Thomas Rosenlöcher stellt sein „Am Wegrand steht Apollo“ vor
Das Parkett knarrt, während der Autor schon meint, die dritte Verneinung sei immer die stärkste. Es ist 21.05 Uhr, noch sucht einer vergeblich einen Sitzplatz im kronleuchterverzierten Saal des Schlößchens: die siebzig Stühle sind besetzt. Bleibt nur, hinter der geöffneten Flügeltür zu stehen.
Immerhin steht auch Thomas Rosenlöcher (Jahrgang 1947, Vollbart, ungezähmtes Kraushaar, Brille) – beim Rezitieren seiner Erzählgedichte, die balladenhaft wirken und gewinnende Bilder enthalten („längst schlief die Brücke unterm Brückenbogen“), beim Lesen eines Ausschnittes aus seinem Prosaband „Ostgezeter“, der das Publikum zunehmend belustigt („Wir letzten Larmoyanzler mußten zusammenhalten.“), beim Vortragen der Kindergeschichte „Die wachsenden Füße“, einem Text, der mit Sprachspielen und originellen Wendungen solchen Spaß am Spinnen, am Zu-Ende-Denken eines schrägen oder einfach poetischen Einfalls offenbart, daß einige spontan zu klatschen anfangen.
Und dann steht auch noch am Wegrand Apollo. Eigentlich habe er nie über Künstlerheime schreiben wollen, erzählt Rosenlöcher, weiterhin standhaft. Sechs bis sieben Monate habe er dort zugebracht, wenig geschrieben, viel gekämpft, denn so ein Künstlerheim könne einem schwer zu schaffen machen, man müsse Künstler schon beim Frühstück ertragen. Immerhin, die karge Küstenlandschaft und viel Himmel, das möge er sehr. So beginnt er aus dem kleinen Gedichtband „Am Wegrand steht Apollo. Wiepersdorfer Tagebuch.“ zu lesen (Insel-Verlag, 2001).
Ein Rosenlöcher braucht keinen Moderator. Mit geschickten Überleitungen zur Entstehung der Texte und skeptischen, angenehm selbstironischen Gedichten, die feine Anspielungen auf und Hiebe gegen die politische und kunstrezeptive Gegenwart enthalten, gelingt es ihm, sich so zu inszenieren, daß es Freude macht zuzuhören. Ob er sich im Gedicht „Ankunft“ beschreibt („Der Mann mit dem Riß in der Brille ?“) oder in anderen Gedichten die Herren und Damen Kollegen Schriftsteller, Fotographen, Maler, Komponisten, ob die Zeitung schon den künftigen Krieg erklärt, er im Herbst bei der Frankfurter Buchmesse war und „sofort eine Gürtelrose bekam“, ob er seine „Feuerbachthesen“ präsentiert („Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sich in ihr zu etablieren.“) oder ob es „ja auch nur drei bekannte Schriftsteller“ gibt: Reich-Ranitzky, Grass und Reich-Ranitzky, das Lachen blitzt auf, und wenn es vergeht, bleibt Nachdenken.
Er gehe auch ungern in die Lesung von Gedichten. Deshalb schiebe er auch immer mal Prosa ein, jetzt einen Text zum Völkerschlachtdenkmal. Schnell und hämmernd liest er die abgeklärt und desillusioniert wirkende, witzige Satire. Eine junge Frau vor mir, deren schöner Hals eine Stunde lang das Auge anzog, wendet sich zur Seite, beginnt Tränen zu lachen und kann sich auch bei der Zugabe „Die Geschichte vom Klapperstorch“ nicht wieder fangen; am Verkaufstisch nach der Lesung gibt es ein Gedränge: „Ostgezeter? -Ja, das kleine grüne Bändchen, nein, das kleine grüne Bändchen, nein, haben wir nicht mehr, leider nicht, alles verkauft.“ – will der Poet mehr?
Thomas Rosenlöcher: Am Wegrand steht Apollo
22. März 2002, Gohliser Schlößchen
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