Film und Live-Musik: Das Kabinett des Dr. Caligari (Bernhard Brandner)

23. Februar 2002
Union-Theater Connewitz
Film und Live-Musik: Das Kabinett des Dr. Caligari
Neue Töne zu stummen Bildern – im UT-Connewitz

Ein britischer Radiosender versetzte vor einigen Monaten die Cineasten in Aufruhr, als unter Berufung auf eine anonyme Quelle verkündet wurde, dass Tim Burton, Hollywoods perfekter Mischer von Kunst und Mainstream, sich an einem Remake des deutschen Stummfilmklassikers Das Kabinett des Dr. Caligari versuchen wolle. In der Besetzungsliste tauchten Namen wie Johnny Depp, Wynona Rider, Christopher Walken und Jack Nicholson auf. Ein Sakrileg? Ein Skandal? Respektlosigkeit? Oder eine mit Spannung zu erwartende Hommage? Bis jetzt wurden die Meldungen weder von Burton selbst noch von Saturn Films bestätigt, und es ist ziemlich wahrscheinlich, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens bzw. des Gerüchts gewesen ist. Was bleibt, ist ein neu aufgeflammtes Interesse an diesem Meisterwerk des deutschen Stummfilms …

Ich denke, dass Robert Wienes Das Kabinett des Dr. Caligari jenseits jeder Kritik steht. Mehr als genug wurde über diesen Film, der einhellig als eines der wichtigsten Werke des Expressionismus bezeichnet wird, geschrieben. Jeder möge für sich selbst entscheiden, ob Caligari eine Anprangerung staatlicher Allmacht, ein stilisierter Vorbote des nationalsozialistischen Totalitarismus, das Manifest eines nationalen Kriegstraumas ist, oder ob anstelle politischer und tiefenpsychologischer Deutungsansätze dem Rezipienten die Worte des Regisseurs genügen, mit denen er seinen Erstling 1920 in Berlin dem Publikum übergab: „Ihr sollt nicht unterhalten werden. Ihr sollt nicht noch einmal sehen, was ihr schon immer gesehen habt. […] Es geht um geheimnisvolle Zeichen in einem Film als verlebendigte Zeichnung.“

Ob bewusst oder unbewusst, die Aufführung von Dr. Caligari – musikalisch von DJ Jugger live untermalt – am 23. Februar im Union-Theater Connewitz entsprach Wienes Ankündigung voll und ganz. Wer befürchtet hatte, eine zwanghaft „abgestaubte“, dem neuen Sound unterstellte und somit zum Videoclip degradierte Fassung sehen zu müssen, wurde eines Besseren belehrt. Caligari erfuhr zwar durch DJ Juggers Soundkollage keine neue Richtung, wohl aber die Bestätigung der Zeitlosigkeit. Wo May, Moroder & Mercury Ende der 80er Jahre mit ihrer Pop-Version von Fritz Langs Metropolis auf ganzer Linie scheiterten, bewies Jugger am vergangenen Samstag Fingerspitzengefühl. Trotz eingängiger Linien und treibender Beats spielte sich seine Vertonung nie in den Vordergrund und blieb zu jeder Zeit das, was sie sein sollte: Eine Collage aus musikalischen Impressionen, Geräuschen und Herztönen, eine begrüßenswerte Mischung aus Präsenz und Zurückhaltung.

Die Begegnung zwischen Altem und Neuem erhielt durch das Ambiente den passenden Rahmen. Der bauliche Verfall des UT-Connewitz, eines der ältesten Leipziger Lichtspielhäuser, ist offensichtlich, legt stumm Zeugnis ab von den großen Tagen des Kinos und unterstrich zusätzlich die caligareske Atmosphäre des Gesehenen und Gehörten. In einem Multiplex-Theater hätte ich Wienes Dr. Caligari nicht sehen wollen …

(Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Verein zur Erhaltung des UT-Connewitz e.V. im Zuge der Restaurierung des denkmalgeschützten Bauwerks jegliche Hilfe und Unterstützung dankend entgegennimmt.)

(Bernhard Brandner)

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