Zwei Lesungen – eine Preisverleihung

Ludvic Kundera und Bora Cosic lesen zur Buchmesse

Am Freitagabend fanden jeweils um 20.00 Uhr die Lesungen der diesjährigen Preisträger des Leipziger Buchpreises für Völkerverständigung statt. Bora Cosic, der diesjährige Preisträger, las in der naTo, Ludvik Kundera, der den Anerkennungspreis erhielt, im Gohliser Schlößchen – beide mit reger Publikumsbeteiligung.

In das Werk Ludvik Kunderas führte Roland Erb ein (selbst Kundera-Nachdichter) – etwas ausführlich angesichts der knappen Zeit, zumal der Vorgänger im Schlößchen überzogen hatte: Der 1920 geborene tschechische Lyrik- und Prosaautor engagierte sich beispiellos für die Verbreitung deutscher Lyrik in seinem Heimatland, indem er Dichter von Hölderlin bis Fühmann ins Tschechische übertrug und seit den 50er Jahren einen engen Kontakt zu Lyrikern der DDR wie Peter Huchel, Erich Arendt, Franz Fühmann oder auch Bertold Brecht pflegte. Diese Verbindung zum Osten Deutschlands ließ ihn, wie er selbst sagt, während seines Publikationsverbotes nach der Niederschlagung des Prager Frühlings mehr Freunde unter deutschen Lyrikern als unter tschechischen Kollegen finden. Doch auch für die Bekanntmachung der tschechischen Lyrik in Deutschland steht Kundera wie kein zweiter, wie seine große, in der ersten Auflage noch zu DDR-Zeiten erschienene Lyrikanthologie „Die Sonnenuhr“ beweist. Im Gohliser Schlößchen begeisterte er mit Gedichten, die ihren surrealistischen Einfluß nicht leugnen wollen und deren erfrischender Wortwitz noch durch den singenden tschechischen Akzent eine besondere Note erhielt.

Bora Cosic (1932 in Zagreb geboren, danach in Belgrad aufgewachsen) schloß sich noch in den 50er Jahren der serbischen Avantgarde an, zu deren wichtigsten Vertretern Vasko Popa und Oskar Davico zählen. Davon beeinflußt schreibt der Essayist und Übersetzer Majakovskijs und Hlebnikovs anfangs vor allem surrealistische Prosa, später vermischt er diesen Stil mit der Popkunst: Am Ende der 60er entsteht sein berühmtester, in Jugoslawien zum Kultbuch avancierter Roman „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“. Wegen des hier, aber auch in anderen Werken zutage tretenden abgrundtiefen Humors ist er als „Rabelais des Balkans“ bekannt. Die kritische Haltung in seiner Prosa aber bringt Cosic ein mehrjähriges Publikationsverbot, von dem er sich nicht beeindrucken läßt. Erst die Politik Slobodan Milosevics nötigt ihren unermüdlichen Kritiker, seine Heimatstadt Belgrad zu verlassen. 1992 kommt er nach Berlin, wo er bis heute lebt und in seiner Heimatsprache Essays und Prosa schreibt.

Hier ist auch seine jüngste Erzählung „Die Zollerklärung“ entstanden, aus der Cosic selbst und in der Übersetzung Katharina Raabe lasen. Als Vorbild für diese Erzählung diente Proust, demgemäß der Protagonist bei einer für den Zoll aus dem Gedächtnis anzufertigenden Bestandsaufnahme seiner Bibliothek über das Leben, den Raum und vor allem die verlorene Zeit sinniert. Die Lesung brillierte durch die durchdachte, tiefsinnige Logik des Erzählers, die aufgrund ihrer Melancholie von entwaffnender Wirkung war und deren metaphorische Kraft beeindruckte. Der krönende Abschluß der Lesung war eine Kostprobe aus „Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution“, die nicht nur das Publikum zum Lachen brachte, sondern auch eine hoffnungslose Beherrschungsprobe für die Vorlesende, Katharina Raabe, darstellte. Die anschließende Diskussion zeigte, daß der Autor nichts von dem Humor seiner Bücher eingebüßt hat.

Für die am darauffolgenden Tag stattfindende Preisverleihung hatte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine junge Jazzband engagiert, die mit ihrer erfrischenden und harmonischen Musik das Programm stimmungsvoll einleitete und beendete. In seiner Begrüßung hob Wolfgang Tiefensee die Punkte hervor, die zu der Wahl dieser beiden Preisträger geführt hat: Sowohl Ludvik Kundera als auch Bora Cosic seien Grenzgänger, die zwischen zwei europäischen Welten als Vertreter, Fortführer und Botschafter ihrer Kulturen fungierten. Tiefensee betonte, daß diese Aufgabe für beide äußerst schwierig gewesen sei, weil sie beide in ihrer jeweiligen Heimat nicht anerkannt waren und weil sie sich gegen ein Publikationsverbot durchsetzen mußten. Daß sie dabei ihren außerordentlichen Humor nicht verloren haben, sei ein Zeichen bemerkenswerter Größe.

Ihm folgte der Laudator Wulf Kirsten, ein langjähriger Freund Ludvik Kunderas, der einen Überblick über das Werk des Dichters verschaffte und auch darauf hinwies, daß Kundera als Dichter von Hans Arp beeinflußt wurde. Kundera belegte diese Aussage selbst in seiner äußerst unterhaltsamen Dankesrede durch ein für Heiterkeit sorgendes Beispiel zu den Sprachspielen Arps: „Was weißt du, was schwarzt du.“ und führte dem Publikum vor, wie schwer es ist, poetische Worte ins Tschechische zu übersetzen, ohne deren Lautmalerei zu verlieren.

Die Laudatio an Bora Cosic hielt der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, wobei er die Bedeutung Cosics als Kulturvermittler unterstrich. Des weiteren unterstrich er die Verquickung von tiefgründiger philosophischer Weltanschauung und Kritik, die durch den Humor von unbändiger Kraft sind. Bora Cosic verglich sich selbst in seiner Dankesrede, die er in seiner Muttersprache abhielt, mit Kaspar Hauser und verwies auf die ins Verderben stürzende Isolation seines Heimatlandes. Die „Philosophie des Provinznestes“ könne jeden Menschen und jede Nation ereilen. Er beendete seine Rede mit dem der Stadt Leipzig gewidmeten Gedicht „In der Tiefe des Malstroms“.

Die Preisverleihung machte deutlich, daß es gut wäre, wenn mehr von Kunderas Poesie und Cosics Prosa bzw. Essayistik in Deutschland bekannt würde.

22. März 2002, Gohliser Schlößchen und naTo

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