Leipziger Jazztage mit Mazur, Minton und Scofield (Nico Thom)

04. Oktober 2001 Opernhaus Leipzig

Leipziger Jazztage

Marilyn Mazur?s Percussion Paradise:
Marilyn Mazur – Perkussion, Stimme
Benita Haastrup – Perkussion, Stimme
Lisbeth Diers – Perkussion, Stimme
Birgit Lokke Larsen – Perkussion, Stimme

4 Walls:
Phil Minton – Stimme
Luc Ex – Bassgitarre
Veryan Weston – Piano
Michael Vatcher – Schlagzeug

John Scofield Trio:
John Scofield – Elektrogitarre
Steve Swallow – Baßgitarre
Bill Stewart – Schlagzeug

Endlich Oktober!

Du sitzt bequem auf deinem Opernsessel, siehst schick aus, hast dir die Haare gekämmt und bist balsamiert. Neben dir sitzt eine unwahrscheinlich attraktive junge Dame mit gekreuzten Beinen und laszivem Blick. Die allgegenwärtig gute Laune und die freudige Anspannung der übrigen Konzertbesucher steckt dich an und Du denkst so bei dir: Jaja, endlich ist der langweilige Sommer vorüber und es gibt wieder Jazztage. Nicht irgendwelche Jazztage, wie man sie zu Hauf auf Bundesebene findet, nein, es sind die Leipziger und diesmal sogar die fünfundzwanzigsten. Ein Jubiläum, das sich die Leipziger etwas kosten lassen; eine Woche non stop hochkarätige Jazzmusik (im weitesten Sinne) mit Staraufgebot und extravaganten Avantgardekünstlern.
Es ist Donnerstagabend und Du siehst ein enormes Sammelsurium von Perkussionsinstrumenten auf der Bühne. Du fragst dich ungläubig, wer die alle spielen soll und kommst zu dem Schluß, daß Show eben doch alles ist und die Phantasie des Bühnendekorateurs mit diesem durchgegangen sein muß.

Plötzlich tanzen vier junge Damen hintereinander im Gleichschritt hüpfend und klopfend auf die Bühne. Du fragst dich, warum die noch mehr Instrumente mit auf die Bühne bringen und bekommst auch prompt die Antwort in Form von diffizilen vielschichtigen Rhythmen aller Art. Diese vier Frauen spielen anders Perkussion als man es gewöhnt ist; ihr Spiel ist sensibel bis zart, niemals kraftvoll und mächtig, aber dafür stets subtil und einfühlend, weiblich eben. Stimmen werden nur sparsam, ergänzend eingesetzt und wenn, dann gehaucht und sinnlich, mit einem Schuß Esoterik.

Nach der Pause nimmst Du wieder Platz auf deinem gemütlichen Sessel und lehnst dich zurück. Vier Männer kommen auf die Bühne und Du bist ein wenig überrascht, weil Du mit dem Bandnamen 4 Walls vier dicke Typen assoziiert hattest. Wow, und dann passiert es; die Jungs machen richtig Krach, und Du spürst, wie sich eine Aversion anbahnt, weil dich alternde Hippies mit Punkattitüden schon immer genervt haben.

Nachdem Du den ersten Schock überwunden hast, hörst Du genauer hin und bist fasziniert von derlei kontrolliertem Chaos. Der Schlagzeuger spielt was er will, nur keinen durchgehenden Beat, der Bassist kann und will seine Punkvergangenheit nicht verleugnen und schrummelt beständig Achtellinien zu den atonalen Pianoeskapaden von Veryan Weston. Der legendäre Phil Minton schnattert indes wie Dagobert Duck und seufzt und krächzt, was das Zeug hält. Du findest richtig Gefallen daran und staunst über die Sicherheit, mit der die vier Mannen das Ungeordnete schlagartig verlassen können, um zu wunderbar melodiösen Passagen überzugehen. Das Publikum merkt langsam, daß es hier an etwas Großartigem partizipiert und läßt sich von der Energie, die diese Band ausstrahlt, mitreißen. Du, und mit Dir alle anderen, hast das Gefühl, kalt zu duschen, den Kopf gewaschen zu bekommen und ihr dankt es mit begeisterten Zwischenrufen und euphorischem Applaus.

Man fühlt sich irre, wie jemand, dem gerade eine Farbbombe im Kopf explodiert ist und der alle imaginären Farben dieser Welt in einem Spektralkaleidoskop gebündelt sieht. Diese Musik ist großartig und Du kapierst es endlich!

Nach dieser Intensität bist Du kaum noch in der Lage, einen dritten Programmteil zu überstehen, aber Du raffst dich auf, denn Du weißt, daß die Attraktion des Abends noch bevorsteht. Kein geringerer als John Scofield gibt sich die Ehre, für uns zu spielen. Zu diesem Zwecke hat er gleich noch zwei weitere Stars der Szene mitgebracht: Steve Swallow und Bill Stewart.

Natürlich weißt Du, was gleich abgehen wird und lächelst in dich hinein, als sich deine Nachbarin naiv nach dem Instrument erkundigt, welches Scofield spielt. Du lehnst dich zurück und unterdrückst die Tränen der Entzückung beim Klang der Musik, die diese Männer erschaffen. Du erschließt nun endlich die volle Bedeutung des englischen Wortes sophisticated und bist gerührt von der Spielerfahrung dieser Musiker. Ein Fingerschnipp und sie spielen Triomusik at it?s best – Weltklasse.

Du dankst dem heiligen Vater dafür, daß Du an diesem Abend dabei sein durftest, an diesem Abend, an dem ein kleines Stück Jazzgeschichte in Leipzig miterlebbar wurde.


(Nico Thom)

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