Musik-Zeit-Herbstfestival (Nico Thom)

23. bis 25. November 2001
?Musik-Zeit-Herbstfestival?

Schaubühne im Lindenfels

Eröffnungskonzert: Grenzregionen IV –
Elektronische und Liveelektronische Musik

KomponistInnen:
Johanna Jellici ? ?ZWISCHEN HIER UND JETZT? (Uraufführung)
für Violoncello und Tape
Daniel Smutny ? ?CHOROS? (Uraufführung) für Ensemble und Elektronik
Heinz Hollinger ? ?KARDEOPHONIE? für Oboe, Liveelektronik und Tonband
Mela Meierhans ? ?CANTHUS TO CANTHUS? für Stimme, Instrumente und Tonband
Thomas Chr. Heyde ? ?PIANO(S) ? CHAT? für Klavier, Computer und Liveelektronik

Hören lernen

Zu allen Zeiten tat man sich mit Neuerungen in der Musik schwer und schon immer hatten progressive Komponisten und Musiker unter einem konservativen Musikbetrieb zu leiden. Daß die Kunst aber einen gewissen Grad von Kompetenz dem Rezipienten abverlangt das wußte schon Friedrich Rochlitz im Jahre 1799 zu formulieren: ?Jede Kunst muß Receptivität überhaupt, und wenigstens einige Kultur für die einzelne Kunst, von welcher gerade die Rede ist, schon vorfinden.?

Zu den noch immer jungen Bewegungen innerhalb der zeitgenössischen Kunst gehört zweifelsohne die elektronische bzw. liveelektronische Musik. Auf diesem Gebiet gibt es noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten. Das ?gemeine? Ohr, egal ob nun das des Laien oder das des Musikkenners, hat im allgemeinen noch zu wenig Gelegenheit, sich mit elektronischen Klanglandschaften vertraut zu machen und kann sich daher nur schwer in seinen Hörgewohnheiten umstellen.

Der Veranstalter des ?Musik-Zeit-Herbstfestivals?, namentlich das Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig e.V., wollte diesem Manko entgegenwirken und eröffnete das dreitägige Festival, das vom 23.?25.11.2001 in der Leipziger Kulturstätte Schaubühne im Lindenfels ausgetragen wurde, mit einem Abendkonzert unter dem Motto: Grenzregionen. Man bot jungen Komponisten und Komponistinnen die Möglichkeit, ihre elektronischen Werke vorzustellen.

Den Auftakt machte die Uraufführung der Komposition ?zwischen Hier und Jetzt? von Johanna Jellici, ein Stück für Violoncello und Tape. Gesamplete Celloklänge werden in stark verfremdeter Weise vom Band eingespielt und ein ?richtiger? Cellist setzt darüber vielfältige, rhythmisch akzentuierte Figuren, die teilweise klopfend auf dem Korpus des Instruments weitergeführt werden. Der angenehm mit Lichtdesign und Bildern ausgestaltete Saal wurde durch diese Vier-Kanal-Komposition ausgelotet. Einer ähnlich raumfüllenden Technik bediente sich die ebenfalls uraufgeführte Komposition ?Choros? für Ensemble und Elektronik von Daniel Smutny. Einzelne Instrumente sind für den Hörer unsichtbar im Raum verteilt und kommentieren eingespielte Klangspuren mit archaischen Einwürfen.

Die ?Kardeophonie? für Oboe, Liveelektronik und Tonband, komponiert von Heinz Hollinger, setzt auf Assoziationen. Ein durchgehender Sinuston, den eine Oboe mit kurzen Tönen bruchstückhaft umspielte, ähnelt einem Telefonfreizeichen und verbreitet eine bedrückende Atmosphäre, wie sie ansonsten vielleicht nur Tinituspatienten vertraut sein dürfte. Die Komposition ?Canthus to Canthus? von Mela Meierhans für Stimme, Instrumente und Tonband arbeitet mit Sprachkollagen, über die eine Sängerin deutsche und englische Texte spricht und singt. Langgehaltene Töne in den Instrumentenstimmen werden von einem meditativ gespielten Klavierpart kontrapunktiert.

Nach anfänglichen technischen Schwierigkeiten führte ?Piano(s)-Chat?, eine Komposition für Klavier, Computer und Liveelektronik von Thomas Chr. Heyde, das Publikum in eine virtuelle Welt. Die vom E-Piano gespielten Töne und Akkorde durchlaufen einen imaginären Parcours im Inneren des Computers und verlassen ihn paraphrasiert. Dessen Matrix wird so auf interessante Weise akustisch abgebildet, sie wird sinnlich erleb- und vorstellbar.

Außer dem elektronischen Eröffnungskonzert bot das Festival noch weitere Veranstaltungen, die sich mit innovativen Konzepten und dem breiten Spektrum der zeitgenössischen Musikwelt beschäftigten. So lud man unter anderem zu zwei Solokonzerten. Das eine bestritt Pianistin Birgit Polter mit einem Programm, das sich ausschließlich Werken von Karlheinz Stockhausen widmete. Im anderen wurden Kompositionen aufgeführt, die alle dem Geiger Kolja Lessing gewidmet sind und die dieser persönlich vorstellte.
Jeweils ein weiteres Konzert bestritten das Leipziger Schlagzeugensemble und das Ensemble Sortisatio. Beschlossen wurde das Festival mit einem Konzert des Forum-Ensembles Leipzig, das sich zum zehnjährigen Jubiläum der Konzertreihe Musik-Zeit mit neuem Namen präsentierte und als quasi hauseigenes Ensemble des Forums Zeitgenössischer Musik Leipzig e.V. fungiert. Zum Abschluß lud der Verein noch zu einer Podiumsdiskussion unter Mitwirkung von beteiligten Künstlern, Wissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftsvertretern, während der über die Situation der moderner Kunst debattiert wurde.

Die Resultate solcher Diskussionen hinterlassen oft genug so ihre Zweifel, zweifellos hingegen erfüllte sich der Zweck dieses beispielhaften Festivals, dem Publikum die Möglichkeit zu bieten, sich an Tendenzen und Strömungen der Neuen Musik heranzutasten und das Gehör neuen Dimensionen zu öffnen.

(Nico Thom)

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