11. Euro-Scene Leipzig: Helikopter und MC 14/22 (Nico Thom)

06. November 2001, Schauspielhaus

11. Euro-Scene Leipzig

Helikopter:
Choreographie: Angelin Preljocaj
Komposition: Karlheinz Stockhausen
Lichtinstallation: Holger Förterer

Tänzer/Tänzerinnen:
Nathalie Aveillan, Herve Chaussard, Nadine Comminges, Philippe Combes, Aurelie Lobin, Tommy Pascal

MC 14/22:
Choreographie: Angelin Preljocaj
Sounddesign: Tedd Zahmal

Tänzer:
Jose-Maria Alves de Carvalho, Emilio Calcagno, Herve Chaussard, Philippe Combes, Craig Dawson, Sergio Diaz Gomez, Olivier Dubois, Sebastien Durand, Sidi Graoui, Sylvain Groud, Loic Noisette, Tommy Pascal


Von Hubschraubern, Bibelzitaten und intimer Körperlichkeit

Nachdem der Philosoph Christian Friedrich Michaelis in seiner ästhetischen Schrift ?Über den Rang der Tonkunst unter den schönen Künsten? aus dem Jahre 1799 die Rangfolge aller Künste aufgelistet hat, schreibt er: ?Allein diese Künste gewinnen an Adel und Wirksamkeit, wenn sie sich mit einander verbinden, einander zugesellen oder unterordnen.? Und weiter im Text schreibt er: ?so veredelt sich die Musik, (…) wenn diese zu den rhythmischen Bewegungen eines Spiels affektvoller Gestalten, im Tanze, ihre Melodien ertönen läßt.?

Nun gibt es im ,Helikopter-Quartett? von Karlheinz Stockhausen zwar keine Melodien im klassischen Sinn, aber eine faszinierende Überlagerung des eindringlichen Spiels der Violinen, Violen und Celli, die forschend ihre Klangoptionen erkunden, und einem Helikopterrotor. Dieses Stücks nahm sich der französische Choreograph Angelin Preljocaj auf kongeniale Weise an und veredelte es, ganz im Sinne Michaelis?, zu einer gelungenen Verbindung von Musik und Tanz und gab dieser den simplen, aber treffenden Titel: Helikopter.
Zur Eröffnungsveranstaltung der 11. EURO-SCENE holte man sich Preljocaj nach Leipzig und gab ihm die Möglichkeit, dieses und noch ein weiteres Stück namens MC 14/22 vorzustellen. Beide Stücke waren Deutschlandpremieren und, soviel sei hier vorweggenommen, von Erfolg gekrönt.

Doch wie beginnt ein Stück, welches mit Helikopter überschrieben steht? Selbstverständlich mit einem laut tösenden Rotorgeräusch. Das Schauspielhaus bebt und die Zuschauer harren gespannt dessen, was da kommen mag. Der Medienkünstler Holger Förterer, der für die Lichtinstallation an diesem Abend verantwortlich zeichnet, läßt gespenstisch anmutende Lichtlinien über die Bühne laufen und bald darauf tritt eine Tänzerin auf, die mit kreisenden Bewegungen dahingleitet. Ihr schließen sich weitere Tänzer und Tänzerinnen an, um gemeinsam den Traum vom Fliegen zu zelebrieren, begleitet sowohl von akustischen als auch optischen Rotoreffekten.

Das diesjährige Motto der EURO-SCENE lautet ?Leibesvisitationen?. Und so finden sich auch in diesem Stück symbolstarke Szenen, bei denen sich Körper vereinigen, abstoßen und miteinander spielen. Die Virtuosität des tanzenden Körpers steht im Mittelpunkt dieser präzise abgezirkelten Choreographie.
Das zweite Stück des Abends, MC 14/22, basiert auf einem Bibel-Zitat aus dem neuen Testament, dem Evangelium des Markus Kapitel 14/ Vers 22: ?Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach?s und gab?s ihnen und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib.?

In intimer wie radikaler Form wird hier die biblische Abendmahlszene dargestellt. Zwölf Männer, nur mit einem Leibchen bekleidet, von Jesus verlassen, prüfen sich, testen sich gegenseitig. Mit übersteigerter Symbolsprache werden Szenen der Lust, der Gier und des Kampfes vorgeführt. Schnelle synchrone Passagen wechseln mit surrealen Standbildern. Das Auf und Ab der Tableaus ergreift die Zuschauer, bindet sie ein, erschreckt sie. Man ist schockiert und fasziniert zugleich von derartig provokanter Körperlichkeit. Umrahmt wird diese Szenerie von einer Klangkonzeption des Soundkünstlers Tedd Zahmal, die, ebenso wie die Choreographie des Stückes, dem Zuschauer zu Leibe rückt, die dynamische Hemmschwellen bricht und den Tanz adäquat unterstreicht.

Getreu dem Motto Leibesvisitationen wird hier in spektakulärer Weise darauf hingewiesen, daß der Leib dem Menschen zutiefst wesenseigen ist und demnach einer Reflexion und Erkundung bedarf, besonders in einer zunehmend unkörperlichen postmodernen Gesellschaft.


(Nico Thom)

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