Anton Bruckner „8. Sinfonie” Ballettpremiere (Marie Babette Spranger)

24. November 2001
Opernhaus Leipzig

Anton Bruckner ?8. Sinfonie? Ballettpremiere

Choreographie: Uwe Scholz

Die 8. Sinfonie ? eine Schicksalssinfonie?

Am Samstag, dem 24. November, fand die 2. Premiere von Uwe Scholz? Ballett ?Bruckner 8? in der Leipziger Oper statt; eine Tanzchoreographie auf Basis der 8. Sinfonie von Anton Bruckner (nach der letzten Fassung von 1890). Das bereits 1999 partiell einstudierte Werk, damals mangels genügend Probenzeit auf den 3. Satz beschränkt, sollte nun, anläßlich des 10jährigen Dienstjubiläums von Uwe Scholz, einen besonderen Glanzpunkt in der Ballettsaison setzen ? ein Vorhaben, welches nur bedingt gelang. Denn auch dieses Mal vermochte der international anerkannte und bereits durch Produktionen wie ?Klassisch-Sinfonisch?, ?Die Schöpfung? und ?Bach-Kreationen? in Leipzig hochgeschätzte Ballettdirektor die Produktion nicht zu vollenden; dem vierten Satz fehlten 20 Minuten Tanz. Krankheit wurde als Ursache genannt. Im Hinblick auf den zweijährigen Zeitraum zwischen der ersten Produktion 1999 und der nun zweiten Unvollendeten stellt sich dennoch die Frage, ob eine Fertigstellung der Choreographie innerhalb dieses Zeitrahmens nicht hätte möglich sein können. Aber dieses wird wohl, wie Anton Bruckner schon über seine ?Achte? sagte, ?ein Mysterium? bleiben.

Ein Mysterium tänzerischer Art bieten dann allerdings die von Uwe Scholz fertiggestellten Sätze, welche eine sinnreiche und nahezu perfekte Synthese aus Musik und Bewegung herstellen. Die von Bruckner in der achten Sinfonie vertonten Metaphern: Liebe, Tod, Verklärung illustriert Scholz durch individuelle, satzeigene Dramaturgien, die auf der jeweiligen musikalischen Struktur des Satzes (Sonatensatzform) beruhen. Musikalische Themen und Motive werden tänzerisch definiert und analog der Satzanlage kombiniert und wiederholt. Diese Stilistik führt Scholz zu solcher Perfektion, daß der Eindruck entsteht, Bruckner selbst habe die Bewegungen in seiner Musik ?gedacht?.

Alle vier Sätze werden ? neben den individuellen, satzeigenen Formationen ? begleitet und somit dramaturgisch gerahmt durch das ?Pas de deux? von Kiyoko Kimura und Christoph Böhm, den Hauptakteuren dieses Ballettabends. Sie eröffnen und schließen den ersten Satz mit ihrer hinreißenden Darstellung eines tanzenden Liebespaares und bilden in Scholz? gesamter Choreographie das übergreifende Leitmotiv von Liebe, Leiden und Verklärung, den zentralen Aussagen des Werkes. Die ?Geschichte? dieses Pärchens prägt alle vier Sätze und bleibt am Ende des vierten Satzes als gleichsam ungelöste Frage der Liebe in Gestalt eines ?perpetuum mobile? im Raum zurück. Während die Musik schon verklungen ist, setzen die beiden Tänzer ihre gemeinsame Drehung fort, welche die Unendlichkeit der Liebe oder die Suche nach dieser symbolisiert. Somit erscheint Werk trotz der fehlenden 20 Minuten im vierten Satz interpretatorisch geschlossen.

So gut Scholz? Gedanken und tänzerische Visionen zur Umsetzung der Musik auch sind, so ?imperfekt? erscheinen diese manchmal in der Ausführung. Ensembleszenen sind des öfteren nicht synchron, was besonders innerhalb kleinerer Gruppierungen auffällt. Während die großen ?Tuttiszenen? durch Einheit, tänzerische Geschlossenheit und die Wirkung der großen Formation beeindrucken, läßt der Auftritt von Formationen mit bis zu vier Tanzpaaren oft sichtbare Asymmetrien in den Bewegungsabläufen erkennen. Diese Schwäche in der Ausführung nimmt guten musikalisch motivierten Ideen an Wirkung und Überzeugung, da auch die beste Inspiration erst durch ihre technische Umsetzung sprechen und wirken kann.

Große Wirkung konnte leider auch musikalisch nicht erzielt werden. Die Gründe hierfür sind zahlreich und nicht allein dem Orchester anzulasten, welches seinen Ruf ja besonders auf das ?Beethoven-Bruckner-Brahms? -Repertoire stützt. Zunächst mag sicherlich die Verlegung des Klangapparates vom Orchestergraben auf den hinteren Teil der Bühne einige Einschränkungen zu Folge gehabt haben, da der Klang erst über eine sehr viel weitere Distanz zum Publikum gelangte als aus dem Graben. Zwar konnte die Tanzfläche nach vorn erweitert und durch das auf der Bühne sichtbare Orchester eine durchaus konzertante Atmosphäre geschaffen werden. Allerdings büßte die Musik durch diese räumliche Veränderung und größere Distanz merklich an Volumen und Präsenz ein. Die groß angelegten, anwellenden Bruckner-Crescendi, drangen nicht deutlich genug aus dem Hintergrund hervor und die strahlenden Tuttiausbrüche waren als solche nur in der Bläsergruppe ? dafür überdeutlich ? zu hören.

Ein weitaus gravierenderes Zugeständnis mußten die Musiker und ihr Dirigent Olaf Henzold allerdings hinsichtlich ihrer Interpretation des Werkes machen. Da dem Ballett zu seiner Einstudierung die Aufnahme von Sergiu Celibidaches Bruckner-Interpretation vorlag, eine Auffassung, die für ihre langsamen Tempi und groß angelegten Bögen bekannt und umstritten ist, mußten sich die Musiker an eben diese Vorgaben halten, um dem Ballett eine sichere musikalische Grundlage für ihre Choreographie zu liefern. Daß ein solches ?begleitendes? Musizieren jede Kreativität im Keim erstickt und schwerlich ein individuelles Klangerlebnis schaffen kann, liegt in der Sache selbst. So gebührt angesichts dieser Erschwernisse dem Orchester und seinem sichtbar engagierten neuen Konzertmeister Norbert Breuninger trotz aller Kritik Lob für einige dennoch wunderbare sangliche Momente, wie dem Eintritt des 2. Themas im 2. Satz in den Streichern und den Holzbläsern oder den lyrischen Momenten im 3. Satz, die trotz aller metrischer Vorgaben musikalisch beseelt waren.

Im dritten Satz greift Scholz die musikalische Präsenz des ?Tristan? tänzerisch auf ? Kioko Kimura und Christoph Böhm verkörpern sinnlich und hingebungsvoll das Liebespaar Tristan und Isolde. Die musikalischen Lichtmomente des Satzes werden auch vom Bühnenbild metaphorisch begleitet. Der von Bühnenbildnerin Rosalie gestaltete ?Himmel? in Form von herabhängenden länglich-ovalen Rundbögen, hatte sich bereits im ersten Satz mit Einsatz des ersten großen Orchestertuttis geöffnet. Nun, im dritten Satz, erheben sich andere seitliche Begrenzungen in die Höhe und werden zu einem Teil dieses Himmels, aus dem ?Lichtstrahlen? in Form von langen am Bühnenvordergrund überkreuz installierten Leuchtstäben als weiteres metaphorisches Moment der Musik auf die Bühne scheinen. Zwar unterstützt diese ?Himmelskreation? optisch durchaus die metaphysischen Gedanken des Werkes, ist klanglich ? weil direkt über dem Orchester angebracht ? jedoch ein eben solcher musikalischer Störfaktor wie die bereits erwähnten choreographischen Hindernisse.

So hinterläßt der Ballettabend ?Bruckner 8? zwei unterschiedliche Eindrücke: Zum einen demonstriert er auf eindrucksvolle Weise das Vermögen und die Erfahrung Uwe Scholz?, ein musikalisches Werk samt seines programmatischen Inhaltes zu erfassen und tänzerisch zu deuten. Andererseits zeigt gerade dieser Abend auch die organisatorischen, technischen und musikalischen Widrigkeiten eines solchen Projektes, dessen Gelingen geradezu schicksalshaft von solchen Determinanten abhängt. Eine große Idee und ein großes Werk allein schaffen noch kein Gesamtkunstwerk.

(Marie Babette Spranger)

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