Uraufführung der Oper „Nathans Tod” von Jan Müller-Wieland (Steffen Kühn)

Uraufführung der Oper „Nathans Tod“ von Jan Müller-Wieland
Theater Görlitz
26.10.2001


Eine zeitgenössische Oper über Lessings Nathanstoff nach dem gleichnamigen Schauspiel von George Tabori

Nach den Ereignissen der Intoleranz und des Terrors in den letzten Monaten läßt sich die Brisanz dieses Auftragswerks des Theaters Görlitz anläßlich seines 150jährigen Bestehens kaum überbieten. Da ist auf einer Seite der aufklärerische Anspruch Lessings, seine Vision, Intoleranz und gegenseitige Ignoranz überwinden zu können. Da ist auf der anderen Seite – 200 Jahre später – die Bearbeitung desselben Stoffes durch George Tabori: Einen ungarischen Juden, der fast alle Höhen und (vor allem) Tiefen des 20. Jahrhunderts erlebt und durch seine Arbeit als Autor und Regisseur verarbeitet hat und der von sich sagt: „Ich wäre kein Jude, wenn die Deutschen mich nicht daran erinnert hätten“.

Tabori montiert Lessings Drama um, läßt Nebenhandlungen weg und bereichert den Stoff u.a. durch eine Parabel aus Lessings Briefwechsel: Ein brennender Palast kann nicht gelöscht werden, da die Beteiligten an Ihren Dogmen und verschiedenen Vorstellungen über den Aufbau und die Grundrisse des Palastes festhalten, wie auch über die Organisation der Löscharbeiten. (Allerdings stellt sich der Feueralarm als Fehldeutung des Nordlichts heraus.) Eine weitere Bereicherung ist Taboris eigene Dichtung; u.a. in der Begegnung jeglicher – auch der jüdischen – Intoleranz: „Wißt ihr, welches Volk zuerst das auserwählte Volk sich nannte?“

Jan Müller-Wielands Oper gliedert sich wie Taboris „Nathans Tod“ in sieben Szenen. Verbunden werden diese Szenen durch klassisch anmutende Zwischenspiele, Nordlichter genannt. Musikalisch von Müller-Wieland als „Marschpersiflagen“ bezeichnet, geben sie dem ansonsten stark am Text orientierten musikalischen Satz eine gewisse Authentizität. Inhaltlich sind sie auf die Parabel vom brennenden Palast (Fehldeutung des Nordlichts) bezogen. Musikalische Höhepunkte stellen sich ein, wenn am Ende der 4. Szene Sultan Saladin es ablehnt, die Ringparabel vorzutragen und wenn am Ende der 5. Szene der Patriarch gegenüber dem Tempelherrn nochmals darauf besteht, daß die Taufe des durch Nathan angenommenen jüdischen Mädchens durch den Scheiterhaufen geächtet werden muß (Themen aus „Eine feste Burg ist unser Gott“).

Das Theater Görlitz leistet in jeder Beziehung Außergewöhnliches. Das Gebäude betritt man „von hinten“, da das Haus gerade saniert wird und der Zuschauerbereich nicht nutzbar ist. Ein temporäres Podest aus Bauholz bietet ca. 230 Besuchern Platz. Begleitet wurde die Inszenierung durch regionale Projekte u.a. die Beschäftigung des Gymnasiums mit der Thematik des Stoffes (im improvisierten Foyer als Ausstellung dokumentiert). Das trotz der schwierigen Bedingungen engagierte Ensemble, exemplarisch seien hier nur Yvonne Reich als die in der Männerwelt herrlich laszive Sittah und Matteo Monti als vergeistigter und sehr eindringlicher Nathan erwähnt, transportiert die Schwere des Stoffes überzeugend ins Publikum.

In der in den letzten Wochen alle Hoffnungen lähmenden Manifestation der Intoleranz und Ignoranz setzt „Nathans Tod“ ein deutliches Zeichen. Die Beschäftigung mit der 200 Jahre alten Parabel Lessings lenkt den Blick auf positive Erinnerungen und die Möglichkeit einer vernünftigen Zukunft.

(Steffen Kühn)

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.