Tennessee Williams „Die Glasmenagerie” (Premiere, Ian Sober)

29. September 2001

Tennessee Williams ?Die Glasmenagerie? (Premiere)

Schauspiel Leipzig/Theater hinterm Eisernen

Amanda Wingfield, die Mutter: Susanne Stein
Laura Wingfield, ihre Tochter: Ellen Hellwig
Tom Wingfield, ihr Sohn: Oliver Kraushaar
Jim O’Connor: Jörn Knebel

Regie: Enrico Lübbe
Bühne: Jürgen Lier
Kostüme: Sabine Blickenstorfer
Dramaturgie: Torsten Buß

Glück und Glas

Wer „Intimacy“ gesehen hat, wird sich vielleicht an das Theaterstück im Pub erinnern: Die Glasmenagerie. Offenbar eine Thematik, die aktuell ist angesichts einer Erfolgsgesellschaft, die den Schwächen des Einzelnen gegenüber gleichgültig bleibt.

In der gelungenen Inszenierung von Enrico Lübbe am „Theater hinterm Eisernen“ erscheint das Stück auf angenehme Weise verjüngt, die Erzählstimme ist gestrichen, den recht genauen Vorstellungen des Autors hinsichtlich der Regie jedoch bleibt man dem Wesen nach treu.

So zum Beispiel beim Einsatz von Licht und Musik. Schwermütig und verheissungsvoll zugleich reißt das musikalische Leitmotiv (aus dem Film „In the mood for love“) die Emotionen der Zuschauer immer wieder zu jenen entrückten Gefilden, in die sich die schon etwas ältlich wirkende Laura (Ellen Hellwig) mit Schallplatten und Glaspferdchen von einer feindlichen Welt zurückgezogen hat. Ein leichter Gehfehler hat sie vor Jahren daran gehindert, ihrem Highschool-Schwarm Jim näherzukommen. Niemand weiß, daß ausgerechnet er es ist, den ihr Bruder Tom (Oliver Kraushaar) auf Drängen der Mutter zum Abendessen eingeladen hat.

Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen, der Vater hat sich irgendwann davongemacht. Für das notwendige Geld vergeudet Tom seinen Tag als Lagerarbeiter, während die Mutter zu Hause ein diktatorisches Regime zwischen Aufopferung und Selbstgerechtigkeit führt (Susanne Stein überzeugt als selbstverliebte und leicht neurotische „Dame von Welt“, die unbewußt ihre Tochter immer wieder auszustechen bemüht ist). In der Kargheit und Spröde der auf die notwendigsten Requisiten beschränkten Bühne erscheinen die Darsteller wie die verlorenen Gestalten aus der Welt eines Edward Hopper. Zwei Plätze am Tisch (Lauras und der der Mutter) werden mitunter von einem auf- und abschwellenden Licht erfaßt, das untergründig Unruhe in der sonst so sterilen Umgebung erzeugt.

Nach dem Stromausfall – Tom hat das Stromgeld für seine Fluchtpläne verwendet – sitzen Laura und Jim (Jörn Knebel gibt den hoffnungsvollen netten Jungen) im flackernden Rosa der Leuchtschrift der Tanzbar von gegenüber. PARADISE schafft eine unwirkliche Atmosphäre, die der der Traumwelt Lauras nahekommt. Zu schwach herüberdringender Tanzmusik deutet sich beim ersten Tanz in Lauras Leben eine Erfüllung ihrer Hoffnungen an. Die Intensität des Spiels ist vielleicht in dieser Szene am größten.

Das Motiv der Glasmenagerie, jener kunstvollen, zerbrechlichen Tierchen, mit denen Laura ihr Träume teilt, wird auf interessante Weise ironisiert: Es handelt sich nämlich um Abbilder immer wieder desselben stereotypen Pferdchens, die Laura aus den Taschen ihres Kleides zieht und die im Laufe des Stückes mehr und mehr werden. Die Glassammlung eines aufs Zählen versessenen Autisten, eine Sehnsucht nach der uniformen Welt da draußen symbolisierend, der das einzige (Lieblings-) Tierchen erst angehören kann, nachdem es durch Jim sein Horn verloren hat. Doch das Einhorn wird auch nach dieser Operation kein Pferdchen sein, sondern das Einhorn mit dem abgebrochenen Horn bleiben: Die Schlußszene zeigt Laura als Schlittschuhläuferin über den gigantischen Plattenteller ihrer Träume, über der das Glück in tausend Scherben zersplittert.

(Ian Sober)

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