Gesualdo im Spiegel der Moderne, musica nova (Gerhard Lock)

27. Februar 2002, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal
musica nova, 4. Konzert

?Gesualdo im Spiegel der Moderne … mit und ohne Trompete…?

Reinhold Friedrich: Trompete
Marc Reichow: Klavier
Annette Elster: Sprecherin

Solisten der Schola Heidelberg
Leitung: Walter Nußbaum

Programm

Von Sprache, Klängen und Adornos Ableben

Ein Ohren- und Augenzeugenbericht

Die Musik einiger bekannter Komponisten (Scelsi, Leibowitz, Schleiermacher und natürlich Gesualdo) sowie unbekannterer Klangschöpfer (Schwehr, Coleman, Francesconi und Walter) erklang im vierten musica-nova-Konzert, und sie bildete ein spannend aufgebautes Konzert mit zwei Uraufführungen. Überschrieben war es mit: ?Gesualdo im Spiegel der Moderne … mit und ohne Trompete…?, und tatsächlich konnte ich, gemäß der programmatischen Überschrift, erkennen, dass die seinerzeit kühne Harmonik in den Madrigalen des VI. Buches des Gesualdo sich in den Werken der Moderne spiegeln kann. Und Spiegeln bedeutet ja nicht zwingend eine Eins?zu?eins?Übertragung, es kann auch eine Verzerrung bedeuten. Am offensichtlichsten trat die Ähnlichkeit beim Schönbergschüler René Leibowitz und in Kaspar Johannes Walters ?Krummen Dingern 3? auf; denn beide verwenden Dur- und Moll-, vor allem aber Sept- und Septnonakkorde in den interessantesten Kombinationen, zum Teil auch in homophoner Satzweise. In den weiteren Werken ist eher die Art und Weise, wie mit der Sprache, dem gesungenen Text, verfahren wird, von Bedeutung; denn entweder konnte man kein Wort verstehen, weil alles in Silben auseinander genommen und fragmentarisiert war (Schwehr: ?schlafen, träumen, singen?), oder Teile des Textes wurden gesprochen (?Krumme Dinger 3?, Walter) bzw. geflüstert (Schleiermacher: ?Muzika?). Manchmal verloren die Gesangsstimmen sogar ganz die Sprache, so dass nur Choralfragmente und gehaltene Töne eine Folie für die Sprecherin und eine korrespondierende Trompete bildeten (Coleman: ?Gradus ad Parnassum oder Adornos irdisches Ableben?).

War der erste Teil des Konzerts ein Wechselspiel zwischen Gesualdos tragischer Liebeslyrik und den in den Jahren 2000 und 2001 entstandenen aktuellen Werken von Zeitgenossen, erklangen nun mit Scelsi und Leibowitz zwei Komponisten, die unterschiedlicher nicht sein können. Scelsi, der stark von der Idee der Ursprünglichkeit einer Improvisation ausging, zwang hier den Solisten Reinhold Friedrich in seinen ?Quattro pezzi per tromba solo? trompetentechnisch äußerst schwierige Läufe zu blasen. Besonders die mit Dämpfer(!) perfekt gespielten leisen Töne verlangten höchste Konzentration. Der zu den gefragtesten Trompetern der Gegenwart zählende Friedrich konnte eine gewisse Nervosität nicht verdecken, und auch nicht, dass es schwere Arbeit war, die vollbracht wurde. Trotz dieser Nervosität und einer von leichtem Rauschen begleiteten Tongebung zollte das Publikum ihm für die virtuose Leistung verdienten Applaus.

Luca Francesconis ?Mambo? für Klavier solo brauchte lange, ehe er richtig ins Rollen kam, und es war dem hochkonzentriert agierenden Pianisten Marc Reichow anzusehen, dass diese im späteren Teil beeindruckend virtuose Musik sein Element ist. Auch wie er bei Schleiermachers ?Muzika? das präparierte Klavier zu einem Chor aus (komischerweise etwas blechern klingenden) Glocken machte, beeindruckte.

Richtig spannend vor der Pause wurde es mit dem provozierend gemeinten ?Gradus ad Parnassum oder Adornos irdisches Ableben? von Coleman, der ersten Uraufführung des Abends. Zunächst sangen die fünf Stimmen in einem pulsierenden Zweiermetrum, was in dieser Form erstmalig im Konzert erschien nach all den fragmentarisierten und auf den Einzelton konzentrierten zeitgenössischen Klängen und dem dahinfließenden Gesualdo. Die Sprecherin Annette Elster erzeugte mit ihrem trockenen, ganz leicht ironischen Tonfall perfekt ein heiteres Flair, das schmunzeln ließ. Theodor W. Adornos Sterben in ein Melodram zu fassen, ist eine ebenso spannende wie zugleich makabere Idee, doch lange Zeit wusste man nicht, wie es denn nach dem exakt erklärten Ableben auf weißem Linnen weitergehen sollte. Bezüge zum Parnass, dem Vorolymp, auf dem Adorno nun nach seinem Tode paradoxerweise das Vergessen lernen soll, und zu den weißen Gewändern der Götter erhellen schließlich den etwas abstrakten Zusammenhang. Der Schluss ist sehr effektvoll: Nach den Worten ?Es scheint wichtig zu sein, dass der Kandidat [Adorno] sich nicht umdreht? übernimmt die Sprecherin den ziemlich hohen schneidenden Ton der Trompete und verwandelt ihn in einen lang gehaltenen Schrei. Die Überraschung ist gelungen, und die letzten Worte bleiben mir lange im Gedächtnis.

Im doch eher ruhigen ersten Teil des Konzertes, der mit dem eben beschriebenen schwungvollen Schluss des Sinnierens über Adorno und sein (kulturelles) Gedächtnis endete, boten die Solisten der Schola Heidelberg unter Leitung Walter Nußbaums schöne und ergreifende Madrigalkunst und interpretierten hochkonzentriert die zeitgenössischen Werke. Allerdings fehlte mir ein wenig die klangliche Homogenität, die besonders hervortritt, wenn die Alt- und Sopranstimmen von Countertenören oder Altisten gesungen werden. So blieb es bei Gesualdo oft nur engagierte Musik, deren Interpretation jedoch viel blitzender hätte sein können. Die zeitgenössische Musik gelang dagegen hervorragend. Auch Friedrichs Trompetenklang war in Verbindung mit den Sängern plötzlich glasklar, und statt Nervosität war ihm große Spielfreude anzumerken. Nach der Pause gab es dann etwas fasslichere Töne, ohne direkten Bezug zu Gesualdo, dafür aber mit höchst abwechslungsreichen Klangbildern. Geblasene Flaschen und mit nassem Finger zum Schwingen angeregte wassergefüllte Gläser gaben dem etwas seltsamen Stück ?Krumme Dinger 3? und damit dem ganzen Konzert einen klanglich reizvollen Abschluss.

(Gerhard Lock)

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