Der New Yorker Richie Beirach ist Jazzklavier-Professor an Leipzigs Hochschule (ein Porträt von Frank Gerdes)

Ein Amerikaner in Klein-Paris

Der New Yorker Richie Beirach ist Jazzklavier-Professor an Leipzigs Hochschule

„Ich bin ein Leipziger“, sagt Richie Beirach schmunzelnd in noch gebrochenem Deutsch. Seit einem Jahr lebt der New Yorker in Leipzig, dessen Musikhochschule ihn zum Professor für Jazzklavier berufen hat. Doch unterscheidet ihn etwas von seinen Kollegen: Beirach ist, zumindest in Jazzkreisen, prominent. Gitarrenstar und Sessionpartner John Scofield grüßte ihn bei den letzten Leipziger Jazztagen öffentlich von der Bühne aus, alte Plattencover zeigen ihn an der Seite von Bill Evans und sein Name ist in jedem neueren Jazz-Lexikon zu finden. Die Hochschule scheint mit Beirach einen guten Fang gemacht zu haben.

Beirach ist Enthusiast. In seinem Leben scheint es nur Musik zu geben. Wirklich zur Ruhe kommt er nur, wenn er am Flügel sitzt. Dann hört man dem kammermusikalischen Jazz an, dass der Pianist klassisch geschult ist und durch Komponisten wie Bartok, Skrjabin, Schönberg oder Debussy (die er selbst als Namen nennt) beeinflusst wurde. Sein Balladen-Spiel ist geprägt von Klarheit, Schönheit und harmonischer Ausgewogenheit ? manchmal ist es nicht mehr weit bis zum Kitsch. Sitzt er dagegen nicht am Klavier, wirkt er seltsam unruhig, fast nervös.

Ein vogelfreies Jazzer-Leben in New York mit allen Höhen und Tiefen liegt hinter ihm. Der 1947 in Brooklyn geborene Pianist und Komponist hatte ab dem sechsten Lebensjahr klassischen Klavierunterricht. Nachdem er Miles Davis und John Coltrane hörte, begann er sich für Jazz zu interessieren. Er studierte in den Staaten u.a. bei Dave Holland und Jack DeJohnette. 1974 wurde er Mitglied von Dave Liebmans wegweisender Jazz-Rock-Band Lookout Farm. Er arbeitete u.a. mit Stan Getz, Freddie Hubbard, Lee Konitz, John Abercrombie und Chet Baker zusammen und wirkte bei über 250 Platten- und CD-Aufnahmen mit. Und nun Leipzig.

So richtig wollen Manhatten und Musikerviertel nicht in einen Topf passen. „In den letzten fünf Jahren ist es mit dem Jazz in New York schwieriger geworden: nicht mehr so viele Gigs, weniger verkaufte Alben und immer dieselben Namen wie Wynton Marsalis“, so Beirach. „Unterrichtet hatte ich immer sehr viel – warum nicht eine Professur annehmen?“ Der ehemalige Beirach-Student Ralf Schrabe – heute Leiter der Jazzabteilung an der Hochschule – ermunterte ihn zur Bewerbung in der Bachstadt. Am Ende des üblichen Berufungsverfahren stand fest, dass der 54-Jährige seinen ersten festen Job im Osten Deutschlands haben würde. „Erstmals habe ich bezahlten Urlaub, Krankenversicherung, jeden Monat ein festes Einkommen und zudem noch die Zeit, Konzerte zu geben“, staunt der New Yorker Jazzer. Sein New Yorker Apartment hat er behalten, um zwischen Heimatstadt und Leipzig, zwischen dem Ort der Inspiration und dem Ort der Sammlung, pendeln zu können.

Leipzig empfindet er als „wunderschöne Stadt“: Sie sei klein, nicht einmal halb so groß wie Brooklyn, dafür seien die Wohnungen großartig und die Preise absolut niedrig. Ist es hier nicht provinziell? „Oh, es ist provinziell. Deshalb mag ich es ja! Die Leute sind ehrlich, die Restaurants schließen am Nachmittag, es gibt kaum Kriminalität – alles ist komplett anders als in New York. Aber ich mag es. Es gibt große Parks, alles liegt so nah beieinander – es ist wie in einer kleinen Universitätsstadt in Massachusetts.“
Und ähnlich wie in einer kleinen Universitätsstadt empfindet er auch das Arbeiten an der Musikhochschule. Die Atmosphäre an der Hochschule sei sehr gut: „Die Studenten sind oft zusammen, jeden Montag machen sie Jam-Sessions im „Protzendorf“, die gut besucht sind – das gibt es so in Berlin nicht.“ Aber Leipzig eine Musikstadt? „Für mich ist Leipzig zumindest keine große Musikstadt. Natürlich gibt es diese großartige Geschichte. Aber nehmen wir die Jazzclubs: Es ist nicht so, dass hier jede Woche die großen Namen halt machen. Dafür ist es ein guter Platz zum Studieren. Man kann sich gut konzentrieren.“ Sagt er, und eilt zur nächsten Stunde.

(Frank Gerdes)

CD-Tipps:

?Round about Federico Mompou?
Richie Beirach, Gregor Huebner, George Mraz, ACT 9296-2, 2001

?Round about Bartok?
Richie Beirach, Gregor Huebner, George Mraz, ACT 9276-2, 2000

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