Jon Fosse: Die Nacht singt ihre Lieder (Ian Sober)

16. März 2002
Schauspiel Leipzig, Neue Szene

Jon Fosse: Die Nacht singt ihre Lieder

Die junge Frau: Sandra Hüller
Der junge Mann: Torben Kessler
Der Vater: Olaf Burmeister
Die Mutter: Bettina Riebesel
Baste: Patrick Imhof

Regie: Aureliusz Smigiel
Ausstattung: Magdalena Musial
Dramaturgie: Dagmar Borrmann


Kein Puppenheim

Ein Zimmer wie eine Puppenstube. Durch sie hindurch sieht man die andere Hälfte des Publikums. Es gibt ein breites Bett, das kaum Raum für anderes läßt, aber man könnte es hochklappen und es verschwände in einem Schrank. Auf dem Bett ein junger Mann mit blondem Haar und löchrigen Socken. Er liest.

Im ganzen Stück sehen wir ihn niemals die Wohnung verlassen, diese Wohnung, in der man eigentlich nur sitzen und liegen kann. Seine Weste ist ähnlich grün wie der Teppichboden, seine Hose ähnlich braun wie die gemusterte Tapete. Seine Frau tritt ein durch die Tür mit dem Palmenfoto, man könnte sagen in sein Reich, obwohl’s ja auch ihre Wohnung ist, wo sich seine Lethargie breitgemacht hat. Dort hält sie’s nicht mehr aus.

Jon Fosse (norwegischer Autor, Jahrgang ’59) hat genau beobachtet, und mit großer Präzision wird diese Beobachtung von Aureliusz Smigiel inszeniert. Wobei es ihm gelingt, die Spannung aufrechtzuerhalten, was angesichts eines eher statischen, hintergründigen Texts keine leichte Aufgabe ist. Die Schmalheit des Sujets birgt vielleicht die Gefahr, daß manche Zuschauer wenig damit anfangen können, anderen jedoch wird das Stück aus der Seele sprechen. In einer Darstellung zwischen Ironie und abgründiger Verzweiflung zeigt es die Situation zweier Menschen, für die der andere längst zum Inbegriff des Alltäglichen geworden ist, und die jeweils ihrem Charakter entsprechend damit umgehen.

Der eine schafft die Tatsachen, an denen der andere zerbricht. Vorerst freilich sehen wir wenig, ein Besuch der Eltern des Mannes, die den Enkel bestaunen kommen, doch sie bleiben nicht lange – und selbst wenn sie blieben, wäre der Unterschied nicht groß – die Frau geht einkaufen, am Abend geht sie aus, und der Mann wartet zu Hause auf sie. Er ist gefangen in seiner Lethargie, sieht außer seinen erfolglosen schriftstellerischen Versuchen keine anderen Möglickeiten und ist mit hilfloser Zuneigung zu seiner Frau geschlagen. Die existiert eher als etwas Abstraktes in seinem Kopf, womit sie natürlich nichts anfangen kann. Also behandelt sie ihn manchmal fast wie ein Kind und sucht ihr Heil in der Flucht nach draußen. Das Ende kommt überraschend, der Zuschauer fühlt sich wie vor den Kopf geschlagen. Was wir als Alternative zum häuslichen Stillstand kennenlernen, ist kaum anders, dieselbe Sehnsucht erzeugt gleiche Verhältnisse. (Was genau geschieht, soll hier nicht verraten werden.)

In den Augen von Sandra Hüller flackert eine hektische Verzweiflung, ihre immer wieder aufglimmende Zuneigung nimmt man ihr ebenso ab wie die Rage, in die sie Torben Kesslers enervierend linkische Bewegungen, sein vielgelächeltes unbestimmtes Lächeln, seine plötzlich ausbrechende Eifersucht versetzen. Auch in den Nebenrollen wird genau gearbeitet, die Ähnlichkeit der Männer leuchtet ein, die Hilflosigkeit der Mutter in einer für Bettina Riebesel fast schon typischen Rolle funktioniert gut nahe am Kabarettistischen. In der Dunkelheit zwischen den Szenen erklingt eine Musik voller tröstender Melancholie, als wäre hier die Erklärung für den Titel des Stücks zu finden.

(Ian Sober)

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