangen, das grenzt schon an – nun ja, hier schweigt des Rezensenten Höflichkeit. Auf den großen europäischen Festivals – und zu diesen darf man die Hallischen Händelfestspiele doch wohl rechnen – sollte es eigentlich zum Standard gehören, die Möglichkeit eines Librettoerwerbs (wenn dasselbe nicht bereits eh im Programmheft inkludiert ist) zu bieten. Diesbezügliche Bemühungen des Rezensenten blieben erfolglos (es wird doch ohnehin deutsch gesungen, haben sich die Veranstalter wohl gedacht).

Zurück zum Eigentlichen: Ein durchweg gutes Sängerensemble hatte sich des Naumannschen Hauptwerks angenommen. Lediglich kleinere Wünsche mochten hier und da offenbleiben (was dem Gesamteindruck nicht eigentlich Abbruch tat). Vielleicht zählen ausladende Koloraturen nicht unbedingt zu den Stärken von Johannes Chum (Arie 1. Akt), vielleicht kann mancher sich den – dogamtisch verhärteten – Oberpriester noch kerniger, bassiger vorstellen, und vielleicht war der hell-glockige Sopran der Titelheldin stellenweise etwas eng geführt. Aber das sind Beckmessereien. Die geschlossenste sängerische Leistung bot wohl Bernarda Fink mit ihrem runden Mezzosopran.

Spiritus rector der Aufführung war – einmal mehr – René Jacobs, der in den letzten Jahren die Begegnung mit manchem – heute wenig bekannten – Opernwerk des 17. und 18. Jahrhunderts ermöglichte (denken wir an jene Produktionen, die Kompositionen von Cavalli und Cesti, von Scarlatti, Hasse, Graun oder Gassmann gewidmet waren). Er und Concerto Köln sind mittlerweile ein eingespieltes Opern-Team, das in Schwetzingen, Innsbruck oder an der Lindenoper Akzente gesetzt hat. Durch die gewohnt zupackende Musizierweise, die immer auch, wo nötig, sanft zurückgenommene Töne kennt, kamen viele Schönheiten der Partitur entsprechend zur Geltung: Wir denken etwa an den berühmten Vulkanausbruch des 2. Aktes – ein knappes halbes Jahrhundert vor dem (Vesuv-)Schlußbild der Auberschen „Muette de Portici“ – mit seinen krachenden Paukenschlägen oder den sombren „Trauermarsch“ in der Opferzeremonie des 3. Aktes. Überzeugend in jener Szene auch die Ariendisposition für die Titelfigur: Coras inniger Solonummer (Oboen!), mit der sie sich auf ihre unvermeidlich scheinende Opferung einstellt, folgt dann relativ bald – die nahende Katastrophe ist durch Alonsos, des Liebenden, Eingreifen abgewendet worden – ihre (für die deutsche Version nachkomponierte) „Dankbarkeitsarie“ mit flotten Bläsersoli und einigen nicht zu knappen Koloraturen (die nun, bei Inga Kalna, in guten Händen lagen).

Fazit: Wieder hat René Jacobs uns mit einer wichtigen und (nicht nur musikgeschichtlichen) interessanten Oper des 18. Jahrhunderts beschenkt.

(Wolfgang Gersthofer)

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