Zuhören

Wolfgang Hilbig und Uwe Kolbe lesen abends vor dreißig Leuten in der Veranstaltungstonne aus ihren Werken

Zur Einstimmung singt Kolbe eine Hymne auf seinen Dichterkollegenfreund Hilbig, über den Franz Fühmann einmal sagte, er sei ein zweiter Trakl, lobt den Sound in Hilbigs Texten, das sei wie Schlagersingen, da seien „verschiedene Hits in diese Welt gebracht“, und offenbart (obwohl es ihm „etwas genierlich ist, darüber zu reden, aber hier könne man das doch sagen“), daß es durchaus „Aspekte von Neid“ gebe, denn Hilbig halte „Plätze besetzt, Nachkriegsplätze und dergleichen poetische Plätze“, habe alles schon aufgeschrieben, und er, Kolbe, der Jüngere, habe nun ein Problem, denn all diese Plätze seien auf eine so starke Art besetzt, daß Kolbe, statt eigene zu schreiben, Hilbigs Gedichte lese.

Er nimmt das Hilbigbuch Die Weiber zur Hand, liest daraus, denn „schon dieser Roman hätte der erste Durchbruch von Hilbig werden müssen und verdient es, als schlichter Druck mal nachgepreßt zu werden“ und endet mit dem Ausruf: „Ein wunderbarer erster Satz!? Dann wendet sich den eigenen Texten zu, „so ein bißchen quer durch die Zeit“, reiht Worte aneinander, blättert in einem Buch, nimmt ein anderes, liest „vielleicht auch noch ein paar Gedichte aus meinem gerade erschienenen Band: Die Farben des Wassers“ (In dem Buch geht es eigentlich nur um Wasser. Und um Augen.) und liest und liest. „Noch eins, wenn es gestattet ist.“ Der Beifall ist gering.

Es folgt „ein existentieller Rundgang durch drei Jahrzehnte Wolfgang Hilbig“, Bilderflut und Sprachmusik im Geiste Rimbauds und Verlaines. Der kleine lesende Hilbig auf dem Stuhl trinkt Wasser, wir Zuhörer trinken ein „Glas voll kaltem Glück“ oder Wein, wie die Rezensenten neben mir, und „sprechen uns ein letztes Mal die Unsterblichkeit zu.“ „Vollmond rollt“, Worte und Sätze bleiben im Gedächtnis hängen, das ist Lyrik. Der Beifall ist weitaus stärker.

Im Anschluß initiiert der Moderator auf dem Podium philosophisch-philologische Betrachtungen zum Schreiben. Werden Hilbigs Gedichte (letzter Gedichtband: Bilder vom Erzählen) länger und expressiver? Wie kommen die Worte, die Bilder zu uns? Tendieren Kolbes Gedichte zur Kurzprosa? (Kolbe: Ich weiß überhaupt nicht, wie man Prosa schreibt. Als Gegenthese müßte ich sofort ein Sonett vorlesen. Bei mir ist das schlicht und einfach so: ich schreibe jetzt 25 Jahre Gedichte, ich gehe immer wieder von der gleichen Quelle aus, im besten Falle ist sie unerschöpflich.“ Einige Leute gehen.) Wie lassen sich Anfänge, die einem einfallen, fortsetzen? Hat Hilbig einen Hang zum Jambus oder doch eher einen zum Alexandriner? (Hilbig, angenehm: „Für mich ist das nicht gemacht, ich versuche Rhythmus, den ich Taktschritt nenne.“). Ist ein aufklärerischer Impetus heute noch Thema? Hat Literatur den Anspruch zu protestieren, Widerstand zu leisten? Sollten wir dezidiert darauf insistieren? Als Gegenmodell zur poststrukturalistischen Linie etwa? Gibt es eine Dimension des Politischen? Hilbig: „Ich habe kein Sendungsbewußtsein.“ Und Kolbe: „Wenn ich eine Botschaft hätte, dann wäre es nur noch Klang, Sprache, ich behaupte: Schönheit.“

Lyrik in der Moritzbastei
11. Oktober 2001



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