„Merlin oder Das wüste Land” (Grit Kalies)

04. Juli 2001

„Merlin oder Das wüste Land“ von Tankred Dorst und Ursula Ehler

Sommertheater der Schauspielstudenten

Regie: Jan Jochymski
Bühne / Kostüme: Beatrice Schultz

Nachgeschmack von Gaudium

Der Teufel hat Gewalt sich zu verwandeln in verschiedene Gestalt. Eine Frau sucht den Mann, der sie schwängerte und verließ. „Wo bist du?“ ruft gegen 20 Uhr eine Studentin der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelsohn Bartholdy“ durch den Theatergarten in der Wächterstraße. Ihr Körper ist aufgedunsen und schwer, die Haut faltig, häßlich – kunstvolle Kostümierung wird dargeboten. Im zahlreich erschienenen und amüsierten Publikum spricht sie Leute an: „Würden Sie so freundlich sein und mal Zuckermaus zu mir sagen?“ Einen jungen Mann beschuldigt sie, der Gesuchte zu sein, zerrt ihn vom Stuhl, worauf der arme „Zuschauer“ poetologische Einwände äußert: „Mit solchen albernen Einfällen begeistert ihr hier das Publikum. Wenn ihr glaubt, daß man das komisch findet.“

Die Grenzen zwischen Komik und Makaberheit sind wirklich eher fließend. Die Schwangere führt einen Geburtstanz auf, die Hose wird zwischen den Beinen aufgerissen, und aus der nachgebildeten, offenen blutig-haarigen Scheide wird ein großköpfiges Etwas geboren, das die Mutter sogleich an der Nabelschnur um sich herum wirbelt: Merlin, der Satansgezeugte.

Der erwachsene Merlin in weiblich besetzter Rolle besitzt magische Kräfte und Wissen über die Zukunft. Er leistet seinem Vater Widerstand und kreiert einen runden Tisch als Abbild der Welt, an dem alle gleich sein sollen, weder Haß noch Liebe sollen von den Rittern der Tafelrunde gefürchtet werden, keiner sitzt oben oder unten, der Geist soll über das Chaos herrschen.

Daß die metaphorisch aufgeladene Idee im Verlaufe des Stückes untergraben wird, ist nur zu natürlich. Leben eben, insbesondere Liebe (der Darsteller von Sir Lancelot hat Talent), Intrige und Zufall, zerstören die humanistische Idee im „Zeichen des Grals“. Eine breite Palette von Schauspielkunst wird vorgeführt: pantomimische Einlagen, schräger Humor, Psychoterror, Schreie, Darbietung von Häßlichkeit, zerschlagene blutige Melonen, Spiele mit Zeit und Alter. Äpfel fallen per Fallschirm vom Himmel, das Gewagte und Ausgefallene wird gewagt. Daß „auf jeden Fall die Bösen die interessanteren Figuren“ sind, haben die jungen Schauspieler gelernt.

Das Ende des Stückes dagegen wirkt etwas versöhnlich und klischeehaft agitatorisch, auch wenn der Teufel auf dem Stuhl desjenigen sitzt, der den Gral finden wird. Nach Sätzen, wie „Der Gral ist das menschliche Glück.“ oder „Wenn wir aufhören, den Gral zu suchen, werden wir aufhören, glücklich zu sein.“ laufen Lancelot und seine Mannen und Frauen fort, um das gepriesene Stück zu suchen. Zum Abschluß wird im Chor laut gesprochen: „Hundert Millionen Menschen starren in den Nachthimmel und rufen: Ich muß mein Leben ändern!“, wobei der Ausruf nicht abgeklärt ironisiert ist, wie etwa in Patrick Süskinds „Amnesie in litteris“ (letzter Satz: „Du mußt dein Leben ändern!“). Bleibt so ein Nachgeschmack von Gaudium. Aber das soll es ja auch sein: Sommertheater.

(Grit Kalies)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.