Richard Strauss: „Salome” Wiederaufnahme (Marcus Erb-Szymanski)

30. November 2001
Oper Leipzig

Richard Strauss: ?Salome? Wiederaufnahme

Inszenierung: Nikolaus Lehnhoff; Musikalische Leitung: Asher Fisch
Bühnenbild: Hans-Martin Scholder; Kostüme: Jorge Jara
Licht-Design: Jean Kalman; Choreografie des Tanzes der Salome: Mario Schröder

?Sieh die Mondscheibe, wie sie seltsam aussieht.?


Nachmittags halb fünf, pünktlich mit Einbruch der Dämmerung, schaute der Mond, ein riesiges blutunterlaufenes Auge, auf uns Menschen herab. Wir hielten ein wenig in unserem Hasten inne, um die riesige rote Scheibe fasziniert anzustarren. Drei Stunden später hörten wir nicht weniger fasziniert auf der Bühne die Worte singen: ?Sieh die Mondscheibe, wie sie seltsam aussieht. Wie eine Frau, die aufsteigt aus dem Grab.? Diese Worte künden eine Oper an, in der die Leidenschaften in unbändiger Weise toben, übereinander herfallen und sich am Ende gegenseitig auslöschen. In der ?Salome? kocht das Blut vom ersten bis zum letzten Ton. Die Musik kennt kein Maß mehr, die Melodien finden keinen Halt, der Widerstand der anderen ist das einzige, was den einzelnen Stimmen und Rhythmen noch Grenzen setzt. Diese Oper ist ein einziges großes Lied der Zerstörung.

Und ausgerechnet in einem solchen Werk hat das Gewandhausorchester wieder einmal Bravo-Rufe empfangen. Dirigent Asher Fisch animierte die Musiker zu einer beeindruckenden Kompromisslosigkeit. An keiner Stelle verstand sich das Orchester als der begleitende Part. Es verließ sich auf die Durchsetzungskraft der Solisten und ließ die Wogen peitschen. Auf Schönklang und Intonationssicherheit kam es in dem Fall aber auch nicht an. Einzig und allein die emotionalen Stürme zählen bei dieser Musik und die verstand der musikalische Leiter des Abends unablässig in Bewegung zu halten.

Dabei konnte er sich auf die Solisten verlassen. Mit Janice Baird als Salome, David Pittman-Jennings als Jochanaan, Nadine Denize als Herodias und Kenneth Garrison als Herodes stand ihm ein ausgezeichnetes Solistenquartett zur Verfügung, bei dem sich schauspielerische Güte mit stimmlicher Kraft verband bzw. bei kleineren Schwankungen eines das andere ausgleichen konnte. Wann hat ein Jochanaan schon mal eine so kräftige Stimme, dass evident wird, warum er mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen im Kerker gehalten wird? Als Pittman-Jennings auf der Bühne erschien, ließ seine Donnerstimme alle anderen zurückweichen und Salome in Verzückung geraten: ?Er ist schrecklich!?

Ja, diese Salome. Als Feuerkopf in rosa aufreizendem Kleid sang Janice Bairds so eindringlich, wie sie souverän als Schauspielerin die Klaviatur weiblicher Verführungskünste beherrschte: Das unschuldig drängelnde Kind gegenüber Joachanaan, die provozierende Kokette gegenüber Herodes und die berechnende Frau, die im ?Tanz der sieben Schleier? alle Geilheit mit kaltem Verachten kühlt. Wenngleich sie sich in der zentralen Szene nicht unbedingt als Tänzerin offenbarte und auch die Choreografie nicht gerade glücklich zu nennen war, überzeugte Frau Baird auch in ?Salomes Tanz? mit den darstellerischen Nuancen, mit deren Hilfe sie die emotionalen Schwankungen, die Salome beuteln, zum Ausdruck brachte.

Bei einer Wiederaufnahme weiß man, was einen erwartet. Und in dem Fall war die Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff noch in guter Erinnerung. Aber auch einige Inkonsequenzen und Schwächen wurden wieder offenbar (die Inszenierung gibt sich äußerlich modern, ist aber vom Aufbau der Szenen ganz traditionell), ebenso wie der Tatbestand, dass sie keineswegs stören, wenn die Hauptdarsteller überzeugen. Denn das Geschehen, das sich vor dem interessanten, expressionistisch-schrägen Bühnenbild abspielt ? das ein verlassener Bahnsteig ebenso sein könnte, wie eine verlassene Kaserne ? in Kostümen, die modern sein wollen, aber nicht immer können (Jochanaan, Henker), setzt sich nach kurzer Zeit über alle Kulissen hinweg. Diese Musik braucht eigentlich keine Kulisse und auch keine übermäßig interpretierende Inszenierung. Sie braucht einzig und allein Sänger mit starker Ausdruckskraft, dann können die Leidenschaften brodeln, und das tun sie ab sofort wieder auf der Leipziger Bühne.
Nach knappen und spannenden zwei Stunden kühlt die frische Abendluft unser Mütchen. Auch der Mond ist wieder da, honiggelb inzwischen, und er sieht eigentlich ganz friedlich aus.

(Marcus Erb-Szymanski)

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