„Ich will auf Missstände im neuntreichsten Land der Welt aufmerksam machen“

Interview mit Ruth Mader, deren Streifen „Null Defizit” in diesem Jahr für Cannes nominiert wurde

Ruth Mader, demnächst Absolventin der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, bekam für ihren kritischen Film Null Defizit nicht nur eine Einladung zum Filmfestival in Cannes (Cinéfondation). Darüber hinaus wird dieser Elf-Minuten-Streifen demnächst zum Filmfestival in Ludwigsburg gezeigt, und sie bekam für ihn jüngst im Mai den begehrten Preis für die beste Regie beim StudentInnenwettbwerb der Wiener Filmakademie (Goldener Bobby).

Wie kam es zu diesem Film? Warum der provokante Titel Null Defizit?

Der Film ist im Rahmen eines normalen Praktikums entstanden. Das bedeutet, wir konnten frei wählen, was wir inhaltlich bearbeiten. Und meine Überlegung war in dem Fall, filmisch zur jüngsten politischen Situation Stellung zu beziehen, die mich sehr wütend macht. Ich wollte als Filmemacher etwas gegen diese Rechtsregierung unternehmen. Null Defizit ist ein politischer Film.
Nach längeren Überlegungen, in welchem Genre ich das Thema bearbeiten könnte, ist dieser Film entstanden. Er greift übrigens formal auf Mittel der Propaganda-Tradition des vergangenen Jahrhunderts zurück.

Einen Film zu drehen, ist sehr aufwendig – denken wir an die 200-Millionen-Schilling Streifen aus den USA. Wie bekommt man eine halbwegs vernünftige Finanzierung zustande? Hilft die Musikuniversität?

Ja. Das Film-Equipment wurde von der Filmakademie bereitgestellt, dort konnte nach Abschluss des Drehs der Film auch nachbearbeitet werden. Trotzdem ist es meistens nötig, selbst Geld zu organisieren, Sponsoren zu suchen, die entweder mit Geldmitteln oder Sachleistungen unterstützen. Das ist unabdingbar, denn – um eine Größenordnung zu nennen – für Null Defizit haben wir über 200 000 Schilling organisiert. Also 200 000 Schilling kamen von außen, der Rest wurde von Seiten der Musikuniversität und der Österreichischen Hochschülerschaft zur Verfügung gestellt. Dabei ist der Film nur elf Minuten lang. Daraus ersieht man, wie aufwendig das alles ist. Übrigens: Die Darsteller haben alle gratis gearbeitet; ansonsten hätte ich das nicht bezahlen können.

Sind die Vorgaben an der Filmakademie immer so frei?

Im ersten Studienabschnitt bekommt man noch Themen vorgegeben. Überhaupt sind die technischen Vorgaben strikter, es geht dabei um das Erlernen von Grundkenntnissen. Ab dem zweiten Studienabschnitt haben wir inhaltlich freie Wahl. Es werden zwar die Länge oder das Genre (Experimentalfilm, Spielfilm, Experimentalfilm oder Dokumentarfilm) vorgegeben, alles andere aber können wir frei wählen.

Die Professoren leiten euch an?

Man bespricht das, was man vorhat, mit dem Klassenleiter, der auf das Projekt individuell eingeht. Alles andere ist eigenständige Arbeit. Ganz wichtig ist es, schon während des Studiums zu erfahren, woher könnten welche Mittel akquriert werden? Welche Materialien benötigen wir? Wie teuer ist das? Wir haben uns auch umzusehen, welche Fördermittel etwa die Bundesministerien oder andere Förderungsstellen im Rahmen der Filmförderung bereitstellen können.

Gut ist es immer, sich frühzeitig selbständig von der Einrichtung zu machen. Wenn ich ausreichend Geld von außen bekomme, bin ich freier. Seit einigen Jahren leitet Prof. Wolfgang Glück die Abteilung, der die Filmakademie sehr gut reformiert hat und die Studenten in ihrer Arbeit unterstützt. Man spürt die Veränderung stark an den großartigen Festivalerfolgen in den letzten Jahren. Immer wieder sind Studenten zu den Top Festivals der Welt eingeladen und gewinnen wichtige Preise.

Sprechen wir über Ihr aktuelles Projekt, über den zum diesjährigen Filmfestival in Cannes gezeigten Film ?Null Defizit?.

Mein Film wurde in diesem Jahr in die Official Selection bei den Filmfestspielen in Cannes eingeladen, um in der Nachwuchsschiene Cinéfondation präsentiert zu werden. Es wurden Filme aus den unterschiedlichsten Ländern und Kontinenten gezeigt – ich war besonders stolz, dass Null Defizit als einer von zwanzig Filmen aus über sechshundert ausgewählt wurde und der einzige Beitrag in dieser Leiste aus dem deutschsprachigen Raum war.

Im Internet ist als Filmbeschreibung zu finden: ?Zero Deficit is a slogan and program of the new Austrian gouvernment. Zero Defizit is not a necessity, although the gouvernment tries everything to present is as such. Zero Deficit is an ideology?. Wie hat die Wettbewerbsleitung auf diesen Film reagiert?

Es hat mich sehr gefreut, dass dem Leiter der Sektion Cinéfondation von Cannes, der letztlich für die Auswahl der Filme verantwortlich zeichnete, unser Film sehr gut gefallen hatte. Nun wird der Film ?auf die Reise gehen? und bei verschiedenen internationalen Filmfestivals gezeigt werden.

Kürzlich bekam der kritische Film Null Defizit beim Internationalen Filmfestival der StudentInnen der Wiener Filmakademie Ende Mai 2001 den traditionellen Goldenen Bobby für die beste Regie. Die fünfköpfige Jury (Michael Haneke/ Buch und Regie, Hans Selikovsky/ Kamera und Produktion, Kurz Mayer/ Dokumentarfilm und Produktion, Klaus Hundsbichler/ Regie und Schnitt sowie Ingrid Gränz/ 3 Sat-Filmredaktion) hat sich eindeutig für diesen Streifen entschieden. Auch die Diagonale hat 2001 den Film gezeigt.

Es ist ein Film über die neue Art des ?finanziellen Gesundschrumpfens? im neuntreichsten Land der Welt. Ich versuchte zu zeigen, dass nicht bei allen Menschen Sparmaßnahmen angemessen sind.

Blicken wir kurz zurück. Wie kamen Sie zum Film; welche Streifen gingen Null Defizit voraus?

Mein allererster Film, der noch in der achten Klasse im Gymnasium entstand, war ein Dokumentarfilm über Obdachlose, ich zusammen ich mit meiner damaligen Schulkollegin Michaela Kulovits gemacht habe. Wir haben damals beim Schülerfilmfestival den Dokumentarfilmpreis gewonnen, das war 1992. Irgendwie war klar, dass mir Filmemachen Freude macht, und dass ich das zu meinem Beruf machen wollte.
Im Studium gab es zu Beginn kleinere Übungen, kurze Dreiminuten-Filme, die man in den ersten Semestern absolviert. Damit man vertraut wird mit der Kamera, wie man ästhetisch arbeitet, filmsprachlich arbeitet.
Den ersten Kurzspielfilm mit Ton drehte ich im dritten Semester. Er hieß Kilometer 123,5 , war 11 Minuten und wurde zum Filmfestival nach Saarbrücken in den Wettbewerb eingeladen. Es ging um eine einsame Frau, die aus dem Leben ausbrechen möchte.

Mit autobiografischen Bezügen?

Eigentlich nicht; ich bin ja keine Tankstellenwärterin. Aber es gibt bei jedem Film ein Thema, das mich interessiert, das mir ein Anliegen ist. Aber ich mache nichts ?eins zu eins? Autobiografisches. Ich verwende Material, das ich erlebt oder beobachtet habe, Milieus in denen ich mich auskenne. Ich will nicht mein Leben verfilmen. Das fände ich öd.

Wie ging es weiter?

Danach habe ich einen Dokumentarfilm über meine Weltreise, die durch Russland, Indien, China und Amerika ging, gedreht. Ich hatte mich dafür während des Studiums für ein halbes Jahr beurlauben lassen. Der Film hieß Ready for What. 1998 drehte ich den Kurzspielfilm Gfrasta, der mit dem Max-Ophüls-Preis (bester Kurzfilm) ausgezeichnet wurde.

Ich zitiere eine Rezension: ?Erschütternd ist der elfminütige Streifen von Ruth Mader, der vorführt, was städtische Wüsten aus Kindern machen können.?

Bei Gfrasta ging es um die Unerbittlichkeit und um die Aggression von 11-13 jährigen Mädchen, um das Dazugehören-Wollen und um die Ablehnung von Andersartigen in der Peer-Group.
1998 begann ich ein ziemlich radikales Filmprojekt, steckte viel privates Geld in die Vorbereitungen, alles war drehfertig. Die Katastrophe war, als der Hauptdarsteller, der zunächst zugesagt hatte, wegen eines Fernsehserienangebotes absagte. Wir trafen noch 22 weitere Schauspieler, aber es fand sich niemand, der diese Rolle, die sehr schwierig und radikal war, spielen wollte oder konnte. Es ging bei diesem Projekt um die Sexualität und Einsamkeit eines alternden Immobilienmaklers. Wie in Gfrasta war das übergeordnete Thema menschliche Nähe, die nicht funktioniert. Gelernt habe ich daraus, bei größeren Projekten wenn möglich nur noch mit Verträgen zu arbeiten.

Sie sind demnächst Absolventin der Wienert Musikakademie. Was würden Sie heute anders angehen, sollten Sie nochmals beginnen können?

Ich finde die aktuelle Universitätsreform nicht sinnvoll. Es werden Studienrichtungen zusammengezwungen, die wenig miteinander zu tun haben. Es ist doch etwas anderes, ob ein Studierender Kamera, Drehbuch, Schnitt oder Regie belegen will. Jetzt kann er nur noch Film studieren. Auch der Alltag an der Akademie ist nicht immer rosig. Helfen würde es, wenn unsere Lehrer zunächst als Gastprofessoren eingestellt würden, weil sie ein echtes Interesse daran haben, im nächsten Jahr wiederzukommen. Dennoch ? ich habe viel gelernt und freue mich darauf, mein Wissen endlich berufsrelevant einsetzen zu können.

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