Anatomie am Vormittag 2

Der Weiße Januar wird für die Ausarbeitung von Umbauvorschlägen genutzt – eine verpasste Chance

Dieser Sonntag war mit Spannung erwartet worden. Nachdem an den vergangenen Treffen eine Bestandsaufnahme der Leipziger Kulturszene erfolgt war, sollten an diesem Vormittag konkrete Vorschläge zur strukturellen Neuordnung der Leipziger Kulturszene vorgestellt werden. Symbolträchtig war schon der Ort. In der lange von der Schließung bedrohten Schaubühne Lindenfels sollte der Neuanfang vollzogen werden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen. Und wie das bei hochgesteckten Erwartungen häufig der Fall ist, wurden sie enttäuscht. Doch der Reihe nach.

Zunächst liefen im Zeitraffer noch einmal die vergangenen Sonntage ab. Frank Elstermann von der naTo verkündete, dass der ?Weiße Januar? eine hohe Akzeptanz in Leipzig gefunden habe, und auch die Politiker im Stadtrat hätten die Botschaft verstanden. Das Abstimmungsverhältnis von 40:27 aus der Stadtratssitzung des vergangenen Dezembers, auf der die Kürzungen im Kultur-Etat beschlossen worden waren, wurde von Elstermann – auch an diesem Sonntag wieder – wie ein Pokal in Höhe gehoben.

Für den kommenden Montag verkündete Ingrid Sonntag von der Akademie der freien Künste die Bildung einer neuen Kommission. Ihr Titel: Arbeitsgruppe zur strukturellen Neuordnung der freien Leipziger Kulturszene! Kein Wunder, dass Frank Elstermann dieses Jandelsche Wortungetüm bei seinen Erläuterungen häufiger nicht parat hatte. In dieser Kommission sollen Vertreter aller politischen Parteien und der Off-Szene gemeinsam eine Neubewertung der Arbeit der freien Kulturszene vornehmen. Mehr konnte zu dem Zeitpunkt nicht gesagt werden, weil der konstituierenden Sitzung nicht vorgegriffen werden sollte.

Die Vorschläge der freien Szene, die einen Neuanfang in der Leipziger Kulturarbeit ermöglichen, galten Einspar-Potenzialen in der Zusammenarbeit zwischen Projekten der freien Szene und den Regiebetrieben der Stadt. Auch soll die Verwaltungsarbeit innerhalb der Projektgruppen effizienter gestaltet werden. Doch das Einsparvolumen dürfte hier sehr marginal ausfallen. ABM-Maßnahmen sollen zudem in Festanstellungen überführt werden, um den künstlerischen Anspruch und Kontinuität gewährleisten zu können.

Bis dahin war die Veranstaltung so dahin geplätschert. Einzig zwischen einem eilfertigen Hamburger und – wahlweise – Frank Elstermann oder René Reinhardt entspann sich ein Dialog. Nur dem Hamburger wäre zu raten, sich an Intendant Wolfgang Engel zwecks eines Vorsprechens zu wenden, wenn er gern vor Publikum redet. Die etwas magere Substanz beklagte dann auch der Chef des Schauspiels: ?Die Strukturkommission ist ein bisschen wenig? und ?der Umbau ist gar nicht thematisiert worden?. Ein anderer Zuhörer spitzte es auf die einfache Formel zu, dass sei hier nur eine ?Verlaber-Veranstaltung?.

Womit wir beim Thema wären. Die zentrale Frage der Aktion ?Weißer Januar? wurde nicht beantwortet und wollte vielleicht nicht beantwortetet werden. Nämlich, wie viel Kultur sich eine Stadt wie Leipzig leisten kann, will und muss. Doch bevor diese Frage nicht geklärt ist, ergeben alle Kommissionen oder Strukturvorschläge keinen Sinn. René Reinhardt versuchte an Wolfgang Engel gerichtet, die Ehre der freien Szene zu retten: ?Der Investitionstopf ist schon ein Hammer!?

Nur was bedeutet dieser Investitionstopf? Zunächst einmal zusätzliches Geld von der Stadt. Denn die Mittel für die Investitionen sollen nicht aus den anderen Bereichen der kulturellen Förderung entnommen werden. Im Moment ist sehr schwer vorstellbar, dass die Stadt, die unter einem eminenten Sparzwang steht, neue Mittel für Investitionen bereitstellt. Sicherlich, die Idee ist richtig und aus der Volkswirtschaft bekannt. Investiere während der Rezession und du wirst davon während der Konjunktur profitieren. Doch dazu reicht das Geld allein nicht aus. Dazu gehört vor allem politischer Gestaltungswille. Bezeichnenderweise hat OBM Tiefensee die Chance, an dieser Veranstaltung teilzunehmen, nicht genutzt. Doch ein klares Bekenntnis für oder gegen die Freie Szene ist nötig. Jetzt!

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