Euro-Scene Leipzig: Gastspiel des Berliner Theaters RambaZamba (Grit Kalies)

11. November 2001 Schauspielhaus

Euro-Scene Leipzig: Gastspiel des Theaters RambaZamba, Berlin
?Endspiel? nach Samuel Beckett

mit:
Joachim Neumann als Hamm,
Reinhard Riemer als Clov
Ulrike Lührs als Nell
Michael Schnabel als Nagg
Blacky/Susi als Blindenhund
Regie und Textfassung: Klaus Erforth, Stephan Müller


Leibesvisitationen aus leeren Augenhöhlen

Wenn wir vor der Vorstellung gebeten werden, den Saal während des Spiels nicht zu verlassen, da der blinde Schauspieler bei Fremdbewegungen auf der Bühne Orientierungsschwierigkeiten bekommen könne, sind wir bereits auf eine Besonderheit des Stückes neugierig gemacht und studieren eilig den Beipackzettel: Seit 11 Jahren arbeitet RambaZamba mit Behinderten und Nichtbehinderten. Im Zentrum steht der geschädigte Mensch. Das aktuelle Stück beinhaltet den Versuch, Körper zu tauschen. Der blinde Hamm wird vom sehenden Schauspieler Joachim Neumann gespielt, der sehende Clov vom blinden Reinhard Riemer.

In den Bankreihen auf der Bühne sitzen wir eng beieinander und rutschen noch etwas zusammen, als Nachzügler kommen. Wir sehen uns im Theater, denn die hintere Bühnenwand ist ein Spiegel. Davor erstreckt sich ein weiter Innenraum, dessen einzige Möblierung aus zwei hohen weißen Schränken besteht, die links und rechts hinten aufgestellt sind und an Kühlkombinationen erinnern. Eine rote Thermoskanne zentral dazwischen, ein Mülleimer und ein metallischer Koffer in der rechten Ecke sowie ein rosa Plüschdinosaurier in der Raummitte vervollkommnen die sparsame Einrichtung. Bis auf uns ist noch alles in Ordnung.

Auf dem metallischen Koffer sitzt bald Hamm mit Blindenbrille, ärmelloser Weste und Tätowierungen an den Oberarmen. Im Unterschied zu Becketts ?Fin de partie? von 1956 ist er nicht an den Rollstuhl gebunden, sondern steht auf und geht barfuß mit Stock und Hund die Bühne ab. Das irre Lachen aus der linken Wand und die Worte des rastlosen Clov, der in dicker, mit großflächigen Klebestreifen überzogener Wattejacke eintritt: ?Ende. Äh, äh, äh. Ende, es ist zu Ende. Es geht vielleicht zu Ende.?, sind der Beginn der absurden Parabel von der menschlichen Existenz.

Ob es die Floh- oder Filzlausjagd, das Übergießen mit Puder, das Pinkeln in den Eimer (?Es regnet, es regnet. Es regnet nicht.?), das gemeinsame Singen des Hans Albers-Songs ?Auf der Reeperbahn nachts um halb drei…?, das Kaffeetrinken, das Verweigern von Medizin, das Plattsnaken, Säggseln, Englisch-, Russisch- oder Französischradebrechen, das Wälzen auf dem Boden, der Tanz in den Kostümen aus dem Koffer, das Waschen mit Pisse oder das Blindschachspielen ist, die beiden Clowns verkörpern gekonnt den menschlichen Endzustand. Ihr Geschwätz, kombiniert mit leerer Betriebsamkeit, skizziert ungekünstelt Sinnleere und gegenseitige Gewalt im spielerischen Einverständnis. ?Sag mal, Clov, hast du eine Tablette gegen Blindheit?? ??Aber natürlich. Rosa ist die Farbe der Antiblindheittablette.? ?Wenn du mich schon schlagen mußt, dann schlag mich mit dem Hammer. Oder mit dem Haken.?

Bald schleicht sich das Gefühl ein, daß der Raum für zwei zu klein ist, daß einer von beiden verschwinden sollte, der Rastlose oder der Blinde. Dabei ist fast eine Stunde gespielt und noch immer kein Schrank geöffnet. Aus dem ersten tritt Nell, Hamms Mutter, mit roter Federboa und in ausgestopfter rosa faltiger Haut, aus dem zweiten in demselben Schweinchenrosa Nagg, Hamms Vater, beide mit verstärkten Geschlechtsmerkmalen. (Im Originaltext vegetieren Nagg und Nell in Mülltonnen; man könnte gleichnishaft und mit Blick auf die Lebensmittelindustrie behaupten, Kühlschränke seien unsere heutigen Mülltonnen.)

Mit den immer wiederkehrenden Fragen ?Warum hast du mich zur Welt gebracht??, ?Warum bin ich blind?? verliert das Stück trotz solcher Antworten wie: ?Wir wußten nicht, daß du so blind geworden bist.? an Absurdität. Die Blindheit als Behinderung und nicht unbedingt als Metapher rückt ernst und schwermütig in den Vordergrund, bevor wir uns endgültig im Irrenhaus wiederfinden, in dem jegliche Ordnung und Symmetrie verlorengegangen ist (Puderspuren an den Wänden, Tabletten auf dem Boden zerstreut, Blumen zertreten usw.), Nagg und Nell sich selbst befriedigen und ständig Weisheiten erwartet werden, obwohl Unsinn geredet wird. Jeder der Darsteller hat eine Brille auf. Clov nimmt die seine ab und die Augäpfel heraus. Aus leeren Augenhöhlen starrt er ins Publikum. Ich sehe was, was du nicht siehst.

Nach den Sätzen ?Jetzt sind wir ja schon wieder am Anfang. Wir entlassen einander? und ?Null zu Null? müssen wir unsere Plätze im beeindruckend lebendigen Körpertheater schon verlassen. Ein letzter Blick auf den umgefallenen Dinosaurier in der Mitte der Bühne und auf ins Chaos draußen.

(Grit Kalies)

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