08./09.03.2002
Gewandhaus, Mendelssohn-Saal
2. Strings of Fire Festival
Balanescu Quartett
Ensemble Indigo
Naura ? Huschke ? Schlüter
Mehmet Ergin Ensemble
The G-Strings
Beirach ? Huebner ? Mraz
DIZ!
Nils Landgren
Crossover der besonderen Art
Schon zum zweiten Mal lud das Leipziger Gewandhaus in die heiligen Gefilde. Auf dem Spielplan stand aber weder Bach noch Beethoven, sondern ein zweitägiges Crossover-Festival der besonderen Art. Das Konzept ist schnell erklärt: Bemerkenswerte kammermusikalische Ensembles präsentieren Interessantes und Unbekanntes aus dem Schmelztiegel der Crossover-Szene; also kein Weichspüler-Crossover ? la Vanessa Mae, sondern anspruchsvolle Grenzüberschreitungen zwischen Klassik, Jazz, Pop- und Ethnomusik. Wer sich diese spannungsreichen Konstellationen nicht entgehen lassen wollte, der mußte schon etwas Sitzfleisch mitbringen und gut ausgeschlafen sein, denn pro Abend wurden hintereinander jeweils vier einstündige Konzerte angeboten. Und in den kurzen Pausen zwischen den Konzerten blieb nicht viel Zeit, sich die Beine zu vertreten und Getränke bzw. Essen zu appropriieren.
Die musikalische Reise eröffnete das rumänische Balanescu-Quartett. Das Streichquartett spielte eigenwillige Arrangements Neuer Musik, stellte die folkloristische Filmmusik ihres Ensembleleiters, des Geigers Alexander Balanescu, vor und überraschte mit einer Interpretation des Kraftwerk-Klassikers ?Model?. Das Ensemble Indigo, bestehend aus einem Streichquartett, dem Jazztrompeter Reiner Winterschladen und dem Jazz-Kontrabassisten Alois Kott, präsentierte sich mit Musik der leisen Töne. Zu hören waren pizzicatolastige und äußerst gefühlvoll vorgetragene Kompositionen von Mal Waldron, Reiner Winterschladen, Sofia Gubaidulina und anderen. Da glaubte man den sanften Lufthauch zu spüren, der durch ein Seidentuch weht ? grandios.
Das vornweg groß angekündigte Auftragswerk des Festivals ?Der Turmbau zu Jatzikistan? entpuppte sich als eine sessionartige Text-Musik-Collage eines Textes von Michael Naura, der eindeutig auf den 11. September 2001 Bezug nahm. Der Cello-Rebell Huschke und der legendäre Vibraphonist Wolfgang Schlüter kommentierten mit Saiten- und Seitenhieben ebenso wie mit lieblichen Passagen die Piano-Cluster von Naura und dessen gelungenen Text. Die verträumt-orientalischen New-Age-Klänge des Mehmet Ergin Ensemble beschlossen den ersten Festivalabend und ließen dem einen oder anderen schon mal die Augen zufallen, sei es nun aus Müdigkeit oder vor angenehmer Langeweile.
The G-Strings hingegen, ein Hamburger Streichquintett, brachten am zweiten Festivaltag Schwung ins Gewandhaus. Mit groovigen Arrangements bekannter Pop-, Rock- und Jazzklassiker sorgten sie für beinwippende Kurzweiligkeit. Zu späterer Stunde gesellte sich ein echter Jazzstar zu ihnen. Der schwedische Posaunist Nils Landgren spielte und sang eigene Songs, welche von den The G-Strings extra für diesen Abend arrangiert worden waren. Das begeisterte Publikum konnte sich von den Entertainer-Qualitäten des Schweden überzeugen und einem gutgelaunten, freiaufspielenden Virtuosen zujubeln.
Mindestens genauso virtuos spielten der Pianist Richie Beirach, der Kontrabassist George Mraz und der Geiger Gregor Huebner. Das Trio um den New Yorker Pianisten, der mittlerweile eine Professur für Jazzpiano an der Leipziger Musikhochschule innehat, brillierte mit einem Auftritt, der sich als Höhepunkt des Festivals erweisen sollte. Mit Bearbeitungen von Werken Bela Bartoks und des spanischen Komponisten Frederico Mompou zeigten die drei, wie man klassische Kompositionen auf kongeniale Weise mit zeitgenössischem Jazz verbinden kann. Die überragenden solistischen Leistungen des Trios stellten beinahe alles andere in den Schatten.
Nur das portugisisch-deutsche Ensemble DIZ! um den Kontrabassisten und Komponisten Carlos Bica konnte da noch etwas entgegensetzen. Bicas wundervolle Stücke, irgendwo zwischen Fado und Jazz, in Verbindung mit der bezaubernd theatralischen Sängerin Ana Brand?o sprühten nur so vor Esprit, Charme und Leidenschaft. Dem Publikum stockte bei solch einer gelungenen Darbietung schon mal der Atem, wobei sich die stille Bewunderung später in tosendem Applaus entlud.
Bei solch einem Erfolg darf man auf den dritten Durchlauf des Festivals im nächsten Jahr gespannt sein und hoffen, dass dann wieder derart wegweisende und innovative Beiträge aus dem weiten Feld der Crossover-Szene zu erleben sein werden.
(Nico Thom)
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