In weiter Ferne

Studenten des Deutschen Literaturinstituts Leipzig versuchen die Antwort auf „Kann man das Schreiben lernen/lehren?“

Zu einem Vortrag über ein Thema, das am Literaturinstitut in Leipzig zum Konzept geworden ist, hat das „Klett Forum Deutsch“ geladen. „Kann man das Schreiben lernen/lehren?“ fragt sich der Mensch, der durch die gläsernen sich automatisch trennenden Türhälften den Saal in der Wächterstraße betreten und – noch in Mantel und Mütze sich setzend – das Angebot eines der wenigen freien Stühle erleichtert angenommen hat.
Der Referent Prof. Dr. Haslinger, Leiter des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, spannt einen weiten Bogen mit der Überlegung, an welchen Merkmalen sich ein Text als Literatur erkennen lässt. Indirekt deutet sich dabei an, dass er die Geschichte des verklingenden Tages freigibt, damit Jüngere sie erzählen. Die beiden Studierenden und baldigen Absolventen Paula Schneider und Volker Altwasser blicken auf ihre Reise zurück, eine Reise des Schreibenlernens, vor der sie Furcht bekamen, sich distanzierten, um am Ende vielleicht anzukommen oder doch wenigstens mit der Materie vertrauter zu werden. Beide lesen jeweils einen Text.

Beim ersteren ist faszinierend, mit welchen Augen das Mädchen einen Mann betrachtet und erforscht, welcher zu Zeiten der DDR in einem Haus an der Mauer wohnt und sich nach fehlgeschlagener Flucht versteckt. Allerdings fühlt sich der Zuhörer nicht angeblickt, ein wenig unbeteiligt, gerade so, als müsse er den Grund für die gering erkannte Regung in sich, das verweigerte Verweilen, damit begründen, dass er nicht jenes Kind gewesen sei, das in der Erzählung den Menschen aufgespürt hat.

Die Grausamkeit, mit der ein Vater der Tochter einen Löffel Salz zum Naschen gibt, überzeugt in Volker Altwassers short story mehr als der in der Hand des Vaters gehaltene und in der Vagina des Mädchens klemmende Kleiderbügel. Der Schluss kommt vor dem Schuss des Sohnes mit der Pistole auf den Vater. Eine unbestimmte späte Strafe, bestimmt durch die Wahl gleichschwerer Gewichte gleichen Materials. Wäre die Story noch nicht zu Ende, bekäme man zu sehen, was in dem Kopf des Vaters gebrodelt hat. So lieber nicht. Der Zuhörer findet sich etwas verloren in einem die folgende Diskussion behütenden Raum wieder.

Die Vortragenden sind sich darüber einig, im Laufe des Studiums entdeckt zu haben, wie sie sich an verschiedene Genres anlehnen konnten. Einer der wenigen sehr jungen Zuhörer fragt bekennend: „Wo ist hier das Wunderbare?“ Er sucht noch den Klang, die Stimme, die Sprache. Dass man den eigenen Stil des Schreibens nach der schon erwähnten Entfernung von ihm und nach wohlweislich eintretenden Krisen wiederentdecken könne, vielleicht gar auf eine reifere Weise, erklärt Paula Schneider. Was er vielleicht schon oft in der literarischen Branche gesagt bekommen hat, kann der schreibende Zuhörer nun selbst ergänzen: Junge Schreibende sollen in ihren Texten von der Subjektivität Abstand nehmen und die Selbstreflexion ummauern mit Grenzen, die man einen Rahmen nennen mag. „Funktioniert es genauso mit dem Lernen des Fragenstellens, und erfüllen wir alle erwarteten Funktionen?“ fragt sich hier jemand im Stillen und verfehlt das Wunderbare in sich.

Das Entfernen. Das Schreiben. Das Sein. Wohin kann man welches retten? Manche sind aufgeregt, manche verstanden, jemand scheint unbetrübt. Ein anderer ist selten bei der Sache gewesen und hat anderes gehört, als gesagt worden ist. „Ich habe nicht an das Thema des Vortrags gedacht“ sagt sich dieser, der seinen Mantel unter dem Lauschen auf die Anliegen von verschiedenen Lehrern und Lehrerinnen aus Leipziger Schulen, die es genau wissen wollen, gleichzeitig ausgezogen und anbehalten hat. Er geht in das Dunkel der Straße hinaus, wo die lilafarbenen Wächter stehen, ohne Antwort auf die Frage, die ihn treibt: „Kann man schreibend sein?“

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