MDR Sinfonieorchester mit Korngold, Gould und Weill (Juliette Appold)

11. November 2001 Gewandhaus – Großer Saal

?Zauber der Musik?

MDR Sinfonieorchester, Dirigent: Fabio Luisi

Solisten: Anja Silja, Gesang
ATRIUM ENSEMBLE, Männerquartett
Sebastian Lipp, Tenor I
Klaus-Martin Bresgott, Tenor II
Martin Schubach, Bariton
Frank Schwemmer, Bass

Programm am Ende des Beitrages

Zauber der Musik mit amerikanischen Ideen

Mehreres verbindet an diesem Abend die drei aufgeführten Werke. Sie wurden alle zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben und sie verarbeiten Klänge, die man gern als ?typisch amerikanisch? bezeichnen würde ? Klänge in reinem Dur, fanfarenartige Intervallsprünge, erweiterte Akkorde und schwungvolle Rhythmen.

Mit der Robin Hood-Suite wird das Konzert eröffnet. Die Sätze sind überraschen kurz (jeder Satz nicht länger als 5 Minuten) und leicht einprägsam. ?Alt-England? beginnt mit dem nach Jagd und Wald klingenden Quartsprung. Warme und sangliche Melodien in Dur mit dichter Begleitung versetzen den Hörer gleich in eine Landschaft, die nach Abenteuer schmecken will. Im zweiten Satz soll, wie das Programm uns verrät, ?Robin Hood und seine fröhliche Schar? zu sehen sein. Fast wie in einem Siegeszug wird er dargestellt. Der Retter kommt: mehrmals wird folgendes schnelle rhythmische Muster wiederholt: drei kurzen folgen direkt zwei lange Trommelstöße. Aufsteigende Melodielinien in Tonleiterschritten ziehen durch das Orchester, und das fanfarenartige Quart-Intervall ist auch immer wieder zu hören. Der Hörer ist also noch in der englischen natürlichen Landschaft. Diese forte-Stelle zusammen mit der zum Teil kämpferischen und zum Teil hüpfenden Rhythmik im Tutti kann nur die über Robin Hoods Erscheinung glückliche und kampfeswillige Gefolgschaft darstellen.

Auch im dritten Satz bleibt die Quarte sehr wichtig. Aber hier handelt es sich um eine Liebes-Szene, bei der himmlische Instrumente (Harfe, hoch singende Geigen und Flöten, Glockenspiel und Posaunen) nur so nach einem Halleluja rufen. Dann bekommt mal das Cello, mal das Saxophon oder auch mal eine Solo-Geige eine exponierte, klischeehaft-romantische Melodie zu spielen. Der Kampf ist vorerst in den Hintergrund getreten, kommt aber im vierten Satz dafür um so mehr zum Vorschein. Hier wird der schnelle Takt dadurch interessant gemacht, daß, wie es schon Bernstein in seinem ?America? aus der West-Side-Story tat, sich die Betonung der Noten verschiebt. Wieder steigen Melodien schrittweise in die Höhe, setzen dann wieder eine Oktave tiefer an, damit die Tendenz des Steigens noch deutlicher wird, und es deutet alles auf ?Sieg?. Erweiterte Dur-Akkorde, auch Röhrenglocken erklingen, und ein großer ?Tusch? beenden das Werk. So programmatisch, wie diese Musik geschrieben ist, braucht man den Film gar nicht mehr zu sehen, um zu wissen, was gemeint ist!

Morton Goulds Symphonette No. 4 folgt sogleich mit weiteren schwungvollen Tanzrhythmen. Hier kommen aber noch Klangstäbe, Schrapp-Instrumente und ein Baritonsaxophon hinzu und bereichern die Klangfarbe des Werks. Vom gern gemochten Dur-Dreiklang zehrt schon der erste Satz im Rumba-Tempo. Der Rhythmus klingt dabei so, als würde die Musik den Hörer immer mit einem gewissen Widerstand nach vorne oder zur Seite hinziehen und somit ganz bestimmte Bewegungen provozieren. Rasseln und ein Schrapp-Instrument tun ein Übriges, um Tanzlust zu wecken. Dem südamerikanischen Tango wird der zweite Satz gewidmet. Mit Gitarre, gezupften Celli, Harfe und Klavier, leidenschaftlichen Geigen, Vibraphon und der typischen Tango-Betonung wechselt dieser Satz zwischen Dur und Moll und endet mit col legno gespielter Begleitung. Im Guaracha hat die Ratsche wieder zu tun, und auch hier klingt der Rhythmus schelmisch und, wie es im Programmheft heißt: ?in schillernden Farben leuchtend, geradezu hauptstädtisch?. Mit schnellem Tempo, viel Blech, Becken und verschiedenen Trommeln endet die Symphonette und erhält rauschenden Beifall.

Mit Kurt Weills ?Die sieben Todsünden? endet das Konzert. Mit kleiner Orchesterbesetzung, Klavier und Banjo begleitet, erzählt Anna ihrem anderen Ich, daß nun sieben Jahre auf sie zukommen, in denen sie Geld verdienen und an ihre Familie für ein eigenes Häuschen schicken werden. In der Rolle der Anna I – Kommentatorin – und Anna II – Tänzerin – (beide sind im Prinzip eine Person) stellt am heutigen Abend Anja Silja ihr Können einmal mehr unter Beweis. Die Familie wird von dem ?Atrium Ensemble? mit viel Witz verkörpert. In einem permanent wiederkehrenden häuchlerischen Gebet finden die Herren zu unerwarteten und amüsant-ironisch klingenden Wendungen im Stil eines Gesangbuch-Chorals: ?Der Herr erleuchte unsre Kinder, dass sie den Weg erkennen, der zum Wohlstand führt. Er gebe ihnen die Kraft und die Freudigkeit, dass sie nicht sündigen gegen die Gesetze, die da reich und glücklich machen.?

Im zweiten Teil implizieren schon der Dreivierteltakt und die jahrmarkthaften Klänge den darzustellenden ?Stolz?. Noch ist sich Anna zu schade, durch ?niedere Arbeiten?Geld zu verdienen. Doch der ?Zorn? der Familie, der durch aggressives Singen und verärgerte Posaunenklänge dargestellt wird, bringt Anna zur Einsicht. Inzwischen ist sie in Philadelphia angelangt und Solo-Tänzerin. Und schon wieder ist die Familie besorgt, denn nach ihren humorvoll und ironisch gesungenen Worten ist Anna ?doch so sehr verfressen?. Kanonartige Einsätze im Familiengesang mit lieblich-häuchlerischer Gitarrenbegleitung bringen das Publikum zum Schmunzeln und Lachen.

Anna verkauft sich das Jahr darauf in Boston und ihr Bericht wird mit spannungsreichen Sekundschritten und Timpani-Pulsschlägen begleitet. Ihr Gesang ist ausdrucksvoll und ?opernhaft?. Im Gegensatz dazu ist ihrem zweiten Ich schon fast die Luft ausgegangen. Anna II kommentiert den Schluß dieses Teils mit den erschöpft ausgesprochenen Worten: ?Es ist richtig so, Anna, aber so schwer!? Und wenn im Epilog Anna I zu Anna II spricht: ?Jetzt kehren wir zurück in unser kleines Haus am Mississippi-Fluss in Louisiana. Nicht wahr Anna??, kann die völlig erschöpfte Anna II nur noch ganz leise und resignierend antworten: ?Ja, Anna.?

So überzeugend, wie Kurt Weills Musik zu Brechts Text von allen Beteiligten an diesem Abend interpretiert wurde, mußte man unwillkürlich daran denken, wie wirkungsvoll das Stück erst zu seiner Uraufführung (1933) in Paris mit Lotte Lenya gewesen sein muß. Denn ursprünglich ist das Werk als gesungenes Ballett konzipiert und aufgeführt worden.


(Juliette Appold)

Erich Wolfgang Korngold (1897 – 1957)
?Adventures of Robin Hood“
Symphonische Suite für großes Orchester
I. Alt-England
II. Robin Hood und seine fröhliche Schar
III. Liebes-Szene
IV. Kampf, Sieg und Epilog

Morton Gould (1913 – 1996)
Symphonette No 4 (Latin American Symphonette)
I. Rumba. Rhumba tempo – Moderately fast
II. Tango. Deliberate – Slowly moving and relaxed
III. Guarache. Moderately fast – Lightly
IV. Conga. Fast driving tempo

Kurt Weill (1900 – 1950)
„Die sieben Todsünden“ – Ballet Chanté Text: Bertolt Brecht
Prolog (Anna I, Anna II) – Andante sostenuto
1. Faulheit (Familie) – Allegro vivace
2. Stolz (Anna I und Familie) – Allegretto, quasi Andantino – Schneller Walzer
3. Zorn (Anna I, Anna II und Familie) – Molto agitato
4. Völlerei (Familie) – Largo
5. Unzucht (Anna I, Anna II und Familie) – Moderato
6. Habsucht (Familie) – Allegro giusto
7. Neid (Anna I und Familie) – Allegro non troppo
Epilog (Anna I, Anna II) – Andante sostenuto

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