Existenzschmuggel

Radjo Monk liest Neue Lyrik

In seinem neuen Gedichtband Existenzschmuggler gehe es darum, daß sich in einem Leben unterschiedliche Existenzformen herausbilden und ineinanderfließen, so der Autor im weißen Hemd. Zunächst zeige er einen kurzen Videofilm (2002 Radjo Monk).

Die Worte: „Wirbel Säule“ „blaue Grenze“ „Wir sind das Volk“ und „Revolutionstisch“, die minutenlang die Leinwand besetzten, werden ausgeblendet, Wellen und Stadtbilder wechseln sich ab, wobei mit der Nichtübereinstimmung bzw. Übereinstimmung von Ton und Bild gespielt wird. Strandgeräusche etwa werden in die Stadt gelegt, dann wieder passen Ton und Bild zueinander. Wiederholt hören wir: „Frequenz und Substanz der Sonne“ oder „Höre, wer du bist…“ Monk sitzt, die Hand am Kinn, daneben.

Das erste Gedicht feiert ein „Fest für ein fallendes Blatt“, berührt Adern, schaut „durch die Netzhaut der Tropfen“ und legt „das Blatt zurück in den Wind“. Das Blatt „rollt sich ein, wird zur Knospe“. Aber: „Licht muß gebären, aus der Verneinung“, werden wir belehrt, bevor ein Ausschnitt aus dem Gedicht „Fehlender Himmel“ folgt. Das Gehörte erinnert an bildreiche, minimierte Prosa, verzichtet auf Rhythmus, erzählt, nutzt Dialoge. „Siehst du schon einen Himmel? Nein.“ Die Ortsangaben, wie etwa „Ebene“, wirken zuweilen wie Szenenanweisungen. Es scheint, auch die verschiedenen Existenzformen der Literatur fließen hier ineinander.

Soweit das möglich ist. Worte reihen sich, Assoziationsketten spannen sich, reißen ab, spinnen sich neu, große Kategorien, wie Auferstehung und Tod, werden bemüht in Texten, die länger als eine Normseite Prosa sind. Es werden „Zwiegespräche auf dem Rücken der Zeit“ geführt, es gibt einen „Blutstrom, der das Ich lehrt“, „Ich ist der Zirkel, auf dem der Erfahrungsradius bestimmt ist.“ Das Handwerk ist solide („Hier ist Weitergehen Innehalten“, „Sprich jetzt nicht vom Tod, von dieser Form des Erwachens“, „Ich ist ein Zerfallsprodukt der Gegenzeit“, „Striemen auf dem Rücken der Flüsse“, „Schlaf, der Tage bewohnbar machte“, „Der Gipfel war das tiefste Tal“, „Dein Wort hat keine Dornen mehr“) – und doch?

Hoppla, unterbricht sich der Autor, der von losen Zetteln liest. Er habe jetzt gerade gesehen, daß er einen vollkommen falschen Sprung gemacht hat. Bereits mehrere Zeilen habe er von einem anderen Gedicht gelesen und so das Ende vom Text-Tod unterschlagen. Das war niemandem aufgefallen. Nun beginnt er zu blättern und liest es. Während ich mich noch freue (das Ende vom Tod hatte ich mir schon immer gewünscht), beginne ich der Langeweile zu vertrauen, die mich nach zehnminütigem Zuhören erfaßt hatte. Zu groß ist die Beliebigkeit, zu ernst und pathetisch kommen die Sätze: „ich sah die Mutter, die mich von allen Müttern gebar.“ „Dann sag mir, was denn Tage sind.“, zu sehr sind sie gespickt mit Partizipien und Genitivkonstruktionen, dem „Unterholz der Süchte und Beziehungen“. Zum Ende hin versöhnt mich eine Gedichtzeile, bei der ich aufhorche: „den Pulsschlag eines Mädchens neben dir, 16 Jahre/ oder länger“.

Was folgt, ist ein 2. Videofilm (Körper, Wasser, ein poetischer Stock zwischen zwei Eisschollen) mit eingestreuten ambitionierten, doch vagen Gedichtzeilen, die den Eindruck von Scharlatanerie erwecken. „Die Sonne fischt uns.“, „Der Tod wächst uns nach“, „Der Tod wächst uns nach. Aber/ die Sonne fischt uns.“ Schmuggelt Monk seine Existenz an uns vorbei? War das sein Ziel? Erreicht.

28. Februar 2002, Stadtbibliothek

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