Hans Pfitzner: „Von deutscher Seele” (Frank Sindermann)

06. November 2001 Gewandhaus

Hans Pfitzner, „Von deutscher Seele“

Eine romantische Kantate auf Texte von Joseph von Eichendorff
für vier Soli, gemischten Chor, Orchester und Orgel op. 28
MDR Rundfunkchor, MDR Sinfonieorchester
Annette Dasch, Sopran
Dagmar Pecková, Alt
Glenn Winslade, Tenor
Manfred Hemm, Bass
Dirigent: Fabio Luisi

Eine Chance für die deutsche Seele

Mit der deutschen Seele ist das so eine Sache. Was soll man sich heute unter diesem Begriff vorstellen? Ist nicht jedes Werk des 20. Jahrhunderts, in dessen Titel das Wort „deutsch“ vorkommt, erst einmal verdächtig, zumal wenn es von einem Komponisten stammt, dessen politische Gesinnung nach wie vor Gegenstand kontroverser Diskussionen ist? Auch die beruhigende Information, als Textgrundlage für die Kantate „Von deutscher Seele“ habe Pfitzner Texte von Eichendorff verwendet, außerdem sei das Werk bereits in den Jahren 1920/21 komponiert worden, baut nicht unbedingt Schwellenängste ab. Denn auch wenn man nicht mit einem nationalistisch getönten Werk rechnen mußte: Haben Eichendorff-Zitate wie „O Täler weit, o Höhen“ oder „Es zogen zwei rüst´ge Gesellen“ nicht schon von sich aus eine gewisse Abschreckungswirkung? Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, warum die Zahl der Mitwirkenden, die Pfitzners anspruchsvolles Opus am 6. November im Gewandhaus zu Gehör brachten, die Zahl der Zuhörerinnen und Zuhörer fast übertraf.

Verdient hat das Werk diese Mißachtung nicht; denn bei Pfitzners „Eichendorff-Kantate“ handelt es sich um ein höchst originelles, vielschichtiges Werk, dessen Kenntnis all jenen empfohlen werden sollte, die immer noch die Eigenständigkeit Pfitzners als Komponist bestreiten und in ihm lediglich einen konservativen, rückwärtsgewandten Nachahmer sehen. Die Kantate verbindet kompositorische Komplexität mit einem sehr hohen Unterhaltungswert, wobei die vielen Einfälle im Detail fast darüber hinweg täuschen können, daß dem dreiteiligen Werk der große übergreifende Bogen etwas fehlt. Von besonderer Originalität sind die orchestralen Zwischenspiele. So entwerfen die Teile „Abend“ und „Nacht“ z. B. auf wunderbare Weise das Bild eines ausklingenden Tages und der einbrechenden Nacht, die durch einen choralartigen Abschnitt religiös überhöht wird. Es ist leider nicht möglich, in wenigen Worten die vielen interessanten Momente des Werks zu beschreiben oder auf den Inhalt der drei Teile („Mensch und Natur“, „Leben und Singen“, „Liederteil“) einzugehen. Für den Moment muß deshalb der Hinweis genügen, daß Pfitzners aufwendiges Werk jede Mühe wert ist und ihm größere Bekanntheit zu wünschen ist.

Die Wirkung der Kantate hängt allerdings stark von den Leistungen der aufführenden Musiker ab. Vom Dirigenten fordert sie ein hohes Maß an Integrationsfähigkeit und Übersicht, von den Orchestermusikern solistische Qualitäten, vom Chor maximale Konzentration und Disziplin und von den Gesangssolisten ein enormes stimmliches Potential. Sind diese Eigenschaften nicht vorhanden, wird das Werk jeglichen Effekts beraubt. Glücklicherweise war das im besprochenen Rundfunkkonzert des MDR nicht der Fall. Die Mitwirkenden überzeugten mit hervorragenden Leistungen, und das ausnahmslos. Die gelegentlichen rhythmischen Verschiebungen zwischen den Solisten und dem Orchester und die zeitweiligen Störungen der dynamischen Balance zwischen Chor und Orchester, das überhaupt manchmal etwas zu laut spielte, konnten den sehr guten Gesamteindruck nicht wirklich trüben. Vor allem die Soli und die kammermusikalischen Passagen der Orchestermusiker überzeugten auf ganzer Linie, wie z. B. das Duett zwischen Harfe und Flöte im ersten Teil, das man sich kaum subtiler gespielt denken kann. Auch der Chor machte seinem guten Ruf, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle Ehre. Besonders der Nachtgruß („Weil jetzo alles stille ist“) begeisterte durch Homogenität und Klangsinnlichkeit. Entsprechend bejubelt wurde übrigens Howard Arman, der seinen Chor offensichtlich bestens präpariert hatte. Von den Solisten läßt sich ebenfalls fast nur Gutes sagen. Insgesamt war allen Beteiligten anzumerken, wie sehr sie sich darum bemühten, einem vergessenen Werk gute Anwälte zu sein. Daß ihnen dieses gelungen ist, bewies auch der lang anhaltende Beifall am Ende des Konzerts.

(Frank Sindermann)

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