Clash of the Titans

Poetry Slam bei der Buchmesse

Seit einiger Zeit ist der monatlich stattfindende Poetry Slam im Internet-Café Trixom auf der Härtelstraße zu einem festen Bestandteil des literarischen undergrounds der Buchstadt Leipzig geworden. Grund genug für die Veranstalter, die ortsansässigen „Slammer“ und ihren Anhang im Rahmen der Buchmesse zu einem dichterischen Stelldichein ganz besonderer Art einzuladen, bei dem sich konträr zum tradierten Konzept literarischer Lesungen die gekrönten und ungekrönten Meister des deutschsprachigen „social beat“ treffen können. „Slam Poetry deluxe“ war das Motto des Abends, und neben den fünf bekanntesten Poeten sollten auch örtliche Nachwuchsdichter ihre Chance beim „open mic“ erhalten.

Dem mit dieser Szene nicht Vertrauten seien die Regeln des Wettbewerbs kurz erläutert: Die Kandidaten erhalten jeweils zehn Minuten Vortrags- oder Vorlesezeit, die sie ganz nach ihrem Gusto mit literarischen Beiträgen füllen können. Beim traditionellen Poetry Slam werden nach jeder Runde einige Teilnehmer abgewählt, während die Verbliebenen im K.o.-System den Sieger des Abends ermitteln. Dieses basisdemokratische Verfahren wurde am Freitagabend insofern außer Kraft gesetzt, als die Angereisten sich in zwei Runden ohne jeglichen Wettkampf in jeweils zehnminütigen Kurzlesungen präsentieren durften. Dementsprechend gelöst war die Stimmung im Keller des Trixom, der, bis auf den letzten Platz gefüllt, ein eher schweigsames Publikum angezogen hatte, das auf die bei Poetry Slams fast schon obligatorischen Zwischenrufe und verbalen Entgleisungen weitgehend verzichtete.

Auf zur ersten Runde. Der Münchner Slam-Sieger Jaromir Konecny machte den Anfang und las den Zuhörern aus seinem „sehr kurzen Bildungsroman“ vor, der sich inhaltlich mit den Problemen der Assimilation tschechischer Zuwanderer in der Hauptstadt Bayerns auseinandersetzte. Kurze Episoden voller Selbstironie für das eigene Fremdsein wechselten sich ab mit Kanonaden deutscher und tschechischer Fäkalsprache, um am Ende in einer herrlich grotesken Beischlafszene in einer Münchner Sauna zu kulminieren. Nach den zehn Minuten setzte verhaltener Applaus ein, den der nachfolgende Slammer Wehwalt Koslovsky am Ende seiner „Lesung“ deutlich zu steigern vermochte. Vor allem sein Langgedicht über Nietzsches Zarathustra, den der Ich-Erzähler eines schönen Tages vor den Toren seiner „alma mater“ trifft, sorgte für erhebliche Heiterkeit unter den Anwesenden. Allerdings bemühte sich auch Wehwalt vergeblich um eine „ordentliche“ Slam-Atmosphäre.

Der Bonner Lasse Samström markierte einen weiteren Höhepunkt des Abends. Mit einer lyrischen Schüttelreimtrilogie, die sich ganz den Topoi „Geburt, Ficken und Tod“ verschrieb, gelang es ihm zum ersten Mal an diesem Abend, das Publikum ein Stück weit aus der Lethargie zu erwecken. Als er dann jedoch nach dem Vortrag des zweiten Gedichts einen minutenlangen Monolog zur Verantwortung des Slammers auf der Bühne zum Besten gab, hatten die ersten Zuhörer offenbar genug gehört bzw. gesehen und verließen den inzwischen stark verräucherten Ort der Lesung. Vielleicht lagen sie mit ihrer Entscheidung nicht einmal falsch. Der auf Samström folgende, heimliche Star unter den deutschen Slam Poeten, der Berliner Knud Wollenberger, übergab nach dem Vortrag einer ersten, eher mediokeren Alltagsgeschichte das Mikrophon an eine aus dem Publikum ausgewählte Assistentin, die mit dem Verweis auf die schwindende Stimme des Heros die noch folgenden Texte an seiner statt fortsetzen sollte. Wer weiß, daß Wollenbergers Miniaturen des Loser-Lebens gerade durch seinen monotonen und leise-näselnden Lesestil ihren eigentlichen Wert gewinnen, mußte dieses Abtreten als Enttäuschung werten, wenngleich es wahrscheinlich eine kalkulierte war. Der letzte Beitrag gehörte dann einem eher Unbekannten mit dem Namen Michel Abdollahi, der seine zehn Minuten Lesezeit mit dem Vorlesen aus einem uninspirierten, auf Kifferphantasien zugeschnittenen Manuskript verbrachte.

In diesem Moment erinnerte sich wohl nicht nur der Rezensent des oft vorgebrachten Einwandes, wonach slam poetry oder social beat mit Literatur im strengeren Sinne eigentlich nichts zu tun habe. Der Einwand wurde an diesem Abend zwar teilweise bestätigt, doch greift er bei der Wahrnehmung des subkulturellen Phänomens wahrscheinlich insgesamt zu kurz: Während Slams in erster Linie auf die Inszenierung des Vortrags setzen, gilt für die sogenannte ernste Literatur die ausdrückliche Betonung des Inhaltlichen. Der literarische Eklektizismus von Slammern wie Wollenberger und Koslowsky besitzt durchaus erheiternde Zwischenspiele, die zwar mit großer Literatur nichts zu schaffen haben (und dies auch ausdrücklich nicht wollen), dennoch aber die klassischen Themenkomplexe der Literatur aufgreifen und variieren. Da wirken die Marihuana-Phantasien eines Abdollahi in erster Linie peinlich, die vulgären Ausfälle der nachfolgenden „local heroes“ in der zweiten Runde einfach deplaziert. Nach dem Ausklang der ersten Runde war zudem der Sauerstoffgehalt der Lokalität so weit reduziert, daß die antretenden Slam-Größen sichtliche Unlust verspürten, mehr als ihr bekanntes Programm abzuspulen.

Trotzdem sei dem geneigten Leser durchaus der monatliche Abstecher zum Laien.Lyrix-Abend im Trixom ans Herz gelegt, auch wenn dieser nicht mit so bekannten Namen aufwarten kann, wie sie sich an diesem Abend in Leipzig versammelt hatten. Zudem sei noch verwiesen auf einige der zahlreichen Internet-Präsentationen der slam poets und ihrer Bewegung.

Buchmesse Poetry Slam: Laien.Lyrix Spezial
22. März 2002, Internet-Café Trixom

www.laienlyrix.de
www.wwalt.de
www.maulgetrommel.de

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