Die Kunst beim Arzt

Ausstellung: Malerei und Grafik von Katrin Rolle

Selten wird man sich in einer Arztpraxis wohlfühlen. Metallglänzende Garderobenständer strecken uns die nackten Arme entgegen, erwarten ihre Umhüllung. Das Tageslicht überflutet grell die Sitzreihen und Zeitungstische, betont das Weiß-Rosa-Grau der zweckdienlichen Umgebung. Sehr nah hockt das Draußen vor den breiten, neuen Fenstern.
Jedoch: An den Wänden der Markkleeberger Arztpraxis Dr. Andreas Purschwitz öffnen sich Fenster zu einer anderen Wirklichkeit. Die nüchterne Analytik des Wartezimmers wandelt sich zur Weite eines Ausstellungsraumes. Es werden Grafiken und Malereien von Katrin Rolle gezeigt mit der so gar nicht medizinischen Sicht einer Ärztin auf ihr persönliches Umfeld.
Kräftige und zugleich sanfte Linien betrauern eine vergangene und verwunschene Stadt, öffnen Einblicke in unsere als selbstverständlich empfundenen Lebensorte und suchen das typische Leipzig, welches nur noch beschwerlich, z.B. hinter der kriegerischen neuen Fassade des Bayrischen Bahnhofes zu finden ist. Bis nach Connewitz darf man schauen und weit über die Dächer der grauen Stadt.
Ist in den meisten Zeichnungen und Grafiken die wehmütige Trauer um Vergangenes und Bald-nicht?mehr?Bestehendes zu spüren, so zeigen sich in den jüngsten Malereien (Arbeiten, die während eines Jahresaufenthaltes in Irland entstanden) kräftig-farbige und expressiv-zuversichtliche Töne. Scheinbar unverrückbare Arrangements schaffen scheinbar unverrückbare Tatsachen, ob im Stilleben oder monumental im violett gehaltenen Akt. Hier hat die Vergänglichkeit keinen Platz mehr.
Katrin Rolles erste (Leipzig-)Bilder entstanden vor etwa 15 Jahren, als die, wie es damals hieß, „Begabungen und Talente unserer Werktätigen in Zirkeln des bildnerischen Volksschaffens gefördert wurden“. Dies geschah oft unter der Obhut eines sogenannten Trägerbetriebs, der die ?volksbildenden? kleinen Kreise (aus ?Werktätigen? unterschiedlicher Berufe) finanziell unterstützen sollte. Im konkreten Falle war dies der damalige „VEB (Volkseigene Betrieb) -Baukombinat Leipzig“. Man traf sich – in Ermangelung einer öffentlichen Räumlichkeit – im kleinen Atelier des Malers und Grafikers Kurt Dornis, der als Freischaffender den Zirkel leitete. Oder man stromerte mit Staffelei und Zeichenbrett in Abrißhäusern, Hinterhöfen und alten Fabrikgeländen herum, auf der Suche nach Altvertrautem oder nach Orten, die es in Frage stellen.
Die Suche hält an. Noch heute trifft sich ein harter Kern ehemaliger „Zirkelmitglieder“, Ingenieure, Bibliothekare, Lehrer, Ärzte, (nunmehr auf privater Basis, nachdem ein 1992 gegründeter Verein keinen neuen „Trägerbetrieb“ fand und sich später auflöste) im kleinen Atelier des vom lärmenden Kunstmarkt zurückgezogen lebenden Malers Kurt Dornis. Und die Markkleeberger Arztpraxis ist als Ausstellungsort (fernab vom Kommerz) zum Geheimtip geworden. Seit 1993 stellen bei Dr. Purschwitz – ebenfalls Mitglied des „Zirkels“ – auch namhafte Künstler aus (Walter Heisig 1993, Kurt Dornis 1994, Christiane Eisler 1995, Günter Albert Schultz 1996, Johannes Heisig 1997, ANTOINETTE 1998, Günter Berger 2001 …), treffen sich dort, werden in beinahe familiärer Runde befragt und diskutieren.
Die intensiven Gespräche drehen sich dann meist um die Art und Weise der Darstellung der unmittelbaren – uns direkt zugänglichen – Umgebung. Die Auseinandersetzung mit Gegenstand und Figur (mit nicht immer nur naturalistischem Resultat!) steht im Mittelpunkt des Interesses sowohl der künstlerischen Arbeit als auch der „Wartezimmergespräche“. Ist das schon alte Schule?

Ausstellung: Malerei und Grafik von Katrin Rolle

Bilder (fotografiert von Hella Bär):
Abrißhaus in Connewitz, 1994, Aquarell
Interieur, 1996, Pastell
Bayrischer Bahnhof, 2001, Kohle
Stilleben, 2001, Öl


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