„Titanic” Boy-group in Action (Grit Kalies)

„Titanic“ Boy-group in Action

Boys:
Thomas Gsella
Oliver Maria Schmidt
Martin Sonneborn


Das endgültige Satiremagazin weiterhin gültig

Den Untergang der Titanic scheint hier keiner zu erwarten. Eher Wellen und Wirbel, vielleicht sogar Tiefgang. Immerhin drängeln sich etwa hundertfünfzig Menschen in der Veranstaltungstonne der MB. Jung (nach dem Motto: ?Wenn man jung ist, ist man es ein Leben lang.?), gespannt und lachwillig reden sie durcheinander und werfen ab und an einen neugierigen Blick auf die Bühne mit dem noch leerem Rednertisch, der weißen Leinwand und dem Diaprojektor. Zusätzliche Stuhlreihen werden aufgestellt. Vom Band klingen Beruhigungs- und Entspannungsübungen. ?Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nach innen, auf ihren Körper … Wenn Sie noch irgendwo Verspannungen wahrnehmen, spannen sie diese Stelle leicht an und geben Sie diese Anspannung dann wieder auf … Mit diesem positiven Gefühl begeben Sie sich nun in die Situation der folgenden Lektion…?

Drei Männer erscheinen auf dem Podium, gerüstet mit drei Gläsern, drei Flaschen, zwei Brillen (Chefredakteur Sonneborn benötigt keine Sehhilfe). Die angekündigte Lektion beinhaltet zunächst Klarstellungen, wie ?Titanic ist der Eulenspiegel in richtig.? oder ?Wir schreiben immer nur die Seitenzahlen vom Eulenspiegel ab, während der Eulenspiegel den Rest von uns abschreibt, das ist der Austausch Ost-West.? Dann hustet Thomas Gsella noch eben mal kurz ab, und die Zeitungsschau bzw. Titanic-Show kann beginnen.

Um Erinnerungsarbeit geht es an diesem Abend, weniger um die Inszenierung des Augenblicks. Mit Titelbildern an der Leinwand, Textauszügen aus der Rubrik ?Briefe an die Leser? und einem Bericht von Oliver Maria Schmidt über die am ?Anfang des Protestalters? gegründete Musikgruppe ?Tiefschlag? werden Inhalte erschienener Hefte des Satiremagazins vorgestellt. Der Text des als ?Pilot der guten Laune? vorgestellten Mitarbeiters der Zeitschrift wird reichlich beklatscht (?Ich war damals Mitglied in einer terroristischen Vereinigung, die sich katholische Kirche nannte.? / ?Sie nannten es Schule und bezahlten uns mit Noten, die auf dem freien Markt nichts Wert waren…?). Redakteur Thomas Gsella liest darauf ?Ein Geständnis?. Wie er hätte Playboycolumnist werden können. Wie er die Themenvorgabe ?ohne Männerhaar? erotisch locker anpackte. Und wie schließlich seine feinen Reime ?Frauenlust auf blanke Männerbrust? und ?alles klar ohne Brusthaar? inklusive Kolumnenvorschlag von der Illustrierten unbeachtet blieben.

Martin Sonneborn dagegen wählt ?ganz normal CDU am Telefon?. Ein Kontoauszug der Kredit Swiss über 1,3 Mill. Schweizer Franken beunruhigt die Bonner CDU. Woher das Geld auf dem Konto? Subkonten erscheinen; bei Telefonaten mit der Titanic-besetzten ?Bank? werden ?Beträge nicht sichtbar?, ein Fakt, den die Politiker als möglich hinnehmen (unter www.titanic-magazin.de ist ein aus Versehen mitgeschnittenes Gespräch zu finden). Bald geht es um 10 Millionen Franken. Spitzenpolitiker reisen in die Schweiz und treffen vor der Bank Titanicredakteure, mit denen sie ?freundliche Gehässigkeiten austauschen?. Lachsalven im Publikum. Realität ist gute Satire. Seit ein paar Jahren schon sind selbst initiierte, entlarvende Bravourstücke zu einem Markenzeichen der Zeitschrift Titanic geworden; bestechend dabei der Mut zum Risiko.

Nach zynisch-zärtlichen Reimen vom Vatersein und -werden des berühmtesten unbekannten Dichters Deutschlands Gsella, Sticheleien gegen den vorhergesagten nächsten Kanzlerkandidaten Roland Koch und einer viertelstündigen Verschnaufpause nach anderthalb Stunden ist eine Telefon-Aktion Thema. ?Sonneborn, Abteilung Umstellung…? Leute aus der Gegend, als da heißt aus dem Osten, werden mit der ?Eurogleichschaltung der Europäischen Zentralbank? konfrontiert, unentgeltliche Pflegesets (Bürsten, Rundflächepolitur) werden angeboten. ?Pflegen Sie das Geld?? ?Ja, öfters mal, da tu ich?s in den Geschirrspüler rein, damit es wieder glänzt.? (Gespräche zufällig mitgeschnitten, im Netz nachhörbar.
Gsella streut ein, was er hätte tun wollen, wenn er nicht Titanic-Redakteur geworden wäre. Schmidt widmet sich dem ZDF-Sportreporter Töpperwien. Sonneborn zeigt, wie Titanic die Fußball-WM 2006 mit einem Bestechungsfax (Würste, guter Schinken, eine Kuckucksuhr) nach Deutschland holte und wie dies deutschlandweit über Anrufe Bild-mobilisierter Leser in der Redaktion gedankt wurde: ?Für diese Frechheit wird ihnen die Satirelizenz entzogen.? / ?Ihr müßt bestraft werden wie ein Mörder. / ?Auf den Stuhl gehört ihr.? (CD mit den mitgeschnittenen Anrufen 10 Euro)

Schließlich gewinnt Gsella einen Nonsense-Poesiewettbewerb, das Publikum ist aufgeräumter Stimmung, pfeift, klatscht, die Zugabe enthält ?100 Gründe, Amerika (gerade jetzt) zu lieben?. Nach der souveränen Darbietung verabschieden sich bis auf weiteres drei sehr unterschiedliche Charaktere: Oliver Maria Schmidt, die angenehme Variante einer Stimmungskanone, Gsella, der sterbens- und lebensfrohe Poet, Sonneborn, der ruhige abgründige Spitzbube.

(Grit Kalies)

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