Lese, wer da will

Bei der Weihnachtslesung des durstigen Pegasus werden Geschenke verteilt

An unserem Tisch schauen sich zwei junge Frauen Fotos an, tuscheln, lachen, während der monatliche Auftritt von Lesemutigen schon begonnen hat. Heute geht es nach der Ankündigung des Moderators Volly Tanner um Alkohol, Weihnachten und Literatur. Die Verbindung von Literatur und Weihnachten steht in Gestalt des verhungerten Leipziger Kulturweihnachtsmannes, einem rotbemützten Gerippe, auf dem Lesepult.

„Ich bitte euch, leise zu sein. Die hier lesen, lesen das erste Mal“, raunt Volly Tanner den Frauen zu, deren Fotos mich zu interessieren beginnen. „Was ist denn das hier eigentlich?“ fragen sie aufgestört. – „Eine Lesung.“ Sie blicken unschlüssig um sich, räumen ihre Fotos zusammen.

Tanners Vorrede und kurze Lesung aus seinem Buch Die schönen Verlierer sind noch da (Fünf Finger Ferlag Leipzig) haben wir bereits verpaßt. Mittlerweile stellt sich Heike Heinze vor. Sie sei nicht nur Lehrerin, sondern sogar Religionslehrerin und wolle eine religiöse Weihnachtsgeschichte mit überraschenden Aspekten präsentieren. Eifrig schön und verschmitzt rezitiert sie. Als der Vortrag zu Ende ist, schauen wir uns überrascht an wegen des fehlenden Überraschungseffektes in der Empfängnisgeschichte der heiligen Maria. Dann klatschen wir mit derselben Inbrunst, mit der sie gelesen hat.

Bei der folgenden, von einer jungen Frau vorgetragenen Kindergeschichte Hat der Weihnachtsmann eine Familie? flüchten die beiden Frauen neben uns, was ich mit einem Blick auf die Fotos in ihrer Hand bedauere. Aber der Moderator hat vorgesorgt: „Ihr kriegt alle nachher noch ein Buch, wenn ihr durchhaltet.“ Zu Hanno Neustadts klischeereicher Adventsgeschichte aus dem Jahre 1944 kann auch Tanner nichts sagen: „Da kann man aber gar nichts dazu sagen, vor allem nichts Lustiges. Ich hoffe, daß er die Geschichte zum Fünf-Finger-Preis einschickt.“

Uwe Schützs Gedichte endlich lassen aufhorchen. Erst „krabbelt Kafkas Käfer grad die Wand hoch“, dann geht es um einen Magendurchbruch, den Schütz in diesem Jahr erlitten hat, und schließlich liest er büttenredenähnlich ein „versprochenes Auftragswerk“ mit dem Namen Nackter Weihnachtsmann, über das sich lachen läßt. Sogleich schließt sich Sebastian Caspar mit einer teilweise ausdrucksstarken und lyrischen, aber überladenen, morbiden Alles-Scheiße-Stimmung an, sieht „blinde Fenster“ und „zu viel schlechtes Koks“, und ist auf der Suche, bloß wonach. Mir wird poetisch: „Das Wichtige ist das richtige/ Aufhören“ beginne ich zu dichten. Und da ist die Lesung wirklich zu Ende. Auch das Gedicht.

„So, ihr Lieben, das war der durstige Pegasus. Und ihr kriegt jetzt Geschenke, weil ihr durchgehalten habt.“ Willig nehmen wir Cartoonbücher aus den Händen des sympathischen Moderators entgegen. Er kündigt an, daß beim nächsten durstigen Pegasus Frau Christel Hartinger neue Texte und Autoren vorstelle. Komme, was da will, Geschenke gibt es, wenn sich jemand zeigt: Mut tut gut.

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