Paley spielt Hummel, Mendelssohn, Moscheles und Liszt (Marcus Erb-Szymanski)

03. November 2001 Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

Johann Nepomuk Hummel:
Zehn Variationen F-Dur über ein Thema aus Glucks ?Armida? op. 57

Felix Mendelssohn Bartholdy:
Variations sérieuses d-Moll op. 54

Ignaz Moscheles:
Drei Allegri di Bravura op. 51
1. La Forza (Die Stärke),
2. La Leggerezza (Die Leichtigkeit),
3. Il Capriccio (Die Laune)

Franz Liszt:
Harmonies poétique et réligieuses

Alexander Paley, Klavier

Alexander der Große

Kurze, ineinander verzahnte Motive verbinden sich wie Wasserspiele zu einem virtuosen Fluß, den der Pianist mit souverän und feinsinnig lenkt. Seine introvertierte, nachdenkliche Interpretation erzeugt durch zielsichere Zäsuren kleine Staudämme, die aus dem Wellenspiel charakteristische Gebilde entstehen lassen, ohne dass deshalb das kontinuierliche Fließen zum Stillstand käme.

Johann Nepomuk Hummels Variationen über ein Thema von Gluck sind ein typisches Virtuosenstück, das heißt eine Komposition, die sich damit begnügt, zehn Finger in einem geistreichen Spiel intensiv zu beschäftigen. Und der Unterhaltungswert dieser Art von Musik ist beträchtlich. Die vergleichsweise schwerere Kost der Zeitgenossen Chopin, Schumann und Liszt, die den Komponisten Hummel weitgehend in Vergessenheit geraten ließen, ersetzen keineswegs diese ganz eigene Charakteristik aus Humor, Leichtigkeit und Delektabilität.

Mendelssohns Variationen in Moll sind schon in ihrer Melodieführung und im Zusammenspiel der verschiedenen Stimmen ungleich sperriger. Insofern verlangen sie nach einer völlig anderen Dramaturgie, die über die bloße Spielfreude hinaus noch einen tieferen Gehalt aufdeckt. Alexander Paley verdichtet die thematischen Strukturen bis hin zum fast schon impressionistischen Klang. Melodische Bewegungen verwandeln sich in harmonische. Und wenn gegen Ende die Expressivität und Virtuosität alle formalen Schranken durchbricht, klingt es fast wie ein Aufschrei. Dass dann das originale Thema zum Abschluss noch einmal wiederkehrt, bekräftigt nur seine innere Tragik, die sich im Verlauf der Interpretation so eindrucksvoll offenbarte.

Stärke, Leichtigkeit und Laune (Witz) sind drei Haupteigenschaften, die Paley als Pianist miteinander verbindet. In Moscheles Charakterstudien werden sie separat thematisiert, in Liszts großem Klavierzyklus dagegen sind sie alle zusammen permanent vonnöten. Entgegen aller Vorurteile ist gerade bei Liszts bedeutsamen Werken die Virtuosität zum ästhetischen Mittel geworden, das im Dienst eines bestimmten poetischen Gehalts steht. Diese narrative Funktion zeigt sich schon am Titel des Zyklus ?Harmonies poétiques et réligieuse?. Dass jemand, der schon vor der Pause fast eine Stunde lang Virtuoses gespielt hat, sich danach den kompletten Zyklus von Liszt vornimmt, grenzt an Vermessenheit. Welcher Sterbliche wollte dies allein schon kräftemäßig durchhalten?

Doch Paley macht seine Ankündigung wahr. So richtig satt hören kann man sich an diesem Abend an Liszt und einmal mehr an der Überzeugung festhalten, dass wohl kein anderer Komponist die Möglichkeiten des Klavierspiels so reich und gründlich bis ins letzte Detail ausgeschöpft hat. Da findet sich das herrschaftliche Pathos der stürmenden Akkorde auf der einen, die stille Versunkenheit und unberührbare Kühle der meditativen Melodien auf der anderen Seite. Da finden sich jene motivischen Raffinessen ebenso wie jene ungebremsten ekstatischen Ausbrüche.

Der Solist vertraut ganz auf die unmittelbare Kraft und Wirkung eines leidenschaftlichen und mitreißenden Vortrags. Müdigkeit scheint er nicht zu kennen, nur das Publikum macht mehr und mehr einen überforderten Eindruck. Bei insgesamt zweieinhalb Stunden höchst virtuoser Musik ist dies nicht einmal verwunderlich. Als der Solist nach den ganzen Strapazen auch noch Kraft und Zeit für eine Zugabe hat, schmeißen etliche der Zuhörer das Handtuch und flüchten aus dem Saal. Und Herrn Paley blitzt bei seinen lächelnden Verbeugungen der Schalk aus den Augen.

Aber ansonsten halten alle gut mit, denn das, was vorn am Flügel passiert, ist einfach zu unglaublich. Immer wieder erheben sich einige, um durch die Augen bestätigt zu finden, was die Ohren nicht für wahr halten wollen: Da ist tatsächlich nur ein einzelner am Werke, der seine Leidenschaft, seine ruhige Überlegenheit und seine überragende Virtuosität mit der übermenschlichen Kraft eines Zehnkämpfers verbindet.

(Marcus Erb-Szymanski)

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