08. November 2001 Schauspielhaus
Euro-Scene 2001, 11. Festival zeitgenössischen europäischen Theaters
Oskaras Korsunovas Theater, Vilnius
William Shakespeare: ?Ein Sommernachtstraum? (in litauischer Sprache)
Regie und Bühne: Oskaras Korsunovas
Choreografie: Vesta Grabstaite
Bretter die die Welt bedeuten
Wie Birnams Wald rückt eine Wand von Holzplanken aus dem Bühnenhintergrund heran. Sollen die Wolken geheimnisvollen Lichts, die sie umhüllen, uns fürchten machen? Aber nein: Jene gebückten Gestalten, die sich hinter den Hölzern wie hinter Türen verbergen, sind keine Krieger. Nur zögernd trauen sie sich aus ihrem Versteck hervor, um immer wieder schnell dahinter zu verschwinden. Ihr monotones Lamentieren und übertriebenes Gestikulieren verrät keine bösen Absichten. Und da sie in einer fremden Sprache sprechen, hören wir dieses Stimmrasseln ? das später in Heulen, Jaulen, Stöhnen, Seufzen und alle nur denkbaren Geräuschnuancen übergeht ? ohnedies nicht als Sprache, sondern als Musik. Und es ist wirklich eine Musik. Eine ungewohnte, zugegeben, aber doch eine Musik, die den so vertrauten Shakespeare-Text vertont, der in Leuchtbuchstaben über der Bühne flimmert.
Aber eine Oper kann man das Ganze dennoch nicht nennen, eher schon ein Ballett. Ein Ballett der Bäume des Waldes, deren jeder von einer menschlichen Seele bewohnt wird, die in dem Moment, da der Zauber des Schauspiels sie berührt, aus dem Holz hervorlugt wie dereinst diejenige des kleinen Pinocchios. Denn die kräftigen Stämme sind beweglich und schwanken wie die Halme eine Kornfelds hin und her. Im einzelnen wirken diese Bewegungen zufällig, doch im ganzen genommen sind sie choreografisch determiniert. Die Planken verwandeln sich in tanzende Spielkarten, bauen eine Galerie für tollende Waldgeister, formieren sich unaufhörlich zu wechselnden Bühnenbildern. Den einzelnen Figuren und ihren Darstellern sind sie ein Panzer, hinter den man sich jederzeit wieder zurückziehen kann, sofern sie in den unzähligen Metamorphosen nicht zum Partner werden oder gar zum Lustobjekt.
Die Assoziation zu Pinocchio ist nicht weit hergeholt. Denn die liebevollen Bande dieser Marionette zu den Figuren der Commedia dell?arte finden sich auch bei den einzigartigen Darstellern dieser Theatertruppe. So wie jeder Monolog, den sie sprechen, zu einem musikalischem Solo wird, so verselbständigt sich auch jede Geste zu einer eigenständigen Pantomime. Diese Sommernachtstraum-Interpretation ist aus dem Geist der Improvisation geboren. In dem schier unendlichen Reichtum der Einfälle verwirklicht sich die Ideenwelt des ganzen Ensembles. Im Gegensatz zur Commedia dell?arte ist das, was auf der Bühne passiert, zwar kein Stehgreifspiel mehr, sondern dramturgisch und vor allem auch choreografisch bis ins letzte Detail geformt. Doch die Handlungsstränge folgen nicht dem dramatischen Prinzip des Textes, sondern der spontanen Ausgestaltung jeder Szene mit einer Situationskomik, wie sie sich aus den Figuren- und vor allem den Bewegungskonstellationen auf der Bühne ergibt.
Was dem Regisseur und Leiter dieser freien Theatertruppe aus Vilnius, Oskaras Korsunovas, dadurch gelingt, ist ein Theater auf mehreren Ebenen. Denn indem sich die Sprache zu musikalischen Abläufen, die Bewegungen zu Choreografien, die beweglichen Kulissen zu ästhetischen Bildern verselbständigen, entfernen sie sich zugleich vom ursprünglichen Text und entwickeln ein faszinierendes Eigenleben. Das ist nur deshalb möglich, weil Bühne und Kulisse auf ein Minimum reduziert werden. Die Darsteller tragen alle dieselben einfachen Latzhosen und haben außer ihren Brettern (die in dem Fall nicht nur die Welt bedeuten, sondern diese ständig neu entstehen lassen) keinen vorgegebenen Rahmen, dem sich ihr Spiel fügen müsste. Zwischen den Welten des Tanzes, des Dramas, der Musik und der Bilder entsteht nun, zumal es sich um ein sehr bekanntes Stück handelt, ein neuer Beziehungsreichtum, der die Inszenierung zu einem komplexen Gebilde macht, das in sich so folgerichtig und notwendig scheint, wie sonst nur ein Traum.
So ist der Herrscher Theseus nur als eine unsichtbare Stimme zu erleben, seine als Trophäe heimgebrachte Braut als ein gesichtsloser Skalp. Wackelnde Beine eines getragenen Kumpans lassen dem Zettel Eselsohren wachsen und ein zwischen den Verliebten hin- und zurückrollendes Kugellager verbildlicht die einsetzende Wirkung von Amors (Cupidos) Gift. Solche Einfälle sind niemals tendenziösen Interpretationsmustern, sondern allein der puren Spiellust und der Laune des spontanen Einfalls zu verdanken. Das wird immer dann evident, wenn Situationen entstehen, in denen der originale Text einen völlig anderen Sinn bekommt, als er im poetischen Zusammenhang eigentlich hat. So erstreckt sich die Komik schließlich bis ins Literarische hinein.
Aber der Ursprung allen Seins ist hier der Ideenreichtum dieser Inszenierung, der in jedem Detail, in jeder Pose und in jedem Bild sichtbar wird. Jeglicher Versuch einer detaillierten Beschreibung würde die Fantasie schmälern, die diese Aufführung und die Zuschauer, die sie erleben durften, berauschte. Der tosende Beifall und die ehrliche Begeisterung des Publikums beweisen, dass man mit dieser Art von Theater die Menschen glücklich machen kann. Und sei es auch nur für zwei Stunden an einem traumhaften Abend.
(Marcus Erb-Szymanski)
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